Angelique Kerber (fast) allein in Singapur

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Trainerwechsel im Sport sind nichts ungewöhnliches. Vor einem sportlichen Großereignis wie dem WTA-Finale der Tennisprofis den Trainer “freizustellen”, ist schon ungewöhnlich. Erst recht, wenn der Mann erfolgreich ist.

Angelique Kerber vor der Trennung von ihrem Trainer Wim Fissette

Normalerweise ist der Trainer im Profisport fast so wichtig wie der Papst. Er trifft die letzten Entscheidungen, stellt Spieler auf oder zur Seite, gilt als Meistermacher, wenn es Meisterschaften zu feiern gilt. Nicht so im Profitennis.

Der Profi ist die Chefin

Gerade bei den Frauen ist das Verhältnis zwischen Spielerin und Coach von spezieller Natur. Hier ist der Profi auf dem Platz die Chefin, und zwar fast uneingeschränkt. Die Trainer sind die Angestellten. Wer einmal gesehen hat, wie der – bestimmt nicht unter mangelndem Selbstbewusstsein leidende – Franzose Patrick Mouratoglou von Serena Williams auf dem Trainingsplatz stehengelassen wurde, der bekommt eine Vorstellung davon. Wer von den beiden der millionenschwerere Spitzenverdiener ist, muss man nicht groß erklären. 

Womit wir bei Angelique Kerber wären, der Deutschen, die Serena in diesem Jahr auf ihre Weise in Wimbledon auf dem Platz stehen ließ. Kerber gewann das wichtigste Tennisturnier in London, und sie gewann überhaupt viel zurück an Selbstbewusstsein und Spielwitz, sodass sie zum Ende der Saison und vor dem Finale der Women’s Tennis Association (WTA) im blitzeblanken Singapur wieder auf Platz 3 der Weltrangliste steht.

Viele Beobachter im Tennis-Circuit sagen, dass daran Wim Fissette einen großen Anteil hat. Der analytische Belgier, der schon etlichen Top-Spielerinnen geholfen hat, begleitete die 30-Jährige Deutsche aus ihrem veritablen Formtief. Dass dann in dieser Woche, unmittelbar vor der Abreise zur großen Finalwoche in Asien, Kerbers Management mit ungewöhnlich kühlen Worten die Trennung bekanntgab, mutete wie ein Paukenschlag an. Kerber selbst sagte erstmal kein Wort, sondern ließ sich stattdessen mit den Flugbegleiterinnen ablichten.

 

Seitdem ist die Szene voller Spekulationen. Die Version, die viele Anhänger findet, lautet: Kerber und Fissette seien sich nicht über die Konditionen einer Vertragsverlängerung für das Jahr 2019 einig geworden. Fissette gilt nicht nur als einer der besten Trainer auf der Tour, sondern auch als einer, der sein Urteil unbeeindruckt von äußeren Einflusssphären fällt. Der Vater von Sabine Lisicki – Fissette führte auch sie ins Finale von Wimbledon, bevor ihre Karriere, auch verletzungsbedingt, einen Knick erlitt – könnte darüber einiges erzählen. Fissette kooperiert bei der Analyse seines schnellen Sports mit der Softwarefirma SAP als “Ambassador” der Marke. Wer Statistiken richtig auswertet, kann einen Vorteil haben, noch bevor der erste Ballwechsel vorbei ist. So konnte sich Fissette im Juli auch mit über den Wimbledon-Sieg freuen.

Und heute? Egal. Im Statement, das Kerbers Management herausgab, hieß es: “Wim Fissette ist mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben als Trainer von Angelique Kerber freigestellt. Trotz der erfolgreichen Zusammenarbeit seit Beginn der Saison wurde dieser Schritt aufgrund von unterschiedlichen Auffassungen bzgl. der zukünftigen Ausrichtung erforderlich.”

Dürre Worte des Dankes

Es folgten vergleichsweise dürre Worte des Dankes in einer Szene, die gerne ein hohes Maß an Wertschätzung, Sympathie oder gar gegenseitiger Bewunderung pflegt. Niemand würde nicht über Serena Williams sagen, dass die ein großer Champion sei, auch wenn man ihr tatsächlich am liebsten eine Niederlage an den Hals gewünscht hätte. Und gerade Angelique Kerber gilt als jemand, der Kontinuität und ein gewisses Maß an Harmonie in ihrem Umfeld schätzt. An Fissettes Vorgänger Torben Beltz hielt sie auch dann noch fest, als der sichtlich keinen Rat mehr wusste.

Den gleichen Dienstwagen wie Groeneveld

Jetzt also: Angelique Kerber ohne Coach in Singapur. Dafür mit ihrem langjährigen Manager Aljoscha Thron und ihrem Hitting-Partner Andre Wiesler.

Am Ende wohl auch nicht mehr einig: Fissette (links) und Kerbers Manager Aljoscha Thron

Die Frage, wen sich die Deutsche für die kommende Saison an ihre Seite holt, ist schon fast spannender als das Saisonfinale selbst, das für die zumeist am Ende des Jahres und ihrer Kraft befindlichen Spielerinnen eher den Charakter der “goldenen Blumenkohl-Schüssel” hat (was allerdings auch niemand zugeben würde). Wird es ein Überraschungskandidat sein, der wahrscheinlich sein Lieblingsracket zerhacken würde für einen Job im “Team Angie”? Kehrt Beltz zurück, der zuletzt die Kroatin Donna Vekic coachte? Oder spricht Manager Thorn vielleicht mit dem Niederländer und Top-Trainer Sven Groeneveld, dem langjährigen Coach von Maria Sharapova? Der stand, wie auch Angie Kerber, als Coach auf der Damentour nebenbei auch auf der Lohnliste eines Stuttgarter Sportwagenherstellers. Auf den Dienstwagen hätte man sich da schnell verständigt. 

Osakas Sieg wäre ein Geschenk an die asiatischen Fans

Und das Turnier in Singapur? Serena Williams ist nicht dabei, weil sie nach der Geburt ihrer Tochter zu wenig gewann. Die Weltranglisten-Erste Simona Halep ist nicht dabei, weil der Rücken schmerzt. Es bleiben als Favoritinnen neben Kerber die US-Open-Siegerin Naomi Osaka (Japan), Petra Kvitova (Tschechien), Titelverteidigerin Caroline Wozniacki (Dänemark) sowie Sloane Stephens (USA). Zuletzt qualifizierten sich die Ukrainerin Jelena Switolina und Karolina Pliskova aus Tschechien sowie als Nachrückerin für die verletzte Halep die Niederländerin Kiki Bertens als achte Teilnehmerin. Für das tennisbegeisterte asiatische Publikum – ein Grund, warum die WTA dieses Finale einst nach Singapur vergeben hat – wäre ein erneuter Erfolg der erfrischenden Naomi Osaka ein schönes Geschenk.