Wo ist Europas Luft am saubersten?

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Hunderttausende Menschen sterben jedes Jahr in Europa an Luftverschmutzung, sagen Epidemiologen. In manchen Ländern ist es gefährlicher zu atmen als in anderen. Das soll sich ändern, wie zum Beispiel in Polen.

“Smog ist sehr greifbar. Du kannst ihn sehen, du kannst ihn riechen”, sagt Andrzej Gula der DW. “Die Menschen in Krakau witzeln, dass man ihn sogar beißen kann.” Die Krakauer versuchen es mit Humor zu nehmen, auch wenn die Luftverschmutzung möglicherweise mehrere Tausend Menschen in Polen jedes Jahr das Leben kostet.

Für Gula gibt es nur zwei Optionen, wie man mit der dreckigen Luft umgehen kann: entweder man zieht weg oder man wird aktiv. Er hat sich für letzteres entschieden. Seit sechs Jahren kämpft er nun mit der Bürgergruppe Polish Smog Alert, dem Polnischen Smog-Alarm, gegen Luftverschmutzung in der zweitgrößten Stadt des Landes. 

Für viele Polen gehört das Überprüfen der Smogwerte mittlerweile zum Alltag, genauso wie das Tragen von Atemschutzmasken. An einigen Tagen wird Kindern und älteren Menschen empfohlen, daheim zu bleiben – draußen tief durchatmen ist dann zu gefährlich. Es drohen Kopfschmerzen, Schwindel und Atemnot neben Langzeitauswirkungen wie Atemwegserkrankungen und Herzproblemen.

Die schlimmste Jahreszeit steht in Polen noch bevor. Im Winter nimmt der Smog drastisch zu, da viele Menschen noch traditionell mit Holz und Kohle heizen. In den Wintermonaten stinken die Kleider der Menschen nach Smog, sagt Gula. Er vergleicht die dreckige Luft, die die Menschen einatmen, mit Rauchen. Wer in Krakau lebt, atmet jedes Jahr so viele Schadstoffe ein, als ob er 3.000 Zigaretten rauchen würde, schätzen Aktivisten. 

Große Gesundheitsgefahr

Doch die Polen sind nicht die einzigen, die mit Luftverschmutzung zu kämpfen haben. Weltweit atmen Milliarden Menschen jeden Tag giftige Luft ein. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass 7 Millionen Menschen 2016 an Luftverschmutzung gestorben sind. Mehr als 90 Prozent der Kinder atmen demnach giftige Luft ein. In Europa seien 2015 etwa eine halbe Million Menschen frühzeitig an den Folgen von Luftverschmutzung gestorben, errechnete die Europäische Umweltagentur (EEA). 

Eine erhöhte Feinstaubbelastung ist besonders gefährlich für die Gesundheit, da die mikroskopisch kleinen Partikel bis tief in die Lungen eindringen können. Obwohl die Zahl der frühzeitigen Todesfälle durch Luftverschmutzung sich in den vergangen drei Jahrzehnten stetig verringert hat, bleiben Schadstoffwerte noch immer gefährlich und gesetzeswidrig hoch. Dabei ist es heute schon viel besser als früher: 1990 waren hohe Schadstoffbelastungen für fast doppelt so viele Todesfälle verantwortlich wie heute. Doch noch immer atmen rund 90 Prozent der Europäer, die in Städten wohnen, gesundheitsschädliche Luft ein, so die EEA. Luftverschmutzung bleibt damit die größte Gesundheitsgefahr in Europa. 

In der Luft finden sich neben Feinstaub weitere Schadstoffe, beispielsweise Stickoxide, Ozon und Ammoniak, die durch die Industrie, Straßenverkehr, Landwirtschaft und Heizungen ausgestoßen werden. Während in fast allen Bereichen Schadstoffe reduziert werden konnten, bleiben die Ammoniakemissionen in der Landwirtschaft hoch. Darüber machst sich Alberto González von der Europäischen Umweltagentur besonders große Sorgen. Denn wenn der gasförmige Ammoniak in die Atmosphäre eindringt und mit anderen Schadstoffen aus Fahrzeugabgasen reagiert, entsteht neuer Feinstaub, der tödlichste Schadstoff für Menschen.

Rund 94 Prozent der Ammoniakemissionen in der Europäischen Union entstehen in der Landwirtschaft, insbesondere in der Tierhaltung. In der Landwirtschaft haben seit 1990 keine größeren Emissionsreduzierungen stattgefunden. “Es ist sehr wichtig, dass wir endlich in der Landwirtschaft aktiv werden, um gegen die Luftverschmutzung zu kämpfen”, sagte González der DW.

Wo in Europa ist es unsicher zu atmen?

Nicht überall in Europa ist die Luft gleich schlecht. Generell ist die Schadstoffbelastung in Mittel- und Osteuropa höher als im Rest der EU. Bulgarien hat die schlechteste Luft und zählt die meisten frühzeitigen Todesfälle durch Luftverschmutzung. Grund dafür sind vor allem Feinstaubemissionen von Heizungen, sagt González. 

Mehr zu Todesfällen durch Umweltverschmutzung hier: Vorsicht bei epidemiologischen Studien

und hier: Epidemiologe: Todesfälle sind abschätzbar

Polen, Gastgeber der diesjährigen Klimakonferenz im Dezember, folgt Bulgarien in der Liste der europäischen Länder mit der schlechtesten Luftqualität. Luftverschmutzung tötet rund 45.000 Menschen jedes Jahr in Polen, schätzen Experten. Laut der WHO lagen 33 der 50 dreckigsten Städte in Europa im vergangen Jahr in Polen. Eine dieser Städte ist Katowice, wo die Klimakonferenz stattfinden wird. Auch in Polen sind kohle- und holzbefeuerte Heizungen der Hauptverursacher für Smog und Feinstaubemissionen.

Deutschland bewegt sich im Mittelfeld. Wenn alle Daten zusammengefasst werden, hält die Bundesrepublik die jährlichen EU-Grenzwerte für die Feinstaubbelastung ein. Doch vor allem in Städten ist die Luft oft deutlich schlechter. In Stuttgart zum Beispiel werden 64,40 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft gemessen, der gesetzliche Grenzwert liegt bei 50 Mikrogramm. 

Norwegen dagegen ist das einzige Land in der EU, in der die Luft sogar durchgehend sauberer ist, als es die WHO verlangt, die strengere Grenzwerte als die EU vorsieht. Norwegens grüne Strategie, wie die Förderung von sauberen Fahrzeugen, macht sich bezahlt.

Polen tauscht dreckige Heizungen aus

In einigen Ländern wächst in der Bevölkerung die Erkenntnis, wie gefährlich schadstoffbelastete Luft ist. Auch in Polen macht das Thema Luftverschmutzung immer öfter Schlagzeilen, dank Kampagnen von Aktivisten wie Gula in Krakau. Gleichzeitig hat Druck seitens der EU zum Umdenken verholfen, sagt Przemyslaw Hofman, Abteilungsleiter im Bereich emissionsarme Wirtschaft im polnischen Ministerium für Unternehmertum und Technologie.

Die polnische Regierung will nun etwas für bessere Luft tun und hat den Verkauf von Heiz-Thermen verboten, die den Emissionsstandards nicht entsprechen. Dafür stellt sie 25 Milliarden Euro innerhalb der nächsten zehn Jahre bereit, damit auch ärmere Einwohner ihre alte Heizungen gegen neuere, saubere Heizungen eintauschen können.

Regionale Regierungen sind sogar schon einen Schritt weiter. In Krakau wurden die meisten Kohleheizungen durch schadstoffärmere Alternativen wie Gasheizungen ersetzt. Krakau wird bald als erste Stadt Polens das Verheizen von Holz und Kohle komplett verbieten.

Auf EU-Ebene sorgt seit 2013 ein Maßnahmenpaket für saubere Luft langsam für Besserung. Bis 2030 soll die Luftverschmutzung deutlich reduziert und die Zahl der frühzeitigen Todesfälle halbiert werden. Das geht nur, wenn sich alle Länder an die Vorgaben halten. Danach sieht es allerdings in vielen Mitgliedsstaaten momentan nicht aus. Im Mai hat die EU-Kommission Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Ungarn und Rumänien wegen schlechter Luft in den Städten verklagt.


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Schneller mit dem Drahtesel unterwegs

    So wie in Kopenhagen planen Reutlingen und Essen Radschnellwege durch die Stadt einzurichten. Der Ausbau des Fahrradstraßennetzes ist eh “überfällig”, meint Experte Christian Hochfeld von der Agora-Verkehrswende. “Wir merken, dass die Menschen aufs Fahrrad umsteigen, aber der öffentliche Raum ist nicht fair verteilt: Gerade parkenden Pkws wird zu viel Raum gegeben.”


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Günstig von A nach B

    Vier von fünf Städte setzen auf billigen Nahverkehr. In Bonn und Reutlingen soll es Klima-Jahrestickets nach Vorbild Wiens für 365 Euro geben, also für 1 Euro pro Tag. Mannheim und Herrenberg planen Preissenkungen bei Einzel-, Mehrfahrten- und Zeitkarten. Zustimmung von Experte Hochfeld: “Günstiger ÖPNV ist der richtige Weg nach vorne, allerdings muss die Qualität trotzdem gesichert sein.”


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    Weniger lang warten

    Wie schön ist es, wenn man zur Bushaltestelle geht – und zack, kommt auch schon der nächste Bus. So macht Nahverkehr Spaß. Bonn will daher bei vielen Buslinien den Takt verdichten, so dass die Wartezeiten an der Haltestelle kürzer werden. Analoges planen Reutlingen und Essen. Hochfeld: “Taktverdichtung ist die absolute Grundvoraussetzung, dass Menschen in den Innenstädten auf den ÖPNV umsteigen.”


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    Mehr Bushaltestellen

    Wir alle kennen das: Ist die Bushaltestelle zu weit weg von der Wohnung oder nicht nah genug am Fahrtziel, greift man vielleicht doch lieber zum Auto. Daher plant Reutlingen ein neues Stadtbusnetz mit zehn neuen Buslinien und hundert (!) neuen Haltestellen.


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Kein Warten für Busse

    Zusätzliche Busspuren sollen in Herrenberg Menschen zum Busfahren animieren: Im Bus fährt man dann an allen wartenden Autos vorbei und freut sich. Auch Grünschaltungen für Busse sind so ein Mittel. “Das führt dazu, dass die Menschen den ÖPNV als schneller und bequemer wahrnehmen”, kommentiert Hochfeld. “Wenn 40 Leute im Bus sitzen, sollten die Vorrang haben vor einem einzigen Menschen im Pkw.”


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Grüne Welle

    Stop-und-Go ist nicht nur eine Belastung für die Nerven der Autofahrer, sondern auch für die Umwelt. Beim Anfahren verbraucht ein Auto besonders viel Sprit und stößt viele Abgase aus. Herrenberg plant eine dynamische Steuerung von Ampeln, so dass Autofahrer auf der grünen Welle reiten können. Statt der Sekunden bis zur nächsten Rotphase soll angezeigt werden, bei wieviel km/h freie Durchfahrt ist.


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Pakete kommen mit dem E-Bike

    Mannheim errichtet einen “Micro-Hub”: einen Umschlagsplatz, auf dem Pakete von den Lastwagen auf E-Bikes verladen werden. Dadurch sollen weniger Lieferwagen in die Innenstadt fahren. “Eine gute Ergänzung”, meint Christian Hochfeld. Allerdings: “Wollen wir weiter zulassen, dass Menschen kleinste Einheiten online bestellen, die dann einzeln geliefert werden?” Hier sieht der Experte Nachholbedarf.


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Hybridbusse

    In Köln und vielen anderen Städten fahren sie bereits umher: Hybridbusse, die den Schadstoffausstoß reduzieren sollen. Mannheim will jetzt auch schadstoffarme Euro-6-Hybridbusse für die Innenstadt beschaffen. Vor allem Fahrradfahrer, die oft hinter Bussen herfahren müssen, wird das freuen.


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Go digital

    Nützt zwar nichts gegen Abgase, ist aber gut für’s coole image von Bus und Bahn: Viele deutsche Städte bieten bereits Apps an, mit denen sich ganz schnell und papierlos eTickets für den Nahverkehr kaufen lassen. Mannheim will das eTicket jetzt stark ausbauen. Herrenberg plant eine Stadt-Mobility-App, in der sich auch Leihfahrräder und CarSharing einfacher organisieren lassen.

    Autorin/Autor: Brigitte Osterath


Irene Banos Ruiz Reisekosten nach Polen wurden von Clean Energy Wire und Forum Energii übernommen.