Handbikerin Silke Pan gewinnt Giro d’Italia

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Einst war sie innovative Zirkusartistin. Jetzt ist sie erfolgreiche Sportlerin: Die gebürtige Deutsche Silke Pan verteidigt beim Giro d’Italia der Handbiker in Turin eindrucksvoll ihren Titel.

Der Hund liegt zu Füssen von Silke Pan – schläft tiefenentspannt. Ein gutes Zeichen: die Spitzensportlerin ist – wie der Vierbeiner Jim – noch nicht im Wettkampfmodus. Sie ist gerade angekommen, fährt am Vortag des Rennens erstmal mit ihrem Begleiter den gesamten Rennverlauf ab, um ein Gefühl für die Streckenführung zu bekommen. Im Auto, noch ist in der vielbefahrenen Innenstadt von Turin nichts abgesperrt.

4,78 Kilometer sind bei der letzten, entscheidenden Etappe des Giro d’Italia der Handbiker zu bewältigen. Ein Rennen mitten durch die Stadt Turin, über Asphaltstraßen, wenig Steigung, nur ein paar scharfe Kurven. Aber Silke Pan schreckt so was als Profi-Sportlerin nicht weiter. Sie ist in Deutschland geboren, lebt aber seit über 25 Jahren in der Schweiz und ist Bergrennen mit extremen Haarnadelkurven gewöhnt.

Bergstrecken und Straßenrennen

Silke Pan im Gespräch mit Cheforganisator Giorgio Jacontino

Auf flacher Strecke kommt es auf andere Aspekte an, sagt die routinierte Handbikerin: ein guter Start, schnelles nach vorne fahren und kontinuierlich mit Kraft das Tempo halten. Am Schluss komme es auf jede Sekunde an, die sie schnell durch zu weite Kurvenführung verlieren kann.

2017 ist Silke Pan schon einmal den Giro d’Italia im Paracycling gefahren. Der Giro der Handbiker ist längst nicht so ein Medienereignis, wie der legendäre Giro d’Italia der Radrennfahrer, über den in allen TV-Sendungen und Sportmedien berichtet wird. Nach sieben gewonnenen Etappen fuhr sie im letzten Jahr erfolgreich den Gesamtsieg für Italien ein. Für Italien? Ja. Silke Pan hat vom Weltradverband UCI eine Doppel-Lizenz erhalten, mit der sie für Deutschland oder für Italien fahren darf.

Ihre Chancen auf das rosafarbene Trikot der Siegerin in der Gesamtwertung der Frauen sind groß. Aber der Erfolgsdruck ist ihr am Vortag des Rennen anzumerken, die zierliche Rollstuhlathletin ist ungewöhnlich ernst. Aber als ehemalige Zirkusartistin kann sie das Lächeln professionell anknipsen. Nur wer sie gut kennt, spürt die Anspannung in ihrer Körperhaltung.

Strassenrennen sind am gefährlichsten

Immer dabei: Begleithund Jim

Im sonnigen Innenhof des Palazzo Beni Stablili, der Europazentrale des US-amerikanischen Energiekonzerns EATON, ist nicht viel vom Autolärm zu hören. EATON ist Hauptsponsor des Giro d’Italia di Handbike. Draußen brandet der Feierabendverkehr der Industriestadt Turin in mehrspurigen Alleestrassen. Es riecht stark nach Abgasen. Aber ab Sonntagfrüh 7 Uhr wird hier alles für das Straßenrennen abgesperrt, ein LKW bringt gerade die Absperrgitter.

Cheforganisator Marco Mazzola ist nervös. Die Proteste der Anwohner, die ihre Durchfahrtwege und angestammten Parkplätze beanspruchen, stören die minutiös geplanten Vorbereitungen. Aber die Sicherheit der Rennsportler, die mit einer Spitzengeschwindigkeit von knapp 40 km/h über den Asphalt brettern, geht vor. Im flachen Liegebike haben die Handbiker nur begrenzte Sicht, auf Fußgänger auf der Strecke könnten sie nicht rechtzeitig reagieren. Und Unfälle bei so hoher Geschwindigkeit führen schnell zu gefährlichen Karambolagen.

“Aufgeben ist keine Alternative”

Bergrennen gehören zu den Stärken von Silke Pan. Bei der Weltmeisterschaft 2016 in Schweizer Nottwil gewann sie die Silbermedaille, damals noch für den deutsche WM-Kader. Ihre größte sportliche Herausforderung, erzählt sie mit leuchtenden Augen im DW-Interview, seien allerdings die acht Schweizer Alpenpässe gewesen, die sie mit dem Handbike erklommen hat – liegend, was den Schwerpunkt beim Bergfahren noch mal stark nach hinten verlagert. Aber die Rollstuhlathletin bringt bei ihrer Größe nur wenig Gewicht aufs Handbike, das sei ein großer Vorteil am Berg, sagt sie.

Bevor Silke Pan in den Wettkampfsport des professionellen Handbiking eingestiegen ist, war sie Zirkusartistin – Bodenakrobatik und Trapezkunst. Von Kindheit an ist sie das harte und disziplinierte Trainieren gewöhnt. Schmerzen gehörten zum Alltag im Zirkus. Ein tragischer Unfall vor elf Jahren aus sieben Meter Höhe, der nicht durch ein Sicherheitsnetz abgefangen wurde, brachte den Bruch in ihrem Leben. Seitdem sitzt sie im Rollstuhl. Ein Physiotherapeut in der Paraplegiker-Klinik Nottwil in der Schweiz brachte sie mit dem Liegerad in Kontakt. Und der Rennsport war dann endlich wieder die richtige Herausforderung.

Letzte Giro-Etappe: Turin

Titel erfolgreich verteidigt: Silke Pan

Seit dem Frühjahr 2018 sind die Profisportler der verschiedenen Nationen für den Giro d’Italia unterwegs. Start war am 4. April im norditalienischen Badeort Abano Terme, weiter ging es im Sommer über Cassino, Prato, Roccarossa und am 23. September dann auf den schwierigen Kurs im Bergdorf Castagneto Carducci. Enge Straßen, unberechenbare Steigungen, all das kam zu der hohen Geschwindigkeit der Handbiker noch dazu. Im Durchschnitt fährt die Handbikerin 30 km/h.

Alle sechs vorhergehenden Etappen hatte Silke Pan schon gewonnen. Die Schlussetappe am Sonntag fiel ihr bei aller Nervosität nicht schwer: Als Tagessiegerin und als Siegerin im Gesamtklassement ist sie beim Giro d’Italia allen souverän davon gefahren. Mentalkraft ist dabei enorm wichtig, für Paracycler können kleinste Störfaktoren zum echten Handicap werden.

Schon nach der dritten Runde holte Silke Pan die vor ihr fahrenden Männer, die Minuten vor ihrer Klasse WH 4 gestartet waren, ein und zog außen an den Profisportlern vorbei. Mit einem Lächeln überfuhr sie die Ziellinie. Gewonnen hat sie mit deutlichem Vorsprung in der Spitzenzeit von 1:13:39 für 4,78 Kilometer. Erstklassig gefahren, betont der Moderator der Siegerehrung, als ihr das Rosa Trikot des Gesamtsiegers in ihrer Schadensklasse überreicht wird. Jim, ihr Begleithund kann sich bei der Nennung ihres Namens das Aufjaulen nicht verkneifen. Er ist froh, dass der Rennzirkus endlich vorbei ist.