Deutschsein ist kein Zuckerschlecken: Liebe auf den ersten Ton

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Vor 30 Jahren kam Zhang Danhong nach Köln. In den kommenden Wochen erzählt sie von ihrer ersten Begegnung mit der deutschen Sprache und ihrer Integration in diesem für sie rätselhaften Land. Es begann mit einer Prüfung.

Zhang Danhong im Brauhaus Sion in Köln

Es war eine Prüfung der besonders entspannten Art. Ich musste nur nachplappern, was mir vorgesagt wurde – Sätze in kryptischen Sprachen, die ich in meinen ganzen acht Lebensjahren nie gehört habe. Sachen nachplappern, von denen man keinen blassen Schimmer hat, das konnte ich wohl mindestens genauso gut wie ein Papagei. Zufriedenes Lächeln breitete sich aus auf den Gesichtern der Prüfer.

Eine Sprache schien mir besonders zu liegen. Metallisch und rhythmisch klang sie. Da die Silben klar voneinander getrennt waren, fand ich die Wörter und Worte klar strukturiert und leicht zu merken. Nach dem Ende der Prüfung klopfte mir die Lehrerin, die diese mir sehr sympathische Sprache immer wieder vorgesprochen hatte, auf die Schulter: “Wenn Du die politische Überprüfung bestehst, kommst Du in die deutsche Klasse.”

Wir schreiben das Jahr 1974. Die “Große Proletarische Kulturrevolution” hatte bereits acht Jahre gewütet. Wirtschaft und Bildung lagen in Trümmern. Mao holte den pragmatischen Politiker Deng Xiaoping aus der Verbannung zurück, um den schwerkranken Premier Zhou Enlai zu entlasten und die Viererbande um die First Lady in Schach zu halten. Der Schulbetrieb normalisierte sich langsam. Auch die Pekinger Fremdsprachenschule war wieder dabei, sprachbegabte und einigermaßen nett aussehende Kinder ausfindig zu machen, um sie auf eine eventuelle Diplomatenlaufbahn vorzubereiten. Doch noch wirkte der Geist der Kulturrevolution nach. Das wichtigste Kriterium für die Aufnahme war weder die schulische Leistung noch die sprachliche Begabung, sondern der politische Hintergrund der Familie. Schließlich sollten die künftigen Diplomaten politisch korrekte Wurzeln haben und rote Sprösslinge sein (根正苗红).

Deng Xiaoping sorgte in den 1970er Jahren für Ruhe und Ordnung an den chinesischen Schulen

Ein Großvater, den ich nicht kannte, wurde mein Problem

Natürlich bin ich ein roter Sprössling, davon war ich überzeugt. Schließlich waren meine Eltern anständige Kader und stolze Parteimitglieder. Doch um die Konsistenz meiner Wurzeln zu überprüfen, reichten meine Eltern nicht aus. Die Fremdsprachenschule musste ausschließen, dass sich niemand meiner vier Großeltern vor der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1949 als Kapitalist oder Großgrundbesitzer die Hände schmutzig gemacht hatte durch die Ausbeutung von Arbeitern und Bauern. Meine zierliche und zerbrechliche Oma mütterlicherseits, die seit meiner Geburt mit uns zusammenlebte, konnte ich mir beim besten Willen nicht als Ausbeuterin vorstellen. Für die anderen drei, die alle vor meiner Geburt das Zeitliche gesegnet hatten, wollte ich meine Hand allerdings nicht ins Feuer legen.

Letztendlich war mein Großvater väterlicherseits schuld daran, dass es mit der Aufnahme in die deutsche Klasse nicht geklappt hat. Dabei war er weder Kapitalist noch Großgrundbesitzer. Er sei der Intellektuelle im Dorf gewesen und für die Feldarbeit nicht zu gebrauchen, sagte mein Vater. So war er auf Saisonarbeiter angewiesen. Allein diese Tatsache führte dazu, dass er als reicher Bauer eingestuft wurde. Er habe die Hilfsarbeiter immer mit Respekt behandelt und keineswegs ausgebeutet, beteuerte mein Vater zur Ehrenrettung meines Großvaters. Mir half das nicht. Ein reicher Bauer ist eben kein Mitglied des Proletariats, auf das sich die Revolution stützt. So gesehen bin ich kein roter, sondern bestenfalls ein rosa Sprössling.

Neugierig auf die deutsche Sprache

Eine glänzende Diplomatenkarriere wurde so im Keim erstickt. Mitleidige Blicke begleiteten mich in der Schule und zu Hause. Im Nachhinein denke ich, dass ich meine gar nicht vorhandene Trauer noch ein wenig kultivieren und das schlechte Gewissen meines Vaters hätte ausnutzen sollen. Dann hätte ich wahrscheinlich eine ganze Weile Narrenfreiheit genießen können.

Doch ich war damals überhaupt nicht geknickt. Im Gegenteil: Dass mir die deutsche Klasse verwehrt wurde, löste bei mir eine klassische Trotzreaktion aus: Diese komische Sprache, die so hart und abgehackt wie Marschbefehle klang – die konnte mir ganz und gar gestohlen bleiben. 

Der Dichter und Revolutionär Guo Moruo

Nach dieser Trotzphase erwachte jedoch wieder eine gewisse Neugierde in meinem tiefsten Inneren. In der kleinen Bibliothek meiner Eltern suchte ich nach deutscher Literatur und stieß auf Goethes “Faust”, übersetzt von Guo Moruo, einem Weggefährten von Mao und großartigen Dichter. Später habe ich erfahren, dass Guo der deutschen Sprache gar nicht mächtig war. Er ließ sich die Geschichte von Doktor Faust, Gretchen und Mephisto erzählen und schrieb seine eigene Dichtung. Von der Sprache des Dichter-Duos war ich überwältigt, auch wenn ich den Inhalt von “Faust” damals null verstanden habe. Ich war ja erst zehn Jahre alt.