Kanzlerduell um Migration

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In Brüssel prallten die Ansichten der Deutschen Angela Merkel und des Österreichers Sebastian Kurz in der Migrationspolitik aufeinander. Christoph Hasselbach berichtet vom EU-Gipfel.

Auch farblich scharf getrennt: Angela Merkel und Sebastian Kurz

Abschotten ist das Zauberwort. Von Flüchtlingsverteilung ist kaum noch die Rede. Lange hatte die deutsche Regierungschefin Angela Merkel eine Verteilung auf alle EU-Staaten nach festen Quoten gefordert. Sie tut es auch jetzt noch, weiß aber, dass sie gegen die heftigen Widerstände in vielen EU-Ländern nicht ankommt.

Dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz, dessen Land in diesem Halbjahr den Vorsitz im Ministerrat hat, kommt das gerade recht. Beim Ziel, “nämlich dass nach der Rettung im Mittelmeer die Menschen nicht nach Europa gebracht werden, sondern zurückgestellt werden”, sei man schon viel weitergekommen: “Wenn sie aus Ägypten aufbrechen, werden sie nach der Rettung nach Ägypten zurückgestellt. Wenn sie aus Libyen aufbrechen, wird mehr und mehr von der libyschen Küstenwache gerettet und zurückgestellt. Und selbiges wollen wir überall sicherstellen. Denn das zerstört das Geschäftsmodell der Schlepper, stellt sicher, dass sich niemand mehr auf den Weg macht, und stellt vor allem sicher, dass das Ertrinken im Mittelmeer endlich zuendegeht.”

Migranten sollen gar nicht mehr nach Europa kommen, dafür plädiert eine Mehrheit der EU-Regierungschefs

Gleichzeitig werde sich der interne Streit in der EU um die Flüchtlingsverteilung in dem Maße verringern, wie der Zustrom abnehme. Auch er sei zwar für europäische Solidarität, aber die könne “sehr unterschiedlich aussehen”, will heißen: Man kann auch Geld geben oder Ausrüstung für die Grenzsicherung bereitstellen. Das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was Merkel bisher wollte. Erst vor einem Monat hatte sie bei einem EU-Gipfel in Salzburg gesagt: “Es kann nun auf keinen Fall sein, dass jeder sich aussuchen kann, was er gerne machen möchte.” Auch jetzt in Brüssel hat sich Merkels Meinung offenbar nicht geändert, denn sie sagte anschließend: “Ich glaube, dass wir es uns damit zu einfach machen.” An diesem “Werkstück” müsse noch weiter gearbeitet werden.

UN: EU soll Flüchtlinge nicht zu Sündenböcken machen

Kanzler Kurz hat sich beim Thema Migration längst zum Gegenspieler Merkels und zum Anführer der Gegner einer Verteilung aufgeschwungen. Zu ihnen gehört auch Polen. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ist begeistert. “Es zeigt, dass sie verstanden haben, in welche Richtungen die ganze EU nun gehen sollte”, stimmte Morawiecki den Vorstellungen von Kurz zu.

Allerdings glaubt nicht jeder, dass es wirklich so gut läuft, wie Kurz es darstellt. So meinte Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel, so gut wie gehofft klappe die Zusammenarbeit mit Ägypten nicht. Und zum gemeinsamen Ziel der EU, Anlandungszentren für gerettete Migranten außerhalb der EU zu schaffen, sagte er: “Jeder findet es ‘ne tolle Idee, aber keiner will sie bei sich haben.” Tatsächlich hat sich bisher trotz aller guten Worte und finanzieller Anreize aus Brüssel kein Land dazu bereiterklärt.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini lenkt den Blick unterdessen auf die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern in Afrika. Das sei eine “Partnerschaft unter Gleichen”. Und es sei “genau die qualitative Veränderung, die wir bei Afrika brauchen. Afrika ist unser nächster Nachbar, und das ist eine strategische Investition für die kommenden Jahre.” Der Gipfel hat auch ein Treffen Ende Februar mit den Staaten der Arabischen Liga beschlossen, um gemeinsam gegen illegale Migration vorzugehen.

Europa im Belagerungszustand? Der UN-Flüchtlingskommissar nennt diese Deutung völlig unrealistisch

Die Hauptstoßrichtung der EU beim Thema Migration ist nach den Worten von Filippo Grandi, dem UN-Hochkommissar für Flüchtlingsfragen, aber völlig falsch. “Der Tenor der politischen Debatte – es wird ein Bild von Europa unter Belagerung gemalt – ist nicht nur wenig hilfreich, er hat auch mit der Realität nicht das geringste zu tun”, heißt es in einer Erklärung Grandis: “Wir dürfen nicht vergessen, dass es hier um Menschenleben geht. Eine Debatte ist willkommen, aber Flüchtlinge und Migranten für politische Ziele zu Sündenböcken zu machen, ist es nicht.”