Lea Rosh: “Wir wollen keine neue Mauer!”

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Die Initiatorin des Holocaust-Mahnmals zählt zu den schärfsten Kritikerinnen des Kunstprojekts DAU in Berlin. Sie ist gegen den Aufbau eines Teils der Mauer. Im DW-Interview erläutert sie ihre Gründe.

DW: Frau Rosh, die Initiatoren des Kunstprojekts DAU wollten eine 3,60 Meter hohe Betonmauer um das Areal zwischen Unter den Linden und Französischer Straße errichten. Eine Mauer mitten in Berlin – ist das für Sie vorstellbar?

Lea Rosh: Das war für uns eben gar nicht vorstellbar. Hier sollten tonnenschwere Mauerteile verbaut werden. Ein öffentlich zugänglicher Bereich wäre wochenlang für das private und kommerzielle Projekt blockiert gewesen. Da hat jemand 6.6 Millionen Euro zu vergeben. Ich kann mir schon vorstellen, dass das für viele in der Stadt, auch für den Leiter der Festspiele (die Berliner Festspiele sind Veranstalter des Kunstprojekts DAU, Anm.d.R.) sehr verlockend ist. Wir hatten hier die Mauer wirklich lange genug. Mit all den schlimmen Erfahrungen, die die Menschen, die hinter der Mauer gelebt haben, machen mussten. Noch eine Mauer, das wollten wir nicht!

Hinter dieser neuen Mauer sollte ein fiktives totalitäres System entstehen. Das klingt nach einer Art Disneypark-DDR. Veralbert das die Toten des DDR-Regimes?

Vorstellung des Mauer- und Kunstprojekts “DAU Freiheit” kürzlich in Berlin

Ich finde, sie werden damit verhöhnt. Mich haben Leute angerufen, die sagten: ‘Wir haben in Hohenschönhausen gesessen.’ Zum Beispiel ein junger Mann, der sagt, er wird seine Depressionen nicht los, mit denen er zu kämpfen hat, und zwar jeden Tag. Der ist in Behandlung seit vielen Jahren. Eine Frau war in Hohenegg. Man kann sich diese Orte in Hohenegg und in Höhenschönhausen doch noch anschauen. Da lässt sich zeigen und vermitteln, was es heißt, im Knast zu leben. Dazu brauchen wir die Mauer nicht wieder erzurichten.

Geschichte durch eine Kunstaktion sinnlich erlebbar machen, ist so etwas durch die Kunstfreiheit gedeckt?

Man kann vieles machen. Aber die realen Gefängnisse existieren ja immer noch. Die kann man besichtigen. Da brauchen wir kein künstliches Gefängnis aufzubauen.

Handelt es sich um eine künstlerische Provokation, die ins Leere geht, weil sie die Verbrechen des Kommunismus banalisiert?

Ja. Und auch die Opfer äußern sich in dieser Richtung. Ich könnte Ihnen vorlesen, was die Leute geschrieben haben. Von denen, die die Verbrechen am eigenen Leib erfahren haben, gibt es eine totale Ablehnung.

Ist eine Kunstaktion, Frau Rosh, überhaupt die richtige Aktion, um an den Totalitarismus zu erinnern? Bräuchte es stattdessen nicht eher ein Mahnmal?

Mahnmale haben wir doch – Hohenegg und Hohenschönhausen!

Ist eine Kunstaktion eher eine Versuchsanordnung, während ein Mahnmal der Versuch ist, eine zeitlose und gesellschaftlich akzeptierte Form für das Erinnern zu finden?

Die Mauer ist kein Eventspielzeug. Insofern bleib ich dabei. Das Bedenkliche ist ja, DAU soll auch in Paris und London errichtet werden. Irgendetwas wollen sie auch dort errichten, aber ohne Mauer! Es scheint also auch ohne Mauer zu gehen. Warum müssen wir dann in Berlin, wo die Mauer mit schmerzhaftesten Erinnerungen verbunden ist, eine Mauer errichten?

Sie wissen aus leidlicher Erfahrung, dass auch Mahnmale umstritten sein können. Denken Sie nur an ihren langen Kampf um das Berliner Holocaust-Mahnmal….

Lea Rosh (ganz rechts) bei der Eröffnung des Holocaust-Mahnmals 2005

Na gut, aber zwei Drittel der Abgeordneten im Deutschen Bundestag haben nach einer fünfstündigen Debatte dafür gestimmt. Ich weiß, wie umstritten das ist. Aber die Stätten des Holocaust, die sechs Vernichtungsstationen, die sind alle in Polen. Die stehen nicht hier. Deshalb haben wir in Berlin das Holocaust-Mahnmal errichtet, diese Skulptur aus Stelen und das kleine Museum. Aber DDR haben wir ja noch hier…

Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat sich enttäuscht über die Absage gezeigt. Sie dagegen sind erleichtert?

Eine Mauer ist keine Aussage zu dem, was Gefängnis und Totalitarismus bedeuten. Deshalb wollen wir keine neue Mauer.

Die Journalistin und Publizistin Lea Rosh (Jahrgang 1936) gehörte mit dem Historiker Eberhard Jäckel zu den Initiatoren des Berliner Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Das Mahnmal, das von Peter Eisenman entworfen wurde, besteht aus 2711 quaderförmigen Beton-Stelen und wurde am 10. Mai 2005 eingeweiht.

Mit Lea Rosh sprach Stefan Dege.