Technologien, um die Welt zu reparieren

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Leben retten, Gelähmten helfen und etwas gegen die Erderwärmung tun – dafür hat eine Rabbiner-Organisation drei Tech-Startups ausgezeichnet. Lisa Louis war bei der Preisverleihung in Paris dabei.

Preisträger mit Rabbiner. Von links: Claudiu Leverenz, Maoz Ben-Ari, Pinchas Goldschmidt, Uri Gabbay, Thierry Lamidieu, Ben-Zion Bobrowski

“Verbessert Ihre Technologie die Welt?” – das ist das Motto des Preises, mit dem die Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) jährlich Internet-Unternehmer auszeichnet. Eine zentrale Frage, so Mounir Mahjoubi, Frankreichs Staatssekretär für Digitales, der am Dienstagabend die Eröffnungsrede der Preisverleihung hielt, die in diesem Jahr in Paris stattfand.

“Natürlich geht es darum, Gewinn zu machen und so viele Kunden wie möglich von seinem Produkt zu überzeugen”, sagte er. “Aber digitale Technologien sollen doch auch helfen, Menschen besser zu versorgen und nachhaltiger zu produzieren.”

Die Rabbiner-Konferenz CER widmet sich normalerweise Themen wie dem Dialog der Religionen oder der Bekämpfung von Antisemitismus und Radikalisierung. Mit ihrem “Internet Entrepreneurs Prize” zeichnet sie zudem Startups aus, die neue Technologien gemäß dem jüdischen Prinzip “Tikkun Olam” nutzen – Hebräisch für “Reparatur der Welt”. Dieses Potenzial haben die drei Gewinner des Wettbewerbs, die 26.000 Euro für den ersten und jeweils 18.000 Euro für den zweiten und dritten Platz erhalten.

Ein Kasten, um Leben zu retten

Für dieses Messgerät erhielt Cardioscale aus Israel den ersten Preis

Eine kleiner Kasten des israelischen Startups Cardioscale, der viele Leben retten könnte, ist auf Platz eins gelandet. Man schnallt ihn um wie ein Blutdruckgerät. Er misst fünf verschiedene Werte – Blutdruck, Puls, die Anzahl der Atmungen pro Minute, das Sauerstoffniveau und das Kohlendioxidniveau des Körpers.

“Mit einem von uns entwickelten Algorithmus können wir dann voraussagen, ob jemand bald in einen Schockzustand verfallen wird”, erklärt Unternehmensgründer Maoz Ben-Ari.

So umgehe man einen körpereigenen Mechanismus, der gewisse Messwerte wie den Blutdruck für einige Zeit ausgleichen und so zum Beispiel bei einem Terroranschlag innere Blutungen verbergen könne. Erst kurz vor dem Kollaps zeige sich der wirkliche Zustand des Patienten, aber dann sei es oft zu spät.

Die Idee hatten vor knapp zehn Jahren der Arzt Uri Gabbay, Ben-Aris Schwiegervater, und der Elektroingenieur Ben-Zion Bobrowski. Doch 2012 wollten die beiden das Projekt schon fallen lassen, weil sie es einfach nicht vermarkten konnten.

Ben-Ari hielt sie davon ab. Der Geschäftsmann, der vorher zehn Jahre lang Diamanten verkauft hatte, gründete zusammen mit ihnen ein Startup und schloss einen Vertrag mit der israelischen Armee ab. In deren Eliteeinheit hatte er in seinen Zwanzigern als General gedient. Seitdem ist Ben-Ari das Gesicht des Unternehmens – und bereut den Berufswechsel nicht.

“Dieses Projekt zu machen ist unfassbar schwierig. Dauernd muss man Leute von unserer Idee überzeugen und versuchen, neue Gelder zu bekommen,” sagt er. “Aber die Möglichkeit, Leben zu retten, ist besser als Geld und alles Andere. Dafür lohnt es sich, morgens aufzustehen.”

Die drei Gründer haben bisher rund eine Million US-Dollar in das Unternehmen investiert und hoffen, in zwei Jahren erste schwarze Zahlen zu schreiben.

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Startup-Hochburg Israel

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Startup-Hochburg Israel

Neue Technologien für Rollstuhlfahrer

Leben zwar nicht retten, aber doch erheblich verbessern könnte die intelligente Brille des Münchner Startups Munevo, das den zweiten Preis gewonnen hat. Mit ihr können Menschen, die weitgehend gelähmt sind, über Kopfbewegungen ihren Rollstuhl lenken.

“Normalerweise machen sie das mit dem Kinn über einen Joystick, aber das ist oft sehr unangenehm und auch nicht sehr ästhetisch”, sagt Claudiu Leverenz, Mitgründer des Unternehmens. “Unsere Brille erkennt ihre Kopfbewegungen – wenn sie ihn nach hinten bewegen, fährt der Rollstuhl zum Beispiel los. Außerdem können sie über ein Menü in der Brille auch den Sitz verstellen und sogar Photos machen.”

Den Rollstuhl per Brille steuern – der zweite Preis ging an Munevo aus München

Offiziell ins Leben gerufen haben Leverenz und seine drei Mitgründer Munevo erst in diesem Jahr. Aber die Idee entstand schon 2014 – in einem Universitätsprojekt.

“Ich wollte damals Unternehmensberater im IT-Bereich werden,” sagt der Wirtschaftsinformatiker. “Aber als wir bei diesem Projekt entdeckten, wie wenig technologisch vernetzt Rollstuhlfahrer sind, dachten wir, wir müssen einfach etwas für sie tun.”

Immer wieder trafen die Studenten damals Menschen mit Lähmungen, deren Lebenskraft sie tief beeindruckte. Inzwischen haben sie mehr als 600.000 Euro an Stiftungsgeldern, staatlichen Zuschüssen und privaten Spenden eingesammelt. Das Produkt ist in Europa zugelassen.

Bald soll die erste Brille an eine Rollstuhlfahrerin in Augsburg gehen – finanziert von der Krankenkasse. In der Zukunft soll die Brille dann auch den Computer, das Handy und das Heimumfeld kontrollieren können, etwa das Licht und die Heizung.

Strom da produzieren, wo er verbraucht wird

Den Strom für diese Geräte zuhause könnte bald der sogenannte Green Pack des Unternehmens Inergys produzieren, das auf Platz drei gelandet ist. Die kleine Maschine verbindet ein Windrad mit einem Solarpanel und produziert so genug Strom für einen europäischen Haushalt mit vier oder fünf Personen.

Das Unternehmen im südwestfranzösischen Limoges liegt Gründer Thierry Lamidieu am Herzen. “Wir müssen etwas gegen die Erderwärmung tun und mehr erneuerbaren Strom erzeugen, sonst fahren wir bald gegen die Wand,” sagt er.

Windkraft und Solarenergie – für den Green Pack von Inergys aus Limoges gab es den dritten Preis

Der Green Pack ist so klein – etwas höher als fünf Meter – dass man ihn auch da aufstellen könne, wo keine konventionelle Windturbine hinpasst. Und die Kombination aus Solar- und Windenergie ergänze sich. “Nachts gibt es zum Beispiel keine Sonne, aber oft Wind”, so Lamidieu.

Inergys hat schon sechs Kunden, darunter große Unternehmen wie den Energieriesen Engie (früher GDF Suez) und den Telekommunikationsanbieter Orange. Weitere 30 könnten folgen. Bisher hat Lamidieu 1,7 Million Euro einsammeln können. Aber er brauche noch einmal circa zwei Millionen, sagt er: “Wir haben unsere Produktionskosten schon auf ein Drittel gesenkt, aber wir müssen sie noch einmal halbieren.” So könne das Unternehmen in zwei bis drei Jahren rentabel werden.

Mit dem Preisgeld noch mehr Gutes tun

Für den Preis haben sich dieses Jahr rund 500 Unternehmen beworben. Vor fünf Jahren, bei der ersten Ausgabe, waren es lediglich 50. “Es ist einfach toll, dass immer mehr Leute mitmachen,” sagt Pinchas Goldschmidt, CER-Präsident und Oberrabbiner von Moskau. “Unseren Gewinnern hilft der Preis oft zum Durchbruch, um noch mehr Gutes zu tun.”

Das wollen die drei Preisträger sofort. Cardioscale wird mit dem Geld Messgeräte für Sanitäter für Rettungsdienste in Frankreich und Israel finanzieren. Munevo will mit der Prämie mehr als ein Dutzend Brillen an gelähmte Kinder im Alyn-Krankenhaus im israelischen Jerusalem spenden. Und Inergys wird einen Green Pack an ein Dorf in einem Entwicklungsland stiften. Das Unternehmen ist gerade auf der Suche nach einer Nichtregierungsorganisation, die dabei vermitteln könnte.


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