Friedrich Merz: Politik und Moneten

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Er hat Top-Posten in der Finanzindustrie und verdient Millionen. Jetzt will Friedrich Merz CDU-Chef werden. Dann müsste er auf Distanz zur Wirtschaft gehen. Aber kann er das? Von Sabine Kinkartz, Berlin.

Von einem hoch dotierten Posten in der Wirtschaft in ein hohes politisches Amt oder umgekehrt: In vielen Ländern der Welt ist das nichts Ungewöhnliches. In den USA wird die Drehtür zwischen Industrie, Finanzen und Politik teils intensiv genutzt. “Die USA waren immer schon eine Wettbewerbsgesellschaft, in der wirtschaftlicher Erfolg dazu führt, dass der Erfolgreiche Vorbild ist”, sagt der Mainzer Historiker Andreas Rödder im Gespräch mit der DW. Hohes Ansehen genießen wirtschaftlich erfolgreiche Menschen auch in Asien. Die gemachte Karriere gilt als Expertise und ist für eine politische Laufbahn ausdrücklich förderlich.

In Deutschland ist das ganz anders. Hier stößt die Konzentration und Verflechtung von politischer und wirtschaftlicher Macht auf Ablehnung. Der Staat mit seinen Amts- und politischen Mandatsträgern soll unabhängig von den Interessen und Einflüssen der Wirtschaft agieren. “In einer funktionierenden Marktwirtschaft muss der Staat als unabhängiger Schiedsrichter agieren, der Wettbewerb darf nicht durch eine dominierende Stellung einzelner Unternehmen eingeschränkt werden”, definiert der grüne Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick.

Der Reiche ist kein Vorbild

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde in der Bundesrepublik Deutschland die soziale Marktwirtschaft eingeführt. Damit keine zu großen sozialen Ungerechtigkeiten entstehen, greift der Staat durch bestimmte Regeln in die Freie Marktwirtschaft ein. “Deutschland ist ein Land, das zum einen vom Obrigkeitsstaat geprägt ist und zum anderen vom Sozialstaat”, erklärt Historiker Rödder. “Dort gilt der unternehmerisch Erfolgreiche und damit auch Reiche sehr viel weniger als Vorbild, sondern inzwischen tatsächlich als ein Problem.”

Champagner – in Deutschland ein Zeichen für Luxus und Reichtum

Das bekommt Friedrich Merz zu spüren, der CDU-Vorsitzender und damit Nachfolger von Angela Merkel werden will. Fragen nach seinem Einkommen und Vermögen wich der Wirtschaftsanwalt lange aus. Wohl auch, um nicht in schlechtem Licht dazustehen. Als er kürzlich einräumte, rund eine Million Euro pro Jahr zu verdienen, fügte er direkt hinzu, sich trotzdem nicht zur Finanzelite zu zählen. “Ich habe von meinen Eltern die Werte mitbekommen, die die Mittelschicht prägen: darunter Fleiß, Disziplin, Anstand, Respekt und das Wissen, dass man der Gesellschaft etwas zurückgibt, wenn man es sich leisten kann”, so Merz. “Wenn ich Oberklasse oder Oberschicht höre, denke ich an Menschen, die viel Geld oder eine Firma geerbt haben und damit ihr Leben genießen. Das ist bei mir nicht der Fall.”

Wie nah muss ein Politiker am Bürger sein?

Er habe durchaus ein Gefühl dafür, wie die normalen Leute leben würden, sagt Merz. Das stellt die SPD-Politikerin und Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig in Frage. Mit seinem Vermögen und Einkommen sei Merz keine gehobene Mittelschicht mehr. Die meisten Menschen würden in Deutschland weniger als 2000 Euro pro Monat zur Verfügung haben.

Wer gehört zur Mittelschicht?

Das Problem sei, dass diese Menschen der wirtschaftlichen und politischen Elite zunehmend kritisch gegenüberstehen würden und das Gefühl hätten, dass sie ständig zur Kasse gebeten würden, während “die Großen” machen könnten was sie wollen. “Die Leute haben es satt, dass man ihnen beim Thema Diesel auf der Nase herumtanzt, dass von den Großen Steuern hinterzogen werden und sie müssen beim Finanzamt alles erklären und sie haben es auch satt, dass sie arbeiten gehen und am Ende kaum etwas übrig bleibt”, kritisierte Schwesig Friedrich Merz kürzlich in der ARD-Talkrunde “Anne Will”. “Sie erwarten von der Politik, dass wir härter durchgreifen und die Frage steht im Raum, ob Sie der richtige dafür sind.”

Abgeordneter, Anwalt, Berater und Aufsichtsrat

Eine Frage, die allerdings weniger mit dem Kontostand von Friedrich Merz zu tun hat, als vielmehr mit seiner Karriere als politischer Lobbyist in der Finanzindustrie. 2006, da war Merz noch Bundestagsabgeordneter, saß er bereits in acht Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiräten mehrerer Unternehmen. Was er damit verdiente, das wollte der Volksvertreter damals unbedingt im Dunkeln halten. Merz gehörte zu den Abgeordneten, die gegen ein Gesetz, das Nebeneinkünfte von Parlamentariern öffentlich machen sollte, sogar vor das Bundesverfassungsgericht zog.

Angela Merkel nahm Friedrich Merz 2002 den Fraktionsvorsitz der Union ab

Heute berät der 63-Jährige internationale Konzerne und sitzt in Kontroll- und Aufsichtsräten von Firmen, die womöglich in den größten Steuerbetrug aller Zeiten verstrickt sind. Sowohl gegen die HSBC Bank als auch gegen den Vermögensverwalter Blackrock ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen der sogenannten Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte, bei denen der Staat um viele Milliarden Euro betrogen wurde.

Damit habe er nichts zu tun, beteuert Merz. Die Vorwürfe würden sich auf eine Zeit beziehen, in der er noch keine Aufsichtsfunktion hatte. “Ich bin da absolut clean und habe vollkommen für Transparenz gesorgt, indem ich den Aufsichtsrat angewiesen habe, mit der Staatsanwaltschaft und der Finanzverwaltung zusammenzuarbeiten”, so Merz jüngst in der ARD-Talksendung “Anne Will”. “Ich habe mir da nichts vorzuwerfen und habe diese Cum-Ex-Geschäfte immer schon als unmoralisch bezeichnet und als vollkommen inakzeptabel angesehen. Sich zweimal Körperschaftssteuer erstatten zu lassen, obwohl man sie nur einmal bezahlt hat, das sind nun Dinge, die einfach nicht gehen und dazu habe ich eine klare Meinung und die habe ich immer gesagt.”

Wessen Interessen vertritt Friedrich Merz?

Jenseits des Steuerbetrugs birgt der Posten als Aufsichtsratschef von Blackrock Deutschland ein weiteres Problem. Die Nummer eins unter den Vermögensverwaltern ist über börsengehandelte Indexfonds an rund 17.000 Unternehmen weltweit beteiligt. Das verwaltete Vermögen beläuft sich auf inzwischen 6440 Milliarden US-Dollar. Blackrock ist im Zuge der Finanzkrise groß geworden und wird zu den sogenannten Schattenbanken gezählt. 

Kein Finanzkonzern verwaltet mehr Geld als Blackrock

2016 heuerte Blackrock Friedrich Merz an. Aber nicht wegen seiner einschlägigen Erfahrung in der Vermögensverwaltung, sondern wegen seiner politischen Beziehungen und Verbindungen. Merz sollte seine Kontakte für das Unternehmen gewinnbringend einsetzen.

Lobbyismus, also die Durchsetzung der Interessen in der Politik, ist Blackrock einiges wert. Timo Lange vom Verein Lobbycontrol rechnet vor, dass der Finanzriese jährlich 1,5 Millionen Euro für diesen Bereich ausgibt. In einer vom Verein Lobbycontrol zitierten Mitteilung von Blackrock über die Aufgaben von Friedrich Merz heißt es, er solle eine “weiter gefasste Beraterrolle einnehmen, in der er die Beziehungen mit wesentlichen Kunden, Regulierern und Regulierungsbehörden in Deutschland für Blackrock fördern wird”. Im Klartext: Merz sollte helfen zu verhindern, dass der Finanzbranche kürzere Zügel angelegt werden.

Rollenwechsel – geht das so einfach?

Als Aufsichtsratschef muss Merz für das Wohl seines Unternehmens sorgen. Als Politiker müssten ihm die Interessen der Bürgerinnen und Bürger am wichtigsten sein. Dafür müsste er Distanz zur Wirtschaft aufbauen. Geht das so einfach und so schnell? “Ich habe gesagt, dass ich die Mandate nach meiner Wahl sofort niederlege und ich bin und fühle mich unabhängig genug, politische Entscheidungen zu treffen losgelöst von den beruflichen Aufgaben, die ich in der Vergangenheit gehabt habe”, beteuert Merz.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick bezweifelt das, will Merz aber an seinen Taten messen. “Wenn er die Fragen in Bezug auf seine Vergangenheit überzeugend beantwortet und deutlich macht, dass er für eine effektive Regulierung auch von Schattenbanken wie Blackrock eintritt, kann er die Diskussion durchaus gewinnen”, so Schick. Letztlich würde die CDU entscheiden, ob sie Partei der sozialen Marktwirtschaft oder der unkontrollierten Finanzwirtschaft sein wolle.

Der Drehtüreffekt – ihn nutzten schon viele

Von der Politik in die Wirtschaft oder umgekehrt, diesen Weg sind in Deutschland schon viele gegangen. Besonders prominent ist der Fall von Gerhard Schröder. Er wechselte 2005 von der Politik in die Wirtschaft, unmittelbar nachdem er das Kanzleramt an Angela Merkel verloren hatte. Schröder ging zur Nord Stream AG, die mehrheitlich der russischen Gazprom gehört.

Russlands Präsident Wladimir Putin und Gerhard Schröder sind langjährige Freunde

Schon als Kanzler hatte er das Pipeline-Projekt wohlwollend begleitet, nun vertrat er offensiv dessen Interessen. Die deutsche Öffentlichkeit schäumte. Politiker sprachen von einem “dreisten Seitenwechsel”, von klarem Lobbyismus und von einer politischen “Eselei”. So urteilt auch der Historiker Andreas Rödder: “Gerhard Schröder ist ganz kritisch anzulasten, dass er Geld verdient hat ohne politische Rücksichten darauf, in welchem politisch problematischen Umfeld seine Tätigkeit nach seiner Kanzlerschaft stattgefunden hat.”

Seit 2015 gilt eine Karenzzeit

Grundsätzlich kann niemandem verboten werden, von der Politik in die Wirtschaft zu wechseln und umgekehrt. Seit 2015 müssen Politiker allerdings eine Karenzzeit einhalten. Für aktuelle und frühere Minister und parlamentarische Staatssekretäre gilt eine Auszeit von mindestens einem Jahr, bevor sie einen bezahlten Job oder eine andere Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes annehmen dürfen. Wenn die Bundesregierung öffentliche Interessen in Gefahr sieht, kann eine Pause von 18 Monaten verordnet werden.

2014 demonstrierte Lobbycontrol für eine Karenzzeit

Wer von der Wirtschaft in die Politik wechselt, für den gilt das nicht. Kurt Biedenkopf, früherer CDU-Generalsekretär und sächsischer Ministerpräsident bedauert das. “Der erprobte Weg lehrt, dass man im Vorfeld bedeutende Ämter mindestens ruhen lässt, um so seine Unabhängigkeit zu verdeutlichen.” Jeder wisse, dass Merz Millionär sei. “Warum erklärt er seine Wohlhabenheit nicht zur Basis seiner Unabhängigkeit, die er einbringen will?”

Vielleicht würde das etwas daran ändern, dass sich die gewollte Trennung zwischen Politik und Wirtschaft derzeit noch zu verstärken scheint. Das könnte nämlich auch zum Problem werden, meint der Historiker Andreas Rödder: “Denn dass wir eine eigene, ganz abgekapselte Politiker-Kaste haben, die mit der Gesellschaft und anderen Berufen nicht mehr in Verbindung steht und sich nur aus einem ganz schmalen Segment von Berufen speist, das ist für eine repräsentative Demokratie ein echtes Problem.”