Danziger Weltkriegsmuseum: Urheberrechtsstreit vor Gericht

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Ein Gericht in Danzig soll entscheiden, ob das ursprüngliche Museumskonzept dem Urheberrecht unterliegt. Der Konflikt spiegelt auch Polens Kampf um die Deutungshoheit über die Geschichte wider.

Der Streit um das 2017 eröffneteMuseum des Zweiten Weltkriegs in Danzig macht wieder Schlagzeilen. Nachdem eine neue Museumsleitung weitgehende Veränderungen am ursprünglichen Konzept von Ex-Direktor Pawel Machcewicz und seinen drei Mitarbeitern vorgenommen hatte, verklagten diese die neue Leitung wegen Verletzung des Urheberrechts. Am Mittwoch (10.10.2018) fand die erste Anhörung der Kläger statt. Die Angeklagten sollen am 17. Oktober angehört werden, mit einer Gerichtsentscheidung ist frühestens im Frühjahr 2019 zu rechnen. 

“Kein Recht einzugreifen”

Machcewicz und seine Kollegen sind der Ansicht, dass die Veränderungen die Botschaft des Museums zerstört hätten und das Museum “politisiert” worden sei. “Wir wollen keine finanzielle Wiedergutmachung, weil die Ausstellung ein allgemeines nationales Gut ist. Aber die Politiker haben kein Recht, in Ausstellungen einzugreifen. Das geschah im Kommunismus, aber in einer Demokratie geht das nicht”, so der Ex-Direktor gegenüber der DW. Er fordert daher, dass sein Ausstellungskonzept als Gesamtwerk anerkannt wird und die vorgenommenen Änderungen als rechtswidrig eingestuft werden.

Pawel Machcewicz will der polnischen Regierung nicht kampflos das Feld überlassen

Der Sprecher des Museums, Aleksander Maslowski (der neue Leiter, Karol Nawrocki, wollte auf Anfrage keine Stellung nehmen), ist über die Klage “grenzenlos verwundert”. Es sei “ein Kuriosum, dass jemand, der mit öffentlichen Geldern staatliches Eigentum geschaffen hat, einen Anspruch auf Urheberrechte erhebt. Wenn das Gericht das anerkennen sollte, gerieten alle Museen in Gefahr, weil die jeweilige Museumsleitung dann etwa 100 Jahre lang keine Änderungen vornehmen dürfte”, so Maslowski im Gespräch mit der DW.

Internationale Ausrichtung unerwünscht

Neu am größten Museumsprojekt Polens seit 1989 war, dass das Kriegsgeschehen nicht nur aus polnischer Perspektive beleuchtet werden sollte, sondern auch die Erfahrungen anderer Ost- und Mitteleuropäer sowie die internationale Dimension des Kriegs eine Rolle spielen sollten.

Grünes Licht für diese Art der Umsetzung gab es 2007 vom damaligen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Der jetzigen nationalkonservativen Regierungspartei  PiS (“Recht und Gerechtigkeit”) aber war das Museumskonzept von Anfang an ein Dorn im Auge: “Was soll es erzählen? Das Leid der Polen oder das der Deutschen?”, fragte Jaroslaw Kaczynski, Parteivorsitzender der PiS, 2008 im polnischen Parlament, als das Museum noch lediglich auf dem Papier existierte. Auf dem Parteikongress 2013 kündigte er daher an, dass die PiS das Museum nach der Machtübernahme so ändern werde, “dass die Ausstellung die polnische Perspektive zum Ausdruck bringt”. Das Museum mit seinem internationalen Charakter sei ein “Geschenk von Donald Tusk an Angela Merkel”, das gut in die “deutsche Geschichtspolitik hineinpasst”, bekräftigte Kaczynski im Juli 2017 im Radiosender “Radio Maryja”.

Gab 2007 grünes Licht für das Museumskonzept von Machcewicz: der damalige Regierungschef Donald Tusk

So durfte Historiker Pawel Machcewicz sein Lebenswerk im März 2017 zwar noch eröffnen, wurde aber nach nur zwei Wochen als Gründungsdirektor entlassen und durch Karol Nawrocki ersetzt, der begann, die Ausstellung gemäß den Vorstellungen der PiS umzugestalten: Das Museum des Zweiten Weltkriegs soll nämlich für die “Aufrechterhaltung und Verbreitung der nationalen und der Staatstradition” sorgen und dabei besonders “die polnische Geschichte während des Zweiten Weltkriegs, darunter den Verteidigungskrieg von 1939” berücksichtigen, stellte Kulturminister Piotr Glinski im April 2016 klar.  

Systematische Umgestaltung

Zu diesem Zweck wurden mehrere Veränderungen an der Schau vorgenommen: Die Zahl der polnischen Untergrundpartisanen etwa wurde von 40.000 auf mehrere Hunderttausend erhöht. Laut Museumssprecher Aleksander Maslowski sei sie unterschätzt worden. Man könne zwar von 40.000 aktiven Kämpfern sprechen, doch die polnischen Militärorganisationen im Untergrund hätten viel mehr Mitglieder gehabt und die Unterstützung der Zivilbevölkerung belaufe sich auf Millionen.

Auch Informationen über Polen, die Juden gerettet haben, hat die neue Museumsleitung hinzugefügt sowie einen Teil, der sich dem Leid polnischer Priester im Konzentrationslager Dachau widmet.

Ein Film, der sich mit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs befasst und mahnend darauf hinweist, dass auch heute noch weltweit Kriege geführt werden, wurde durch “Die Unbesiegbaren” ersetzt, einen Film, der auf pathetische Art und Weise vom polnischen Heldentum im Krieg und während des Sturzes des Kommunismus erzählt.

“Geschichte im Weltkriegsmuseum entstellt”

“Wir wollen nichts anderes, als die aus polnischer Sicht notwendige Balance wiederherzustellen”, erklärt Museumssprecher Maslowski. Die Ausstellung solle mehr auf Polens Geschichte fokussiert sein, sonst wisse man nicht, “wessen Geschichte hier erzählt wird”. Die Verantwortung für den Krieg sei von den Vorgängern “verwässert” worden.

Für Ex-Direktor Machcewicz stehen die Veränderungen am Konzept jedoch klar im Widerspruch zur Idee der Ausstellung, die auch als Warnung vor dem Krieg gedacht war. “Es war die universelle Botschaft des Museums, dass Menschen dazu neigen, Kriege zu führen, und dass wir von ihnen umgeben sind. Mit diesem Eindruck hat der Besucher das Museum verlassen.” Nun treffe man dort aber nationales “Selbstlob” und eine “primitive Botschaft” an. Damit werde die Geschichte im Weltkriegsmuseum entstellt, so Machcewicz, der auch Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die PiS-Regierung eingereicht hat. Ob der Klage stattgegeben wird, ist noch offen.

Wohin driftet Polen?

Auch Piotr Cywinski, der Direktor des Auschwitz-Museums, muss um seinen Posten fürchten

Der Streit um das Danziger Weltkriegsmuseum ist kein Einzelfall. Erbittert wird im PiS-regierten Polen um die Deutungshoheit über die Geschichte gekämpft. So muss auch der derzeitige Leiter des Auschwitz-Museums, Piotr Cywinski, darum fürchten, seinen Posten zu verlieren, weil er in den Augen der Nationalkonservativen die polnischen Kriegshelden und -opfer nicht ausreichend würdige. Bereits 2015 forderte die PiS seine Entlassung.

Der Historiker Andrzej Friszke von der Polnischen Akademie der Wissenschaften, der sich seit 30 Jahren mit der neueren Geschichte Polens beschäftigt, spricht von einem “zynischen Kulturkampf”, der sich im heutigen Polen abspiele und zur Spaltung der Gesellschaft beitrage. “Bei diesem Kampf geht es um viel mehr als nur um die Geschichte. Es geht darum, wie die Weichen für die Zukunft Polens gestellt werden, ob Polen überhaupt noch als liberale Demokratie im westlichen Sinne existieren wird.”