Mosambik: Die multilinguale Grundschule

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Wenn Erstklässler in Mosambik in die Schule kommen, verstehen die meisten ihre Lehrer nicht: Unterrichtet wird auf Portugiesisch, egal welche der über 40 lokalen Sprachen die Schüler sprechen. Das soll sich nun ändern.

Schüler, die ihre Arme hochwerfen, um Fragen zu beantworten oder dem Lehrer in einem aufgeregten Redefluss ihre Erlebnisse berichten: Das fehlt in den Klassenzimmern der Grundschulen Mosambiks. Viele der Schulanfänger können dem Unterricht nur schwer oder gar nicht folgen. Gerade einmal zehn Prozent der Schüler verstehen zum Schuleintritt Portugiesisch, die offizielle Unterrichtssprache. Bis zur Einschulung sprechen die meisten Zuhause nur eine der über 40 lokalen Sprachen des Landes. Das wirkt sich stark auf die Kinder aus: “Der schulische Misserfolg ist für 89,2% der Mosambikaner beim Eintritt in die erste Klasse vorbestimmt, wenn man weiterhin ihre Muttersprache aus dem Klassenzimmer ausschließt”, sagt Conceita Sortane, Ministerin für Bildung und menschliche Entwicklung in Mosambik.

Nur eine Amtssprache, die viele Schüler nicht verstehen

Portugiesisch ist trotz der Sprachenvielfalt in Mosambik die einzige Amtssprache – oder gerade deswegen. Für viele Mosambikaner ist die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht Portugal die einzige Möglichkeit, sich untereinander zu verständigen. Nur: Für die meisten ist Portugiesisch bis zum Schuleintritt eine unbekannte Fremdsprache. Zahlreiche Studien belegen jedoch, dass gerade die Muttersprache besonders wichtig beim Lernen und Verstehen ist. In ihrem “Global Education Monitoring Report” von 2016 kommt die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) zu dem Schluss, dass Kinder mindestens sechs Jahre lang muttersprachlichen Unterricht brauchen, um Wissenslücken zu verringern. Nun will Mosambik neben Portugiesisch und der Gebärdensprache 23 der lokalen Landessprachen als Unterrichtssprachen in die Grundschulen bringen. 

Viele Kinder in Mosambik werden auf Portugiesisch unterrichtet

Das Großprojekt findet zahlreiche Unterstützer: “Associacao Progresso” setzt sich schon seit Jahren für eine verbesserte Alphabetisierung in Mosambik ein. Die Hilfsorganisation gibt unter anderem mit Erst- und Zweitklässlern Nachhilfe im Lesen. Das Hilfsprojekt  “Food for Knowledge” (FFK) verteilt Bücher und Unterrichtsmaterialien an die Lehrer – zumindest in der Lokalsprache Changana, die in südlicheren Teilen des Landes und in der Hauptstadt Maputo gesprochen wird. Die Hilfsorganisationen bieten auch spezielle Fortbildungen für Lehrer an.

So können die Lehrer in den ersten Schuljahren den Unterricht auf Changana halten. Erst ab einem Alter von etwa zehn Jahren sollen die Schüler in den portugiesischen Unterricht wechseln. Durch die neuen Modelle können viele junge Mosambikaner ihren Bildungsweg in ihrer Muttersprache beginnen. Für den Lehrer Armindo Ngunga ist jetzt schon klar: “Wir müssen uns unbedingt befreien”. Für den Lehrer ist die Kolonialsprache wie eine Fessel.

Künftig sollen die Kinder erst ab einem Alter von 10 auf Portugiesisch unterrichtet werden

Bevor das Konzept wirklich greift, müssen noch einige Hindernisse überwunden werden. In Mosambik herrscht schon jetzt Lehrermangel, und auch das Budget für die Lehrerausbildung ist gering. Um Unterricht in lokalen Sprachen zu halten, braucht es aber Training, denn bisher erklären die Lehrer ihren Stoff nur auf Portugiesisch. Bildungsministerin Conceite Sortane sieht darin kein Problem: “Unsere Lehrerausbildungsinstitute haben die Ausbildung von Lehrern sichergestellt, die in der jeweiligen Landessprache sprechen oder unterrichten können”, sagt sie. Außerdem fehlen aber noch Unterrichtsmaterialien in den Lokalsprachen. Und dann sind da noch die Eltern: Oft wollen sie, dass ihre Kinder nur auf Portugiesisch unterrichtet werden, um später nicht im Nachteil zu sein. 

Bilingualer Unterricht in jeder zehnten Schule

Etwa jede zehnte der 13.000 Grundschulen bietet mittlerweile den bilingualen Unterricht an. ADPP und FFK arbeiten mit rund 100 Schulen zusammen. Mehr als 5000 Schüler nehmen teil, 67.000 Bücher gab die Organisation bereits aus. Auch in ländlichen Gebieten verbreitet sich der muttersprachliche Unterricht Stück für Stück. Lehrer Armindo Ngunga merkt schon jetzt, dass die Schüler, die zweisprachig unterrichtet werden, den Unterrichtsstoff besser verstehen. Für ihn ist die Reform auch ein notwendiger Schritt zur Rettung der mosambikanischen Identität: “Wir werden den Menschen unsere Kultur zurückbringen”, sagt er. So werde die Muttersprache zu einem Instrument für die Entwicklung des Landes.

Mitarbeit: Romeu da Silva