Slowakischer Journalistenmord: Die Rekonstruktion

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Monatelang bestanden Zweifel, ob der Mord an dem slowakischen Investigativjournalisten Jan Kuciak aufgeklärt werden würde. Nun gibt es zumindest eine detaillierte Tatrekonstruktion – und Indizien zum Auftraggeber.

In der Slowakei blieben in den vergangenen zwei Jahrzehnten zahlreiche Morde mit politischem Hintergrund oder aus dem Milieu der organisierten Kriminalität unaufgeklärt – vor allem auch, weil Spitzenpolitik und Polizei auf die eine oder andere Weise verwickelt schienen. Diese Erfahrung ließ viele Journalisten im Land schlussfolgern, dass der Mord an ihrem Kollegen, dem Investigativreporter Jan Kuciak, und seiner Verlobten Martina Kusnirova wohl niemals aufgeklärt werden würde.

Nun sieht es so aus, als würden sie nicht recht behalten – glücklicherweise: Organisation und Ablauf der Mordtat sind von Ermittlern offenbar weitgehend rekonstruiert, auch zum Auftraggeber gibt es Anhaltspunkte. Eine “angenehme Überraschung” nennt einer der namhaftesten Kollegen Kuciaks, der Investigativjournalist Arpad Soltesz, die Entwicklung gegenüber der DW.

Nach einem Informationsgesuch der Tageszeitung Sme veröffentlichte der slowakische Sonderstrafgerichtshof (STS) in dieser Woche ein anonymisiertes Dokument, in dem Organisation und Ablauf der Mordtat detailliert beschrieben sind. Welche Personen jeweils gemeint sind, ist leicht herauslesbar. Die Tatrekonstruktion basiert großenteils offenbar auf den Aussagen eines der vor zwei Wochen in der Südslowakei verhafteten vier Tatverdächtigen: Zoltan A., dem Vernehmen nach der bisher einzige Aussagewillige. Die anderen drei, Tomas Sz., Miroslav M. und Alena Zs., verweigern offenbar bisher die Aussage.

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Ein lange geplanter Mord

Dem Protokoll zufolge wurde die Mordtat Ende 2017 von Alena Zs. in Auftrag gegeben. Damals traf sich die aus der südslowakischen Stadt Komarno stammende Geschäftsfrau mit ihrem Bekannten Zoltan A. und übergab ihm ein Mobiltelefon mit zahlreichen Fotos von Jan Kuciak und dazugehörigen Angaben zu seinem Wohn- und Arbeitsort. Zoltan A. wiederum beauftragte den ehemaligen Polizeibeamten und privaten Security-Mann Tomas Sz. aus dem Ort Kolarovo mit dem Mord. Für den Mord offerierte Alena Zs. 50.000 Euro in bar sowie die Bezahlung von 20.000 Euro Schulden, die Zoltan A. hatte.

Tomas Sz., der damals ein Geschäft für Nahrungsergänzungsmittel betrieb, kannte sich mit Waffen aus, hatte eine Ausbildung bei einer privaten Security- und Söldner-Firma in Polen absolviert und mehrfach als Personen- und Objektschützer gearbeitet. Als Fahrer und Komplizen wählte Tomas Sz. seinen Cousin Miroslav M.

Die beiden kundschafteten Kuciaks Wohnort, das Dorf Velka Maca 60 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bratislava, ab dem 5. Februar dieses Jahres mindestens sieben Mal aus. Am Tag des Mordes, dem 21. Februar, betrat Tomas Sz. das Haus von Kuciak und seiner Verlobten durch die offenbar unverschlossene Tür und wartete auf den Journalisten. Seine Verlobte zu ermorden, war ursprünglich nicht geplant, Tomas Sz. erschoss sie jedoch, weil sie sonst Zeugin gewesen wäre. Sz. tötete Kuciak mit zwei Schüssen in die Brust, seine Verlobte mit einem Kopfschuss. Martina Kusnirova war sofort tot, Kuciak selbst lebte zunächst noch und verblutete. Wie lange sein Todeskampf dauerte, lässt das Protokoll offen. Gefunden wurde die Tatwaffe bisher nicht, allerdings fand die Polizei bei der Durchsuchung vom Tomas Sz.s Haus Munition, die identisch mit der 9-mm-Luger-Munition des Mordes ist.

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Hinweise über den Auftragggeber

Nach dem Mord fuhren Tomas Sz. und Miroslav M. zu Zoltan A. nach Komarom und erhielten die vereinbarten 50.000 Euro in bar. Erst am Folgetag informierte Zoltan A. seinerseits Alena Zs. darüber, dass auch Kuciaks Verlobte ermordet worden sei. Alena Zs. reagierte laut dem Protokoll offenbar äußerst nervös und verärgert darüber.

Nachdem Tomas Sz. und Miroslav M. sich über die immense Tragweite der Mordtat nach ihrem öffentlichen Bekanntwerden bewusst wurden, forderten sie noch einmal mehr Geld, was Alena Zs. schließlich auch bezahlt haben soll. Eine genaue Summe nennt das Protokoll nicht. Laut den Ermittlern besitzt Alena Zs. allerdings kein Mordmotiv, weil Kuciak sie nicht kannte und ihr Name in seinen Unterlagen nicht auftauchte, deshalb sei sie allenfalls Vermittlerin des Mordauftrages gewesen. Verdächtig fand die Polizei in diesem Zusammenhang, dass Alena Zs. aktuell beschäftigungslos war, jedoch ein finanziell aufwendiges Leben führte und bei ihrer Verhaftung 23.000 Euro Bargeld gefunden wurden.

Einen Auftraggeber der Mordtat, der ein Motiv haben könnte, nennt das Dokument nicht. Jedoch könnte es nach der bisher öffentlich bekannten Indizienlage der umstrittene Geschäftsmann Marian Kocner sein, der Kuciak im Herbst 2017 in einem Telefongespräch persönlich gezielt bedroht hatte. Kocner ist in zahlreiche kriminelle Aktivitäten verwickelt, schien aber bislang aufgrund seiner guten Verbindungen in Politik und Justiz unantastbar. Er soll der Pate von Alena Zs.s Tochter sein. Fotos, die diese Woche veröffentlicht wurden, sollen ihn bei einem Treffen mit Alena Zs. Ende letzten Jahres zeigen. Kocner selbst, der wegen Betrugsdelikten seit Juni in Untersuchungshaft sitzt, bestreitet die Vorwürfe und behauptet, er kenne Alena Zs. nicht.

Staatspräsident Kiska will Polizeiarbeit stärken

Zweifel an politischer Einflussnahme auf die Ermittlungen bleiben

Die Rekonstruktion der Mordtat an Kuciak und seiner Verlobten könnte eine Wende in der Arbeit der Polizei- und Justizbehörden in der Slowakei einleiten. Nach Meinung vieler Kollegen von Kuciak gärt es vor allem unter einfachen und mittleren Polizeibeamten seit langem gewaltig – viele sind offenbar zutiefst frustriert über die politische Einflussnahme auf viele Kriminalfälle.

Dieses Thema sprach in dieser Woche auch der slowakische Staatspräsident Andrej Kiska an. Es sei außerordentlich wichtig, dass aufrichtige Polizisten, Ermittler und Staatsanwälte bei ihrer Arbeit freie Hand durch die Polizeiführung und das Innenministerium bekämen, mahnte der Staatspräsident bei einer Veranstaltung einer Anti-Terroreinheit des Innenministeriums. “Wir müssen die Polizei zu einem Organ machen”, so Kiska, “dem die Menschen vertrauen können.”