Kommentar: Der Kampf geht weiter

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Die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland vor 100 Jahren war ein Signal des Aufbruchs. Doch gleiche Rechte bedeuten noch lange nicht gleiche Chancen. Frauen müssen weiter kämpfen, meint Anja Brockmann.

Noch nie waren Frauen in Deutschland so gebildet wie heute. In manchen Schulfächern haben Mädchen Jungen längst abgehängt. Trotzdem bekommen Männer oft die besseren Jobs: in der Wirtschaft, in der Politik. Im Deutschen Bundestag ist der Frauenanteil derzeit so niedrig wie seit 20 Jahren nicht. Die Gleichberechtigung “bleibt eine dauerhafte Aufgabe”, sagt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel – und stellt damit ihrer eigenen, immerhin 13-jährigen Regierungszeit unfreiwillig ein mittelmäßiges Zeugnis aus.

Ja, Merkels Wahl zur Kanzlerin war eine epochale Zäsur in Deutschland. Ja, in ihrem direkten Umfeld hat die Kanzlerin Frauen gefördert, eine sogar zur ersten Verteidigungsministerin der Republik gemacht. Und nein, die Butter vom Brot hat sie sich von keinem Mann nehmen lassen – egal, ob sie Gerhard Schröder, Wladimir Putin oder Donald Trump heißen.

Kein Machtwort von Angela Merkel

Doch die mächtigste Frau der Welt hat in der Frauenpolitik selten ein Machtwort gesprochen und lange, zu lange, auf freiwillige Verpflichtungen statt auf verbindliche Quoten gesetzt – in der Wirtschaft, in der eigenen Partei. Die empfindet sie inzwischen selbst als zu männlich und erkennt nun, da der CDU die Wählerinnen verloren gehen, grundsätzlichen Handlungsbedarf. Endlich! Frauenpolitik als Herzenssache aber sieht anders aus.

DW-Redakteurin Anja Brockmann

Es gibt noch viel zu tun in Deutschland. Das Land braucht ein neues Steuersystem. Eines, das nicht belohnt, wenn Ehefrauen nur wenig verdienen oder gar ganz zu Hause bleiben. Beseitigt werden muss endlich die Lohnungleichheit von Männern und Frauen, die in Deutschland so hoch ist wie in kaum einem anderen Land Europas. Und eingeführt werden müssen dringend Jobsharing-Modelle in Spitzenpositionen, flächendeckende Ganztagsschulen – die Liste ist lang.

Frauen müssen sich einmischen

Damit es vorangeht, braucht es Frauen, die sich einmischen in die Politik, die mitmachen, die Vorbild sind. Das ist anstrengend und geht in den bestehenden Strukturen nicht ohne Verbündete: Männer, wie den Ehemann von CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Der hat seinen Beruf aufgegeben, damit seine Frau in ihrer politischen Karriere durchstarten konnte. Augen auf bei der Partnerwahl, ist ein Rat, den Frauen noch viel zu selten beherzigen.

Bei der Bundestagswahl 2017 sind mehr Frauen als Männer zu Hause geblieben. Nichtwählen aber ist keine Alternative! Wählerinnen müssen sich ihrer Macht bewusst sein und sie nutzen. Sie müssen den Männerbünden in der Politik die Rote Karte zeigen. Sie müssen mit ihrer Stimme Männer und Frauen belohnen, die keine Basta-Politik machen, die ihre Probleme ernst nehmen und sie lösen wollen.

Frauenpolitik ist auch Männersache

Und Männer müssen endlich begreifen, dass Frauenpolitik auch ihre Sache ist! Dass es sich auch für sie lohnt, darum zu kämpfen. Beispiel Arbeitsmarkt: Ab 2019 gibt es in großen Betrieben in Deutschland die gesetzlich verbriefte Möglichkeit, nach vorübergehender Teilzeit wieder voll zu arbeiten. Das ermöglicht auch Männern flexiblere Arbeitszeitmodelle – eine kleine Revolution für viele Familien.

Für den Politikbetrieb hat diese Revolution vor 100 Jahren begonnen, mit dem aktiven und passiven Frauenwahlrecht. Dessen Botschaft ist heute so aktuell wie damals: Ein Parlament, in dem Frauen unterrepräsentiert sind, bildet nicht die Gesellschaft ab – und verliert damit auf Dauer seine Legitimation. Das schadet der Demokratie. Ganz besonders in Zeiten, in denen sie von vielen attackiert wird.