Der Herr der Hidden Champions

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Sucht man bei Google nach “Hidden Champions”, erscheinen mehr als 300.000 Einträge. Der Ökonom und Unternehmer Hermann Simon hat den Begriff vor 30 Jahren geprägt. Mit der DW spricht er über seine neue Autobiografie.

Sein Terminkalender liest sich wie der Tourplan eines Popstars: Hermann Simon ist ein international gefragter Redner. In mehr als 50 Ländern war er bereits zu Gast, alleine in den letzten zwei Jahren hat er 30 Vorträge in China gehalten. Seine Bücher wurden in 27 Sprachen übersetzt.

Simon, Jahrgang 1947, wuchs auf einem kleinen Bauernhof in der Eifel auf. Er war Professor für Marketing an den Universitäten Bielefeld und Mainz. Es folgten Stationen in Harvard und Stanford, am MIT und INSEAD, an der Keio University in Tokio und der London Business School. 1985 gründete er die Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners. Heute ist das Unternehmen, dessen CEO er bis 2009 war, der Weltmarktführer für Preisberatung. Seine kürzlich veröffentlichte Autobiografie “Zwei Welten, ein Leben” wird bald auch auf Chinesisch und Koreanisch erscheinen. Weitere Übersetzungen sind geplant.

Deutsche Welle: Nach ihnen ist kürzlich die “Hermann Simon Business School” in Shangdong/China benannt worden. Sicherlich kein alltäglicher Vorgang. Wie kam es dazu?

Hermann Simon: Ich bin sehr häufig in China mit Vorträgen unterwegs. Die Chinesen sind fasziniert von Deutschland, insbesondere vom erfolgreichen deutschen Mittelstand. Ich nenne diese mittelständischen Weltmarktführer ‘Hidden Champions’, weil sie einerseits Champions im Sinne von Weltmarktführern sind, andererseits in der breiten Öffentlichkeit aber wenig bekannt. Diese Business-Schule, die auf Initiative eines chinesischen Unternehmens zurückgeht, hat sich vorgenommen, das Hidden Champions-Konzept in China zu verbreiten.

Hat es bei der Namensgebung der Schule vielleicht auch eine Rolle gespielt, dass Sie seit 2005 zu den Top 50 der weltweit wichtigsten Management-Denker gehören? Im Thinkers50, dem entsprechenden Ranking, sind Sie auf Platz 25 gelistet – übrigens als einziger Deutscher.

Die Chinesen beobachten schon, was in der Welt vorgeht. Sie möchten natürlich die interessantesten Ideen von Management-Denkern aufgreifen und in die chinesische Wirtschaft integrieren.

Der Maestro in seinem Element: Hermann Simon bei einem Vortrag

Sie haben bereits Anfang der neunziger Jahre das Hidden Champions-Konzept geprägt. Zunächst haben Sie vielleicht selbst nicht geahnt, wie viel Potenzial sich dahinter verbirgt. Wie haben Sie diese heimlichen Weltmeister eigentlich entdeckt?

Der Ursprung war eine Diskussion mit einem Harvard-Professor, der die Frage aufwarf, warum die Deutschen im Export so erfolgreich sind. Das war 1986, als Deutschland zum ersten Mal Exportweltmeister wurde. Ich habe dann darüber nachgedacht und kam zu der Erkenntnis, dass es nicht die Großen sind, die für diesen Erfolg sorgen, sondern die vielen marktführenden Mittelständler.

1989 habe ich als Hochschullehrer die erste Diplomarbeit zu diesem Thema vergeben, später eine Doktorarbeit. Da hat der Student 39 dieser mittelständischen Weltmarktführer entdeckt. Den Begriff Hidden Champion habe ich 1990 zum ersten Mal geprägt. Das war ein Glücksgriff. Dieser scheinbare Widerspruch zwischen ‘champion’ – bekannt und ‘hidden’ – verborgen sorgte für Aufsehen. Heute haben wir in unserer Liste 1300 deutsche mittelständische Weltmarktführer – mehr als jedes andere Land der Welt.

Welcher verborgene Weltmarktführer hat Sie – vielleicht sogar bis heute – am meisten beeindruckt?

Da gibt es in Köln die Firma Igus, die sogar ein doppelter Weltmarktführer ist, nämlich bei Kugellagern aus Kunststoff und bei sogenannten Energieketten. Ich habe kürzlich in Köln einen Vortrag gehalten und den Firmennamen genannt, aber obwohl im Publikum hauptsächlich Fachleute aus der Wirtschaft saßen, kannte keiner diese Firma. Wohlgemerkt: Igus hat immerhin 3000 Mitarbeiter, ist in 40 Ländern unterwegs, aber selbst im engeren Umfeld unbekannt – und das als doppelter Weltmarktführer!

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Hermann Simon im Gespräch

Jetzt liegt Ihre Autobiografie vor mit dem Titel “Zwei Welten, ein Leben – Vom Eifelkind zum Global Player”. Worin lag für Sie der Reiz, dieses Buch zu schreiben?

Wenn man älter wird, dann hat man den Drang, Lebenserfahrungen aufzuschreiben und jungen Leuten Ratschläge zu geben. Mir selbst ist beim Schreiben bewusst geworden, dass ich sehr unterschiedliche Dinge erlebt habe. Ich bin auf einem kleinen Bauernhof in einem Eifeldorf, also mitten in der Provinz aufgewachsen, habe später einige Jahre in Amerika an führenden Universitäten gelehrt, dann kam die asiatische Phase. Ich war 16 Jahre Universitätsprofessor, bin dann Unternehmer geworden und habe die Universität verlassen. Ich denke, dass das insgesamt ein interessantes Spektrum besonders für junge Leute ist.

Wobei ich sagen muss, dass man ein solches Leben nicht planen kann. Man muss das gut machen, was man im Moment gerade tut und dann werden sich Chancen ergeben. Man braucht allerdings auch die Courage, diese Chancen zu ergreifen. So habe ich beispielsweise mit 48 Jahren meine Lebenszeit-Professur aufgegeben und bin in die unternehmerische Selbstständigkeit gegangen.

Wie schwer fiel Ihnen damals dieser Schritt heraus aus dem sicheren Hafen des akademischen Betriebes hinein ins kalte Wasser des privaten Unternehmertums?

Erstaunlich leicht. Ich habe es auch nie bedauert, obwohl meine Kollegen an der Hochschule das überhaupt nicht verstanden haben. Eine gut dotierte Professur gibt man doch nicht auf, hieß es da. Aber wenn es so etwas wie eine Berufung gibt, war meine Berufung wahrscheinlich doch, Unternehmer zu werden, praktisch zu arbeiten. Ich war sicherlich kein schlechter Hochschullehrer – zumindest sagen mir das frühere Studenten. Ich habe interessante Vorlesungen gehalten, kann auch ganz gut vortragen. Aber die unternehmerische Tätigkeit hat mir letztlich doch mehr Erfüllung gegeben als die Arbeit im Elfenbeinturm der Universität.

Nicht nur Erfüllung, sondern auch Erfolg – die Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners, die Sie damals gemeinsam mit Ihren ersten Doktoranden gegründet haben, ist mittlerweile mit 1200 Mitarbeitern in 25 Ländern ja auch Weltmarktführer beim Thema Preis-Beratung und -Management. Da frage ich doch mal ganz naiv: Welche besondere Rolle kann denn der Preis eines Produkts überhaupt spielen?

Ich bin tausende Male gefragt worden, was das Wichtigste beim Preis ist. Und meine Antwort ist immer: Der Wert für den Kunden oder der Kundennutzen. Denn die Bereitschaft, einen bestimmten Preis zu zahlen, hängt natürlich davon ab, für wie wertvoll der Kunde das Produkt hält.

Wir haben beispielsweise für die Deutsche Bahn die Bahncard erfunden – eine seit langem sehr beliebte kostenpflichtige Rabattkarte. Der Gedanke dahinter war, dass die Leute die Bahn mit dem Auto vergleichen. Beim Auto rechnen sie nur mit dem Preis für das Benzin. Aber es gibt auch Fixkosten beim Auto, während man bei der Bahnfahrkarte alles in einem Preis bezahlen muss.

Also haben wir den Preis bei der Bahn aufgespalten in einen fixen Teil – das ist die Bahncard – und in einen variablen Teil. Das ist bei der Bahncard 50 dann nur noch die Hälfte des vollen Preises. Damit sind wir der Struktur des Autos näher gekommen. Und für Bahncard-Inhaber wurde die Bahn natürlich viel wettbewerbsfähiger gegenüber dem Auto, weil sie eben nur 50 Prozent des normalen Preises bezahlen müssen.

Inwieweit war Ihre Forscher-Tätigkeit als Universitätsprofessor die Grundlage für Ihren geschäftlichen Erfolg?

Der Sinn von Forschung besteht ja nicht darin, im theoretischen Raum hängen zu bleiben. Sondern es geht darum, die Praxis zu verbessern – sei es in der Technik, sei es in der Unternehmensführung. Genau das haben wir gemacht und das war mein Ziel. Wir haben gerade auch vielen deutschen Unternehmen geholfen, ihre Gewinne etwas zu verbessern – für Deutschland ein großes Problem. Deutschland lag lange Zeit im internationalen Vergleich von 23 OECD-Staaten ganz hinten bei den Gewinnraten. Mit unserer Beratertätigkeit in Sachen Preismanagement haben wir den kleinen Beitrag geleistet, dass das etwas besser wurde.