Alina Bronsky: “Scherbenpark”

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Sie flucht, sie träumt von Rache und ist doch klüger als alle anderen. Im Debütroman der deutsch-russischen Autorin Alina Bronsky schlägt sich eine junge Frau durchs Leben – mit Witz und ganz viel Wut im Bauch. 

“Manchmal denke ich, ich bin die Einzige in unserem Viertel, die noch vernünftige Träume hat. Ich habe zwei, und für keinen brauche ich mich zu schämen. Ich will Vadim töten. Und ich will ein Buch über meine Mutter schreiben.”

Wer hier in schnodderigem Tonfall, quasi beiläufig von Mordplänen erzählt, ist Sascha. Die 17-Jährige lebt in einer Hochhaussiedlung am Rande Frankfurts. Die meisten Bewohner sind wie sie russische Aussiedler. In diesem “Scherbenpark”, wie alle ihr “Russengetto” nennen, hat man zwar einen guten Blick auf die Skyline der Großstadt, aber man gehört nicht dazu. 

Alina Bronsky ist in Russland geboren. Sie wanderte Anfang der 90er Jahre nach Deutschland aus

Überdosis Realität

Sascha am allerwenigsten. Die Mutter ist tot, der Stiefvater sitzt deswegen im Knast. Vor den Augen ihrer Kinder, hat er sie und ihren neuen Freund umgebracht. Nun entwirft die 17-Jährige Szenarien, wie sie den verhassten Vadim für seine Taten büßen lassen kann: vergiften, erschießen, totschlagen?

Aber diese rotzige Göre ist keinesfalls ein russischer Racheengel. Sie ist vielmehr eine überforderte große Schwester, die sich um die zwei jüngeren Geschwister kümmern muss. Ihre Abgebrühtheit ist ein Panzer, um ihr Innerstes zu schützen. 

Nirgends gehört sie dazu. Weder akzeptieren sie die Testosteron geladenen Machos in ihrer Siedlung, noch die reichen Schnösel auf ihrem privaten, katholischen Gymnasium. Dort ist sie dank ihrer Hochbegabung gelandet. Aus ihrer Klugheit blitzt Verachtung für alle und jeden. 

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DW-Literatur-Expertin Sabine Kieselbach über “Scherbenpark” von Alina Bronsky

Fürchte die Schwachen

Die russisch-deutsche Autorin Alina Bronsky legte mit “Scherbenpark” ein stürmisches Debüt hin. Sie spielte dabei ganz bewusst mit Klischees: Natürlich gibt es hier fiese Russenbanden und grenzdebile Neonazis, natürlich fließt literweise Wodka. Trotzdem verkommen ihre Figuren nicht zu Karikaturen.

Das liegt vor allem an dem rauen, authentischen Tonfall. Es ist dieser typische “Bronsky-Beat”, den die Autorin schon in ihrem ersten Roman anschlägt, und der später in alle ihren Büchern zu spüren sein wird. 

“Fürchte diejenigen, die sich schwach fühlen, denke ich einmal mehr. Denn es kann sein, dass sie sich eines Tages stark fühlen wollen und du dich nie wieder davon erholen wirst.”

Nach einer Schlägerei mit Halbstarken verspürt Sascha das erste Mal so etwas wie Angst. Ein Warnsignal! Furchtlosigkeit, so merkt sie, kann zum Verhängnis werden. So, wie einst für ihre Mutter. Die nahm ihren alkoholkranken Mann nie ernst, bis er sie im Suff erschoss. 

In der Romanverfilmung von 2013 überzeugte Jasna Fritzi Bauer in der Rolle der wütend-verletzlichen Sascha

Alina Bronsky geht es nicht um Mitleid oder um  soziale Anklage. Es geht um Wut.Manchmal liegt in diesem Furor die einzige Chance, der Tristesse des eigenen Lebens zu entkommen. 

Alina Bronsky: “Scherbenpark” (2008), Kiepenheuer & Witsch Verlag

Alina Bronsky kam 1978 im heutigen Jekaterinburg zur Welt. Mit ihrer Familie übersiedelte sie Anfang der 1990er Jahre nach Deutschland, ihre Jugend verbrachte sie in Marburg und Darmstadt. Als Autorin und Mutter von vier Kindern lebt sie mit dem Schauspieler Ulrich Noethen in Berlin. “Scherbenpark” war in der Sparte “Jugendbuch” zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2009 sowie für den Aspekte-Literaturpreis nominiert. Der Roman erschien als Theaterstück und wurde mit Jasna Fritzi Bauer in der Hauptrolle verfilmt.