„Bei euch aber soll es nicht so sein“

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„Bei euch aber soll es nicht so sein“: Dominikanerpater Bernhard Kohl über die zerstörerische Verbindung von Macht, Glaube und Sexualität, die den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche pervertiert.

„Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,43f.). Diesen Satz des Evangelisten Markus halte ich deswegen für so wichtig, weil hier etwas virulent wird, das sehr viel mit einer Thematik zu tun hat, an der sich die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche entscheidet beziehungsweise an der sie verloren geht: Das Verhältnis von Macht und Glaube, genauer das Verhältnis von Macht, Glaube und Sexualität.

Für die meisten Katholiken – seien wir ehrlich – ist das ein Randthema. Sie entscheiden selber, was sie tun. Verhütung, Fremdgehen, Ehescheidung, vorehelicher Sex – all das kommt bei Katholiken vermutlich ähnlich häufig vor wie bei Nichtkatholiken. Vielleicht haben Katholiken dabei ein schlechteres Gewissen. Für diejenigen aber, die sich als Gläubige innerhalb des Raumes Kirche bewegen, denen ihr Glaube existenziell wichtig ist, kann ein Verstoß gegen die Sittenlehre der katholischen Kirche unangenehme Folgen haben. Es wird aus der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen, wer geschieden ist und wieder heiratet, wer sich zu seiner Homosexualität bekennt, wer unverheiratet mit einem Partner zusammenlebt. Hier erliegt Kirche der Versuchung, Macht mit Sexualität zu verbinden. Und sie verbinden sich auf zerstörerische Weise.

Ungut Macht und Glaube mit Sexualität verquickt

Seit einigen Jahren melden sich nach langem Schweigen Menschen, deren ganzes Leben von einer missbräuchlichen und perversen Verquickung von Macht, Glaube und Sexualität überschattet ist. Damit möchte ich keinem Generalverdacht das Wort reden. Es gibt keinen direkten Weg vom Zölibat zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen. Ein solcher Generalverdacht ist – so sehr wie die Schuld der Einzelnen und des Systems aufgedeckt, angesehen und eingestanden werden muss – falsch und unfair, weil Missbrauch überall vorkommt. Statistisch gesehen am häufigsten in der Familie, aber eben auch an staatlichen Schulen oder in Sportvereinen. Diese Statistik darf allerdings für die Kirche nicht zur billigen Ausrede und schon gar nicht zur Entschuldigung werden. Der innerhalb der Kirche offenbar gewordene Missbrauch zwingt, den Blick auf das Verhältnis der katholischen Kirche zur Macht und zur Sexualität zu lenken. Denn es gibt Gründe für den Missbrauch, es gibt Gründe dafür, warum er gedeckt und verschwiegen wird.

Zunächst einmal muss man festhalten, dass der christliche Glauben nicht leib- und sexualitätsfeindlich ist, wie ihm häufiger vorgehalten wird. Nur versucht die katholische Kirche Sexualität machtvoll zu ordnen, angstvoll zu kontrollieren wie ein böses Tier, das in den Käfig gehört. Es ist der Versuch etwas zu beherrschen, was sich naturgemäß jeder Herrschaft entzieht. Sexualität und Glauben gehören zusammen, weil Sexualität und Religion den Menschen im Tiefsten berühren. Sexualität und Macht hingegen gehören strikt getrennt – weil die Kirche nur dann glaubwürdig vertreten kann, dass Eros und Liebe zusammengehören und weil der Schritt von der Macht zur Gewalt so klein ist.

Klima des Ungesagten macht erpressbar

Wenn sich aber Macht, Glaube und Sexualität verbinden, muss geschwiegen, versteckt und verdrängt werden, dann entsteht ein Klima des Ungesagten und Unsagbaren, dann werden Menschen erpressbar. Dies ist das katholische Element der Gewalttat. Die Kirche tut wirklich einiges, um Missbrauch zu verhindern, ihn aufzudecken und den Opfern zu helfen, aber nicht konsequent genug. Das eigentümliche katholische Verhältnis von Macht, Glaube und Sexualität hat sie noch nicht im Blick.

„Bei euch aber soll es nicht so sein…“ Während Jesus gegenüber denen, die gemeinhin als mächtig gelten, völlig illusionslos ist, scheint er für seine Kirche etwas anderes für möglich zu halten. Diese Vision wäre so atemberaubend, dass es lohnt, ihr nachzuspüren. Sie würde uns darauf aufmerksam machen, dass es unsere Berufung als Christen ist, diese Vision Jesu aufzugreifen, dass in einer christlichen Kirche ein anderes Verhältnis zur Macht möglich ist. „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Das ist der Schlüssel. Die Vision von einer Macht, die andere nicht missbraucht.

 

Bernhard Kohl OP, Dr. theol., Assistant Professor am St. Michael’s College der University of Toronto. Forschung und Veröffentlichungen zu den Themen Verletzbarkeit, Anerkennung, Post- und Transhumanismus.