Jens Stoltenberg: Russland muss sich an Atomwaffenabkommen halten

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Im DW-Exklusivinterview erklärt NATO-Generalsekretär Stoltenberg, unter welchen Bedingungen er europäische Verteidigungsbemühungen begrüßen würde – und wie ein erneutes nukleares Wettrüsten verhindert werden kann.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg

DW: Herr Generalsekretär, es gibt eine Diskussion darüber, angestoßen von Frankreich, ob Europa seine eigene Armee aufbauen sollte. Was steckt dahinter? Glauben Europäer nicht mehr daran, dass die USA ihre Verpflichtung der NATO gegenüber ernst nehmen?

Jens Stoltenberg: Ich denke, dass wir aus den zwei Weltkriegen und dem Kalten Krieg gelernt haben, wie wichtig die transatlantische Beziehung ist. Wir müssen also sicherstellen, dass Europa und Nordamerika zusammenhalten. Ich begrüße stärkere Verteidigungsbemühungen der EU, weil ich denke, dass so die Verteidigungskraft Europas gestärkt und die Möglichkeit für neue Verteidigungsinvestitionen geschaffen wird. Ich würde es aber nicht begrüßen, wenn sich das mit NATO-Bemühungen doppelt. Die europäischen Verteidigungspläne müssen sich also im NATO-Rahmen abspielen und die europäische Säule der NATO stärken. So lange sie das tun, begrüße ich die europäischen Bemühungen zur Verteidigung. 

Die USA haben angekündigt, sich aus dem INF-Vertrag, dem Abkommen über nukleare Mittelstreckensysteme mit Russland, zurückzuziehen. Was muss jetzt passieren, um ein erneutes nukleares Wettrüsten zu verhindern?

Russland muss sicherstellen, dass es sich genau an den INF-Vertrag hält. Alle NATO-Mitglieder sind sich darüber einig, dass das neue russische Raketensystem ein großer Grund zur Sorge ist. Dieses System gefährdet den INF-Vertrag. Die neuen russischen Raketen sind mobil, schwer zu erfassen und nuklearfähig. Sie senken die Hemmschwelle wenn es zur Nutzung von Atomwaffen in einem Konflikt  geht, und sie können europäische Städte erreichen, unter anderem Berlin. Deshalb sind die NATO-Staaten seit Jahren sehr besorgt über dieses neue russische System. Bereits die Obama-Administration rief Russland dazu auf, sich vollständig an den Vertrag zu halten. Und wir rufen Russland weiterhin dazu auf, weil kein Waffenkontrollabkommen effektiv ist, wenn sich nur ein Partner daran hält.

Braucht die NATO generell eine neue Nuklearstrategie?

Wir haben die Bedeutung von Atomwaffen mit unserer Strategie erheblich gesenkt. Wir setzen uns seit Jahrzehnten für die nukleare Abrüstung ein. Die NATO spielte eine entscheidende Rolle dabei, dass der INF-Vertrag 1987 zum Abschluss kam, und so alle landgestützten Mittelstreckenwaffen verboten wurden. Und wir haben die Anzahl von Atomwaffen in Europa um 90 Prozent reduziert. Wir wollen also kein erneutes Aufrüsten. Wir wollen nicht, dass wichtige Abkommen zur Waffenkontrolle wie der INF-Vertrag untergraben werden. Und deshalb rufen wir Russland dazu auf, sicherzustellen, dass sich vollständig an dieses sehr wichtige Abkommen gehalten wird.

Der Norweger Jens Stoltenberg ist seit 2014 Generalsekretär der NATO. Vorher war der Sozialdemokrat norwegischer Ministerpräsident.

Das Interview führte Christian F. Trippe.