Europarat ehrt tschetschenischen “Memorial”-Chef Ojub Titijew

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Der russische Menschenrechtler sitzt wegen angeblichen illegalen Drogenbesitzes in Untersuchungshaft. Ein politisch motivierter Prozess, sagen Beobachter. Titjew erhält den diesjährigen Vaclav-Havel-Preis des Europarats.

Ojub Titijew

Der 2013 geschaffene Menschenrechtspreis, benannt nach dem früheren tschechischen Präsidenten und Dissidenten, geht in diesem Jahr nach Tschetschenien. Ausgezeichnet wurde Ojub Titijew, der die Vertretung der renommierten Menschenrechtsorganisation “Memorial” in der russischen Teilrepublik am Nordkaukasus leitet. Titijew leiste in Tschetschenien eine wichtige Arbeit zur Verteidigung der Menschenrechte, betonte die Präsidentin der Versammlung, Liliane Maury Pasquier, bei der Ehrung in Straßburg. Die mit 60.000 Euro dotierte Auszeichnung nahm ein Stellvertreter entgegen.

Zweifel an Unabhängigkeit der tschetschenischen Justiz

Die Nachricht über die Auszeichnung erreichte den 61-jährigen Titijew in Untersuchungshaft. Ihm wird illegaler Drogenbesitz vorgeworfen. Titijew war unterwegs zu einem Treffen, als ihn Anfang Januar eine Polizeistreife außerhalb der tschetschenischen Hauptstadt Grosny stoppte. Nach Polizeiangaben fand man bei der Durchsuchung seines Autos rund 200 Gramm Marihuana. Titijew bestreitet die Vorwürfe. Die Polizei habe ihm die Drogen untergeschoben, sagt er. Im Juli begann der Prozess gegen ihn.

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Russland: NGOs und der Kreml

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NGOs in Russland – abhängig vom Kreml

Alexander Tscherkasow, Titijews Kollege bei “Memorial”, beobachtet die Verhandlung: “Wir sehen Dutzende Zeugen, die einer nach dem anderen einstudierte Lügen wiederholen. Man sieht, wie unangenehm ihnen das ist. Oder sie erfinden begeistert eigene Lügen – das, was die Wahrheit in diesem Prozess ersetzen soll”, so Tscherkasow im DW-Interview.

Da es Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz in Tschetschenien gibt, haben Dutzende russische Kulturschaffende, Journalisten und Menschenrechtler im Mai einen Brief an Präsident Wladimir Putin geschrieben. Darin forderten sie, den Prozess gegen Titijew in einer anderen Region Russlands stattfinden zu lassen. Doch dieser Appell blieb ohne Folgen. Im Falle einer Verurteilung droht dem Menschenrechtler bis zu zehn Jahre Haft. 

Letzte Menschenrechts-NGO in Tschetschenien 

Titijew hatte die Leitung des tschetschenischen “Memorial”-Büros im Jahr 2009 übernommen, nachdem seine Vorgängerin Natalia Estemirowa ermordet worden war. Immer wieder sorgt die prekäre Menschenrechtslage in Tschetschenien auch im Ausland für Schlagzeilen, so zum Beispiel Berichte über die Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen im Jahre 2017.

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“Memorial” ist die letzte einflussreiche Menschenrechtsorganisation, die in der Nordkaukasus-Republik trotz wachsenden Drucks noch aktiv ist. Eine andere NGO, das Komitee gegen Folter, fuhr 2015 nach wiederholten Angriffen und einem Brandanschlag auf ihr Büro die Arbeit in Tschetschenien zurück.

Nach dem Mord an Estemirowa ging Titijew besonders vorsichtig vor. Er sammelte und systematisierte Berichte über Entführungen, Folter, illegale Festnahmen und Morde in Tschetschenien, publizierte sie jedoch nicht unter seinem eigenen Namen. Das gab Menschenrechtlern und Journalisten in Moskau die Möglichkeit, eigene Recherchen durchzuführen und so Menschen zu helfen. 

Politischer motivierter Prozess?

Über die möglichen wahren Hintergründe von Titijews Festnahme wird gerätselt. Es heißt, alle Menschenrechtler seien dem mächtigen tschetschenischen Anführer Ramsam Kadyrow ein Dorn im Auge. Titijews Anwalt Ilja Nowikow ist fest davon überzeugt, dass die Festnahme Titijews politisch motiviert ist. “Es ist doch offensichtlich, dass Kadyrow – auch wenn er vielleicht nicht selbst den Befehl erteilt hat [Titijew Drogen unterzuschieben, Anm. d. Red.] – zumindest die Handlungen der Polizei gutheißt”, sagt Nowikow im Gespräch mit der DW.

Kadyrow selbst bestreitet jegliche Einflussnahme.