OjubTitijew – in Tschetschenien vor Gericht

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Memorial-Chef Ojub Titijew wird wegen angeblichen illegalen Drogenbesitzes in Grosny der Prozess gemacht. Reihenweise Zeugen stehen auf seiner Seite. Beobachter gehen davon aus, dass der Prozess politisch motiviert ist.

“Ojub Titijew anzuklagen – das ist nicht richtig”, sagt der landwirtschaftliche Facharbeiter Salam Daschajew und schaut dabei Staatsanwältin Milana mit festem Blick in die Augen. “Er ist unschuldig, alle wissen das”, sagt der Zeuge vor Gericht im tschetschenischen Schali. Dort wird Menschenrechtler Ojub Titijew seit Juli der Prozess gemacht. Die Staatsanwältin reagiert verärgert: “Ist das Ihre persönliche Meinung?” “Nein – alle denken das”, entgegnet Daschajew. “Woher wissen Sie das so genau?”, bohrt die Staatsanwältin in ihrer blauen Uniform mit den goldenen Schulterklappen nach. “Weil ich ihn seit seiner Kindheit kenne”, antwortet Salam Daschajew. Titijew, der knapp zehn Jahre lang das Büro der Menschenrechtsorganisation Memorial in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny leitete, sitzt seit Januar wegen angeblichen Drogenbesitzes in Untersuchungshaft. Die Ermittler behaupten, in seinem Wagen Marihuana gefunden zu haben. Der Aktivist wies die Vorwürfe wiederholt als Erfindung zurück. 

Ojub Titijew hofft auf ein Urteil bis Ende des Jahres

Zeugen zweifeln an Vorwurf

“Der Ojub raucht doch noch nicht einmal, er trinkt nicht”, sagt der Zeuge. Er bete regelmäßig, halte sich an die Fastenzeit. “Der und Drogen?” Er schüttelt den Kopf, so als ob er sagen wollte: Wie kann jemand nur auf so eine abstruse Idee kommen? Richterin Madina Zainetdinowa bemüht sich, keine Miene zu verziehen. Nur die mit Maschinengewehren bewaffneten Sicherheitskräfte tun sich keinen Zwang an und beginnen zu lachen, als ein Zeugen nach dem anderen erklärt, welch ehrlicher und aufrichtiger Mensch Ojub Titjew ist.

Alexander Tscherkassow von Memorial Moskau hat den Preis für Ojub Titijew in Empfang genommen

Der Gerichtssaal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Prozessbeobachter unterstellen der tschetschenischen Polizei, Titijew bei seiner Festnahme Marihuana untergeschoben zu haben. Auch Natalia Prilutskaya von Amnesty International in London zweifelt an dem Festnahmegrund: “Wir glauben, dass Titijew aus politischen Gründen angeklagt wird”, sagt sie der Deutschen Welle. Während seiner Zeit als Leiter von Memorial beschuldigte Titijew mehrfach die örtliche Polizei seit 1999 Tausende von Menschen entführt und ermordet zu haben. Für sein Engagement für Menschenrechte in Russland hat der Europarat in erst kürzlich mit dem angesehenen Vaclav-Havel-Preis ausgezeichnet. Da Titijew in Untersuchungshaft sitzt, hat Alexander Tscherkassow von Memorial in Moskau, den Preis für ihn entgegengenommen. Auch er ist nach Schali gereist, um Titijew während des Prozesses zu unterstützen, denn auch er glaubt, dass die Anklage frei erfunden wurde, um Titijew zum Schweigen zu bringen.

SPD-Vertreter im Gerichtssaal

Titijew sitzt während der Anhörung hinter einem Gefängnisgitter. Seine Beine sind übereinander geschlagenen, seine Hände liegen gefaltet vor ihm. Er verfolgt die Befragung der Zeugen aufmerksam und wirkt dabei gefasst. Der Ablauf dieser Prozesse ist ihm aus Verhandlungen gegen andere Menschenrechtler durchaus bekannt, nur, dass er damals als Beobachter dabei war.

Nils Schmid von der SPD ist extra zum Prozess nach Grosny gereist

Im Publikum, neben den Vertretern der französischen und der deutschen Botschaft in Moskau, sitzt auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid. Er ist eigens zu dem Prozess angereist. Wie die Vertreter anderer westlicher Regierungen fordert auch er, die sofortige Freilassung Ojub Titijews. Die tschetschenische Regierung soll wissen, dass Berlin den Prozessverlauf gegen Titijew genau verfolgt. Wie wichtig die weltweite Aufmerksamkeit für diesen Prozess ist, macht einer der Anwälte von Titijew deutlich: Ohne diese wäre Titjew wahrscheinlich nicht mehr am Leben.

Am Ende vertagt sich das Gericht auf den 19. November. Beim Hinausgehen sagt Titijew der Deutschen Welle: “Ich bin zuversichtlich und glaube, dass es bis Ende dieses Jahres ein Urteil geben wird.”