Leben ohne Plastik – wie kompliziert ist das eigentlich?

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2016 hat DW-Reporterin Tamsin Walker beschlossen, ohne Plastikverpackungen zu leben. Zumindest war das ihr Vorsatz. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten ging es ganz gut. Aber ist sie auch dabei geblieben?

Wie sehr mein Leben abhängig von Plastikverpackungen war, habe ich in der Nacht verstanden, in der ich versucht habe, den Inhalt meines Vorratsschranks in Gläser umzufüllen. Das waren unglaublich viele Gläser, tausende, so kam es mir vor. Dass ich nun plastikfreie Verpackungen finden sollte, kam mir wie eine unlösbare Aufgabe vor. Schon hier hätte ich um ein Haar die Flinte ins Korn geworfen.

Die Aufgabe war ja nicht nur schwierig für mich, sondern vor allem auch für meine Kinder, die notgedrungen mitmachen mussten. Für sie bedeutete mein Experiment: Keine Lieblingssüßigkeiten mehr, keine der üblichen Joghurtsorten, kein Müsli aus dem Supermarkt, keine Kartoffelchips, keine Müsliriegel und natürlich auch keine Lieblingskekse. Vier Wochen sollte das Experiment dauern. Und das bedeutete vier Wochen voller Überraschungen und vielleicht nicht immer einfacher Erfahrungen.

In meinem Kopf klang der Plan ziemlich gut. Ich würde Obst und Gemüse auf dem Markt kaufen. Reis, Bohnen, Nüsse und ähnliches gibt es in Supermärkten, die ganz auf Verpackungen verzichten. Käse, Fleisch und Brot wollte ich nur noch in Läden kaufen, die meine eigenen Behälter akzeptieren.

Für mich selbst fasste ich den Plan, auf flüssiges Shampoo zu verzichten. Auch Duschbad gibt es ja in fester Form. Außerdem wollte ich alles mögliche andere selbst herstellen. Wie schwer kann das schon sein, dachte ich.

Plastikfrei leben macht eine Menge Arbeit, leider gelingt auch nicht alles sofort

Einbahnstraße im Kopf

Für eine Weile waren meine Bemühen allerdings ziemlich frustrierend. Plastikfrei zu sein, diese Idee bestimmte mein Leben, verfolgte mich sogar in meinen Träumen. Mehr noch: Einmal habe ich den Abfluß meiner Spüle in der Küche mit einer klebrigen Mischung aus Wachs und Kokosbutter verstopft. Eigentlich wollte ich Feuchtigkeitscreme herstellen.

Um meinen Kindern etwas Süßes zu bieten, habe ich mich an Esspapier aus getrocknetem Erdbeermark versucht. Nicht sehr erfolgreich, zugegeben. Genauso wenig Glück hatte ich mit meinen süßen Aprikosenküchlein.

Ich habe auch versucht, Zahnpasta selbst zu machen. Sie schmolz in der Wintersonne. Am Ende haben wir auf eine gekauften Zahncreme zurückgegriffen – die war immerhin in einer Metalltube mit Plastikdeckel.

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Es gibt aber auch positive Meldungen: Bambuszahnbürsten zum Beispiel, oder Toilettenpapier ohne Plastikanteil, nachfüllbare Reinigungsmittel, immer wieder verwendbare Plastiktüten und die unschlagbare Erfahrung, auf welche Läden ich in meiner Umgebung zählen konnte, die mich mit meinen eigenen Verpackungen nicht wieder nach Hause schickten. Viele waren das übrigens nicht, vor allem Supermärkte stellten sich quer. Einkaufen insgesamt wurde zu einer sehr zielgerichteten Sache.

Weil die Erfahrungen insgesamt positiv waren, beschlossen wir (oder vor allem ich), das Experiment nach den ersten vier Wochen weiterzuführen. Jede Plastiksünde, die wir begingen, landete in einem leeren Joghurtglas, sodass wir sehr genau sehen konnten, wo es noch haperte.

In jedem der drei Monate, die das Experiment schließlich dauerte, haben wir ein solches Glas gefüllt, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir haben nicht komplett plastikfrei gelebt, aber doch genug, dass es sich nach einem kleinen Sieg anfühlte.

Ich dachte, dass wir auf einem ziemlich guten Weg waren.

Können selbstgemachte Süßigkeiten genauso lecker sein wie gekaufte? Die Antwort ist nicht immer eindeutig

Plastik ist eine windige Angelegenheit

Wie sehr man sich doch irren kann.

Wie lange es dauerte, bis sich alte Gewohnheiten wieder eingeschlichen hatten, kann ich nicht sagen. Aber sie waren wieder da.

Auch wenn ich nach wie vor Dinge ohne Verpackungen oder zumindest im Glas oder in Papier kaufe, und obwohl ich auch bei Seife und Shampoo keinen Rückfall hatte, bin ich doch nachlässig geworden.

Irgendwann hatte ich auch wieder eine Flasche Spülmittel in der Hand. Ich habe auch aufgegeben, Cremes selber herzustellen und ich habe die Zahncreme in der Metallverpackung wieder abgeschafft, nachdem ich eine negative Kritik gelesen hatte. Reden wir vielleicht besser auch nicht über die Kekse, die mir misslungen sind. Am Ende bin ich doch wieder bei denen aus dem Laden gelandet. Und immer wieder ans andere Ende der Stadt zum verpackungsfreien Supermarkt zu fahren… wer hat dafür schon die Zeit?

Also standen am Ende auch Reis und Getreide wieder in Plastik verpackt in meinen Regalen, genauso Kartoffelchips, Nüsse und Süßigkeiten. Und Käse und Tofu tauchten wieder in Folie im Kühlschrank auf.

Meiner Familie hat das gefallen, ihre klebrigen Finger und vollen Münder waren Beweis genug. Etwas aber blieb: Immer, wenn ich etwas in dieser ungewollten Verpackung kaufte, überkam mich ein unangenehmes Schuldgefühl. Ich hatte versagt, oder? Schlimmer noch, ich hatte mehr oder weniger aufgegeben.

Der Laden, der die Rettung bringt: Wer plastikfrei Leben möchte, braucht auch entsprechende Einkaufsmöglichkeiten

Das Ende ist immer ein Anfang

Aber dann hat gleich um die Ecke ein Laden aufgemacht, der auch Waren ohne Verpackung verkauft. Als ich ihn zum ersten Mal betrat, erwachte in mir doch wieder der Wunsch, meinen wenn auch kleinen Beitrag zur Lösung des Plastikproblems zu leisten.

Dieser eine Laden hatte tatsächlich sofort einen Effekt auf mich. Durch ihn wurde ein (beinahe) plastikfreies Leben sehr viel wahrscheinlicher. Ich kam an Getreide, Reis oder Nüsse ganz ohne Verpackung, völlig problemlos. Ganz zu schweigen von den Zutaten für einen Neustart meiner Karriere als Kosmetikproduzentin.

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Also zurück ins Labor. Vielleicht mit etwas einfachem, einem flüssigen Haushaltsreiniger, den ich auch zum Abwaschen benutzen kann, dachte ich. Gut, was dabei heraus kam, roch, als müsste es selbst gewaschen werden.

Trotzdem haben meine Familie und ich seitdem wieder zusammen experimentiert. Wir haben zum Beispiel Flüssigseife aus Wasser und Rosskastanien hergestellt, die wir im Park gesammelt haben. Die hielt leider nicht sehr lange. Aber wir haben gute Erfolge mit Lippenbalsam erzielt, und mit Feuchtigkeitspflege. Weil das alles so ermutigend war, habe ich beschlossen, auch der selbstgemachten Zahncreme eine neue Chance zu geben. Und zwar nach einem Rezept, das lecker klang, mit Pfefferminze und Kakaostückchen.

Das Ergebnis war nicht besonders erfreulich. Haben wir bei den Zutaten etwas durcheinander gebracht? Möglich wär’s.

So schön kann es sein, wenn alles klappt: selbstgemachte Seife in einer Seifenschale aus Holz

Gemeinsame Sache

Aber tatsächlich ist seit 2016 einiges passiert. Es gibt inzwischen so etwas wie eine plastikfreie Bewegung. Es ist kein Problem mehr, unverpackte Zahnputztabletten zu finden, Deodorant in der Dose ist ebenso zu haben, wie feste Haarspülung oder kunststofffreie Bambustaschentücher oder Klopapier.

Mir ist bewusst, dass die Suche nach solchen Dingen ein Luxusproblem ist. Trotzdem geht am Ende alles, was jeder von uns kauft, auf Kosten unseres Planeten.

In einer perfekten Welt würden diejenigen, die Gesetze machen oder Produkte herstellen, sich mehr darum kümmern. Aber weil die Welt nun mal nicht perfekt ist, und die Entscheider nicht genug tun, können wir, die wir nach Alternativen suchen und manchmal auch Dinge kaufen, die auf den ersten Blick vielleicht seltsam scheinen, doch etwas bewegen.

Ich jedenfalls habe, und das formuliere ich sehr sorgfältig, mein Gelübde erneuert. Ich möchte “so plastikfrei leben, wie es im finanziellen und zeitlichen Rahmen meiner Familie möglich ist.” Ich halte euch auf dem Laufenden.


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