Mein Europa: Finden Macron und Osteuropa einen gemeinsamen Kurs?

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Frankreichs Präsident hat große Pläne für die EU, aber er muss den Osten mit ins Boot holen. Er sollte sich mit den Sorgen dieser Region auseinandersetzen, schreibt der rumänische Politik-Analyst Radu Magdin.

Genau wie Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron innenpolitisch viel um die Ohren. Vielleicht mehr, als er im Moment bewältigen kann. Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, auf internationaler und europäischer Ebene besonders aktiv zu sein, den Multilateralismus und die Grundwerte der Europäischen Union zu verteidigen. Das ist ein löblicher Charakterzug in Zeiten, die für Europa turbulent sind – in der Politik und auch in anderen Bereichen.

Macron steckt mitten in einer Charmeoffensive, er versucht, Rückenwind für seine Vorschläge zur Reform der EU zu bekommen. Es ist entscheidend, dass er Freunde und Feinde erkennt – und versteht, dass strategische Interessen schwerer wiegen als Charme.

Osteuropa ist kein einheitlicher Block

Frankreich hat eine Schlüsselrolle in der EU und steht für einen kontinuierlichen Integrationsprozess. Das ist etwas, was Rumänien und andere Brüssel-freundliche Staaten unterstützen könnten – ganz anders als Ungarn oder Polen. Unter diesen Umständen ist es schwierig, Osteuropa als einen einheitlichen Block zu sehen. Macron hat sicherlich einen neuen französischen Führungsstil und mehr Elan in die EU gebracht. Er geht bereitwillig auf Konfrontationskurs mit einer gegnerischen Koalition, die von Ungarn und Italien angeführt wird. Der ungarische Premier Viktor Orban ist ein regionaler intellektueller Anführer, doch leider kein konstruktiver Akteur für Macrons großes europäisches Projekt.

In Sachen EU-Führungsstil ist Macron glaubwürdig und relativ vorhersehbar in seiner Kühnheit. Er hat bereits mehrere interessante Vorschläge vorgelegt. Die Reaktionen der östlichen EU-Staaten waren gemischt. Deutschland ist de facto weiterhin der gleichermaßen geliebte und verhasste Anführer der EU (inzwischen ist es schwierig, über einen französisch-deutschen Motor zu sprechen), während Polen, das vor kurzem auf den Status eines entwickelten Marktes heraufgestuft wurde, als Anführer der östlichen Stimmen gilt. Was die östlichen EU-Staaten wollen – von Paris, Berlin und / oder Brüssel – ist ein besserer Platz am Tisch. Ob Nationalismus und Patriotismus im Westen beliebt sind oder nicht – wir leben nun mal in patriotischen und nationalistischen Zeiten. Selbstbewusstsein ist in ganz Mittel- und Osteuropa eine starke Währung. Eine Charmeoffensive funktioniert in diesen Ländern, wenn man sie respektvoll behandelt und natürlich dasselbe von ihnen verlangt – Gegenseitigkeit ist der Schlüssel.

Gleichzeitig erwartet der Osten eine Art neuen kapitalistischen Sozialvertrag, auf dessen Basis Regierungen einerseits die Türen offen halten für die Globalisierung und ausländische Unternehmen, andererseits aber sicherstellen, dass die eigenen Bürger geschützt sind und nicht ausgenutzt werden.

Emmanuel Macron im August 2017 zu Besuch in Bukarest

Es geht nicht darum, die USA zu bekämpfen 

Die meisten osteuropäischen Staaten haben – oder wollen zumindest – gute Beziehungen zu den USA. Das bedeutet, dass es bei jedem “EU-first”-Diskurs in Osteuropa um eine Art (supra)nationale Konsolidierung der Europäischen Union gehen sollte, um Stabilität – und nicht darum, die USA zu bekämpfen. Es ist klar, dass nicht alle EU-Staaten im Osten dasselbe wollen. Das gilt sogar für die Visegrad-Gruppe: Polen bleibt wahrscheinlich an der Seite Ungarns, aber Tschechien und die Slowakei sind vielleicht weniger darauf erpicht, den euroskeptischen Botschaften aus Warschau und Budapest zu folgen. Der Umgang mit dem Thema Migration verbindet die Visegrad-Staaten, doch deren Lösungsvorschläge könnten Frankreich missfallen.  

Die Länder des Baltikums neigen eher zu einem starken Europa, in Kombination mit starken transatlantischen Verbindungen. Das gilt auch für Rumänien und Kroatien, für Bulgarien und Slowenien aber eher weniger. In einigen dieser Länder sind positive Erfahrungen mit der Einführung des Euro hilfreich. Unabhängig von den Reden auf der Akropolis – und ja, Macron versuchte es mit einer sehr stilvollen Rede – hilft es, wenn die Wirtschaft eines Landes keine griechische Tragödie erleiden musste. 

Charme ist nicht genug

Der Blick auf das Baltikum sowie die mittel- und osteuropäischen Staaten zeigt, dass Macron dort durchaus Verbündete für seine europäischen Pläne finden könnte, aber er braucht maßgeschneiderte Botschaften und von Fall zu Fall differenzierte Verhandlungsstrategien. Persönlicher Charme ist nicht genug. Wir leben in pragmatischen, zynischen und populistischen Zeiten, in denen es schwer fällt, jemandem zu vertrauen, der mit voller Leidenschaft an die EU glaubt – selbst wenn wir ihn finden. Osteuropa ist sich bewusst, dass wir alle im selben Boot sitzen, aber es möchte ein Mitspracherecht bei wichtigen Veränderungen der EU. Hier liegt die Herausforderung für jede Neugestaltung des Blocks in der nahen Zukunft. Die Europa-Wahlen im Mai 2019 könnten mehr Klarheit bringen. Wer die Entwicklung der Divergenzen zwischen Macron und Orban beobachtet, bekommt einen Eindruck davon, in welche Richtung sich die EU bewegt. Hoffentlich wird es noch eine Chance auf Fortschritt geben, wenn wir die aktuellen Probleme überwunden haben.

Radu Magdin ist ein rumänischer Analyst und Politik-Berater. Unter anderem hat er den Premier Rumäniens (2014-2015) und den Premier der Republik Moldau (2016-2017) beraten. Von 2007 bis 2012 arbeitete er in Brüssel für das Europäische Parlament, EurActiv und Google. Er gehört zur Arbeitsgruppe der “NATO Emerging Leaders” des Atlantic Council der USA.