Vision barrierefreie Buchmesse

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Architekturprofessor Martin Knöll von der TU Darmstadt forscht zum Thema barrierefreie Messe. Auf der Frankfurter Buchmesse erklärt er im DW-Interview, wie der Besuch auch für Blinde zur guten Erfahrung werden kann.

DW: Wie kamen Sie auf das Thema “barrierefreie Messe”?

Martin Knöll: Wir Stadtplaner wollen unsere Städte besser machen. Städte stehen im Moment unter einem Veränderungsdruck: Sie müssen sich an den Klimawandel und an sich verändernde Formen von Mobilität anpassen. Auch der demographische Wandel betrifft die Städte. Daraus und aus der Vielfalt an Menschen, die die Städte Tag für Tag nutzen, erwachsen Anforderungen an den öffentlichen Raum.  Eine davon ist eben die Barrierefreiheit.

Vor kurzem war der “Tag des weißen Stocks”. Kommt mit Ihrer Hilfe der Tag, an dem ein Blinder ohne weißen Stock durch die riesigen Messehallen laufen kann?

Das hoffe ich, und ich finde, das ist ein wunderbares Bild. Wir versuchen, unseren Teil dazu beizutragen. Eine Rolle spielen dabei einerseits die gebaute Umwelt, also die Architektur, und andererseits die digitale Umwelt. Diese beiden Umwelten verschmelzen immer mehr miteinander. Und genau hier gibt es Potential für Assistenzsysteme, die dazu beitragen können, ein solches Unterfangen umzusetzen.

Der Autor am Stand für ein Blindenprojekt auf der Frankfurter Buchmesse

Was stellen Sie konkret an Ihrem Stand vor?

Unser Stand ist ein Testlabor, in dem wir in kleinem Maßstab Dinge vorstellen, die später einmal den Messebesuch erleichtern können. So zum Beispiel ein Tastmodell des Messegeländes aus dem 3D-Drucker, mit dem wir der Frage nachgehen wollen: Wie fühlt sich das an und wo muss es stehen, damit es blinden Menschen bei der Orientierung hilft.?

Als zweites stellen wir Analyseergebnisse aus dem Vorjahr vor. Im Jahr 2017 haben wir versucht, die Barrieren so gut wie möglich zu dokumentieren. Dazu haben wir Spaziergänge mit etwa 20 Testpersonen gemacht und mithilfe ihrer Angaben Karten erstellt, die Auskunft dazu geben, wo die Barrieren sind und wie sie aussehen.

Einige dieser Barrieren haben wir ausgewählt und versucht, sie mit schlichten Mitteln zu beseitigen. Ein Beispiel ist hier die Halle 3, die belebteste aller Messehallen. Hier ballen sich die Besucher an den Eingängen. Also haben wir uns überlegt: Wie kann man diese Besucherströme entzerren und leiten? Unsere Antwort war ein roter Teppich, der die Besucher durch die Nebeneingänge leitet, damit die auch benutzt werden.

Außerdem haben wir einen Gang von drei Metern auf fünf Meter verbreitert. Gerade mobilitätseingeschränkte Besucher hatten uns gesagt, dass sie hier kaum entlang kommen, sich nicht drehen und folglich die Stände nicht richtig besichtigen können. Jetzt kann man beobachten, wie die Leute in diesem Gang plötzlich auch stehen bleiben, weil sie mehr Platz haben, sich unterhalten und sich die Stände ansehen.

Stadtplaner Martin Knöll: Unser Ziel ist die komplett barrierefreie Frankfurter Buchmesse

Ist der Plan also, die Messe komplett barrierefrei zu machen?

Das ist das Ziel, aber uns ist bewusst, dass das noch viele Schritte braucht. Zum Glück haben wir mit der Buchmesse einen Partner, der sensibilisiert ist und uns als Architekten beauftragt hat, das Thema zu erforschen.

Im Jahr 2017 haben Sie Barrieren dokumentiert, im Jahr 2018 Prototypen ausprobiert. Was kommt 2019?

Da werden wir leider immer noch nicht bei Ihrer Vision, dass sich ein Blinder hier ohne weißen Stock orientieren kann, angekommen sein. Aber viele der Maßnahmen, die wir hier vorstellen, sind sehr gut angekommen. Darauf bauen wir im nächsten Jahr auf.

Die Messeveranstalter haben dieses Jahr auch Abholungen und Führungen für Menschen mit Behinderungen angeboten. Liegt das auch an Ihrer Initiative?

Im Rahmen unseres Projekts ist an vielen Stellen angeklungen, dass es den Bedarf dafür gibt. Daher ist es sicher auch unser Verdienst, auf solche Sachen aufmerksam gemacht zu haben. Nach dem, was ich von den Verantwortlichen höre, kommt der Dienst bei den Blinden sehr gut an und wird sehr gut genutzt. Er muss sich aber auch noch weiter herumsprechen.

Ein Blinder orientiert sich auch anhand von Geräuschen. Sie haben für Ihren Stand Halle 3 gewählt, wo sich viele Kinderbuchverlage vorstellen. Dementsprechend laut ist es. Außerdem wurde hier Teppichboden verlegt. Das macht es dem Blinden schwer, sich akustisch zu orientieren. Haben Sie nicht daran gedacht, in eine ruhigere Halle zu gehen?

Wir wollten den Ernstfall proben. Halle 3 ist eine Halle, die lebt. Gerade mit den Kinder- und Jugendbüchern spricht sie eine Altersgruppe an, die interessant ist. Wir fühlen uns hier sehr wohl. Das mit der Lautstärke und den Geräuschen ist ein interessantes Thema in der Architektur. Direkt vor uns liegen drei Arten von Oberflächen: eine ganz glatte, eine aus angerautem Beton, und daneben haben wir einen Teppichboden mit ordentlicher Tiefe. Wir bieten unseren Besuchern an, sich in einen Rollstuhl zu setzen und selber auszuprobieren: Wie sind die verschiedenen Rollwiderstände? In diese Richtung muss man weiter untersuchen: Was können solche verschiedenen Oberflächen für die Akustik tun?

Überhaupt sind die Sinne ein wichtiges Thema. Architekten und Gestalter kennen das Zwei-Sinne-Prinzip: Wenn beim Benutzer gebauter Umwelt ein Sinn ausfällt, dann müssen Gebäude und Strukturen mindestens noch einen zweiten Sinn ansprechen oder behandeln. Und da kommt die Akustik ins Spiel.

Martin Knöll ist Professor für Stadtplanung und Entwerfen im Fachbereich Architektur an der TU Darmstadt. Er leitet die Forschungsgruppe “Urban Health Games”.