Der Jahrhundert-Sprung wird 50

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Bob Beamons Weitsprung bei den Olympischen Spielen von Mexiko-City gilt als eines der bedeutendsten Ereignisse der Sportgeschichte. Vor 50 Jahren landet er bei 8,90 Metern, einem Rekord für 23 Jahre – und die Ewigkeit.

Die Bedingungen waren optimal an jenem Oktobertag in Mexiko-Stadt. Sonnig, trocken, dazu wehte ein leichter Rückenwind durch das Olympiastadion. Und die meisten Leichtathleten waren ganz angetan von der neuartigen Tartanbahn. Kein Wegrutschen mehr beim Anlauf auf der losen Asche, kürzere Dornen an den Schuhen, die sich dadurch auch nicht so tief in den Holzbalken am Absprung der Leichtathletik-Anlage bohrten. Dazu die dünne Höhenluft. 2240 Meter über dem Meer. Während die Ausdauersportler nach Luft japsten, war der niedrige Sauerstoffpartialdruck für die gerade mal sechs Sekunden für die 19 Schritte Anlauf bis zur Landung in der Sandgrube kein Problem. Stattdessen dürfte sich der geringe Luftwiderstand positiv auf das Lauftempo ausgewirkt haben.

Aber was nützen optimale äußere Umstände ohne den optimalen Athleten mit einem optimalen Tag? Der US-Amerikaner Bob Beamon hatte seinen am 18. Oktober 1968 im olympischen Finale um genau 15:40 Uhr Ortszeit, gleich im ersten Versuch. Ein kraftvoller und dennoch eleganter Anlauf, der schnellkräftige Absprung, der ihn in Kopfhöhe der umstehenden Kampfrichter katapultierte, eine etwas staksige Landung auf den Beinen. “Ich landete am Rad der Grube und war im ersten Moment enttäuscht, weil mein Gesäß den Sand gestreift hat”, erinnerte sich Beamon Jahre später. “Es war kein perfekter Sprung.”

Sprung in eine andere Dimension

Die 65.000 Zuschauer im Stadion sahen das anders: Es ging ein ungläubiges Raunen durchs Publikum, das 20 Minuten warten musste, bis die Weite auf der Anzeigentafel gezeigt wurde. “Da war erstmal Pause”, erzählte der damalige Silbermedaillengewinner für die DDR, der Berliner Klaus Beer, jüngst der “Welt am Sonntag”. Kein Wunder – die elektronische Messanlage war nur bis 8,60 Meter ausgelegt, die Kampfrichter mussten erst ein Stahlmaßband hervorkramen und händisch nachmessen. Heraus kamen 8,90 Meter. Bob Beamon hatte den Weltrekord um 55 Zentimeter verbessert.

Beamon, damals 22 Jahre alt, war da noch gar nicht klar, was er geleistet hatte: “Erst, als mir Ralph Boston [Der Teamkollege hielt bis dahin mit 8,35 Meter den Weltrekord – Anm. d. Red] sagte, dass ich über 29 Fuß gesprungen bin, kollabierte ich”, gibt der gebürtige New Yorker fünf Jahrzehnte später der “Welt am Sonntag” zu Protokoll. “Ich wollte es nicht wahrhaben, glaubte zu träumen und mich in einer irrealen Welt zu befinden.” Aber die elektronische Anzeigetafel ließ keinen Zweifel: “254” für die Startnummer und “8,90” für die Weite stand da zu lesen. Für das renommierte US-Magazin “Sports Illustrated” war es einer der fünf größten Sportmomente des 20. Jahrhunderts.

Die Bürde des Rekordes

“Es war ein gewaltiges Erlebnis”, sagte Konkurrent Klaus Beer, dessen 8,19 Meter auch noch aller Ehren wert waren. Aber das Rampenlicht musste er dem US-Amerikaner überlassen, der nach Bekanntgabe seiner Weite wild im Stadion-Inneren umhersprang. Jesse Owens, 1936 bei den denkwürdigen Sommerspielen von Berlin vierfacher Olympiasieger und Weitsprung-Weltrekordler mit 8,13 Metern von 1935 bis 1960, prägte schnell den Begriff vom “Sprung ins nächste Jahrhundert”.

Bob Beamon im Herbst 2012 in Barcelona

Auf den Bestenlisten bewahrheitete sich das nicht ganz: Bei der Weltmeisterschaft 1991 in Tokio sprang Beamons Landsmann Mike Powell nochmal fünf Zentimeter weiter. Vielleicht eine Art Erlösung, denn schon zwei Jahre nach seinem Rekord beschrieb Beamon, der Waisenjunge mit Schneider-Ausbildung, die Last, die nun auf seine Schultern lag: “Es ist, also ob ich keine Luft mehr bekäme. Der Rekord macht mich fertig.” Owens hatte das schon 1968 vorhergesagt: “Es gehört große moralische Widerstandskraft dazu, einen solchen Rekord zu ertragen. Die Menschen wollen Steigerung.”

Drei Ziffern reichen

Beamon brauchte lange, um mit seiner Popularität und dem Druck klarzukommen. Nach seinem Rücktritt wurde er kurz Basketball-Profi, zunächst beim NBA-Team der Phoenix Suns, dann bei den Harlem Globetrotters, machte einen Universitätsabschluss in Psychologie, versuchte sich Anfang der 1970er-Jahre erfolglos an einem Comeback als Weitspringer, als Sozialarbeiter, als Leiter einer Diskotheken-Kette und von Trainingszentren. Nach vielen Aufs und Abs kehrte er 2004 in den Hochleistungssport zurück, als Berater der US-Olympiamannschaft. Aber auch das war nur von kurzer Dauer. Beamon verdingte sich als bildender Künstler und Geschäftsführer des “Art of the Olympians Museum” in Fort Myers, Florida.

Auch privat schaffte er es nicht, Kontinuität in sein Leben zu bringen. Vier Hochzeiten stehen auf seiner Vita, inzwischen ist er an Diabetes erkrankt – trotz, wie er sagt, aktiver Lebensweise. Das harte Los eines Mannes, dem das Glück scheinbar in den Schoß gefallen war. Damals, vor 50 Jahren, in Mexiko Stadt. Und doch schafft er es noch heute, Menschen glücklich zu machen. Dafür reichen manchmal drei Ziffern und ein Punkt dazwischen: “8.90”. Drei Ziffern, und jeder weiß, von wem die Rede ist. Seinen Namen muss er dann gar nicht mehr dahinter schreiben.