Kommentar: IOC, Sie haben ein Problem!

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Die Bürger Calgarys haben entschieden: keine zweiten Winterspiele nach 1988. Wenn schon eine Stadt wie diese in Kanada Nein sagt, sind die Olympischen Spiele in ernsthaften Schwierigkeiten, meint Chuck Penfold.

Mehr als 56 Prozent der Einwohner Calgarys, die über die Bewerbung um die Olympischen Spiele 2026 abgestimmt haben, senkten den Daumen. Es war eine überraschend klare Entscheidung –  Beobachter waren eher von einem Kopf-an-Kopf-Rennen von Olympia-Gegnern und -Befürwortern ausgegangen. Nun wird erwartet, dass der Stadtrat von Calgary in der kommenden Woche dem Votum folgen und die Kandidatur offiziell beerdigen wird.

Langfristig verschuldet

Was genau die Leute in Calgary bewogen hat, mehrheitlich mit Nein ist zu stimmen, kann nicht exakt bestimmt werden. Aber es gibt Hinweise. So hat der Ruf des IOC auch in Kanada durch eine Reihe von Skandalen in den letzten Jahrzehnten deutlich gelitten. Am meisten aber hat die Bürger der Stadt wohl die Kostenfrage beschäftigt. Es ist kein Geheimnis, dass viele Städte, die Olympische Sommer- oder Winterspiele ausgerichtet haben, mit langfristigen Schulden für ihre Gastgeberrolle bezahlt haben, mit vielen Sportstätten, die anschließend verfielen. Montreal, Rio de Janeiro und Sotschi sind nur einige Beispiele.

Positive Olympia-Grundstimmung in Kanada

Chuck Penfold, DW Sport

Dass dies nicht zwangsläufig passieren muss, haben die Winterspiele 2010 in Vancouver gezeigt, die nach Angaben des Organisationskomitees schwarze Zahlen schrieben. Zum finanziellen Erfolg gesellte sich der sportliche, mit vielen, auch überraschenden Medaillen für kanadische Sportler. Das Bewerbungskomitee wollte diese positive Grundstimmung dafür nutzen, 30 Jahre nach den ersten Spielen in Calgary das Großereignis erneut in die Stadt zu holen. Gleich elf Wettbewerbsstätten von 1988 sollten dafür renoviert werden. Das hätte im Vergleich zum Neubau nur einen Bruchteil der Kosten verursacht.

Ein Nein nach dem anderen

Insofern ist die Enttäuschung von Bürgermeister Naheed Nenshi und des Bewerbungskomitees nachvollziehbar. Ein kleiner Trost könnte jedoch sein, dass der Ausgang des Olympia-Referendums mit Blick auf die jüngere Vergangenheit keine wirkliche Überraschung ist. Immer wenn in den vergangenen fünf Jahren über Olympische Spiele in der Bevölkerung abgestimmt wurde, hieß das Ergebnis Nein. Deutschland machte da keine Ausnahme, ob im November 2013 beim Bürgerentscheid über die Bewerbung Münchens um die Winterspiele 2022 oder im November 2017 in Hamburg, als über die Kandidatur für die Sommerspiele 2024 abgestimmt wurde. In anderen Staaten Europas dasselbe Bild: Ob in der Schweiz, Österreich oder Polen – die Bürger verweigerten ihre Zustimmung. Auch die Bewerbungen von Boston in den USA und Budapest in Ungarn um die Ausrichtung der Spiele 2024 scheiterten am fehlenden Rückhalt in der Bevölkerung. Die Initiatoren dort warfen schon vor möglichen Referenden das Handtuch.

Calgarys klares Nein zu Olympia 2026 sollte beim IOC und dessen Präsidenten Thomas Bach jedoch endgültig die Alarmglocken läuten lassen. Dass die Olympiafunktionäre das Problem erkannt haben, zeigt die “Agenda 2020” des IOC, mit der Bach und Co. die ausufernden Kosten Olympischer Spiele eindämmen wollten. Doch offenbar gehen die Reformen den Menschen nicht weit genug. Es dürfte wohl kaum einen künftigen Olympia-Bewerber geben, der mit einem noch konservativeren Finanzplan aufwarten kann als Calgary und dessen Bewohner Olympia grundsätzlich ähnlich positiv gegenüberstehen. Schließlich hatten die Winterspiele 1988 die kanadische Stadt erst überall in der Welt bekannt gemacht hat. An welche Bürger einer Stadt in einem demokratischen Staat sollen sich Olympische Spiele denn überhaupt noch verkaufen lassen, wenn es nicht einmal in Calgary funktioniert?