Afrikapolitik made in Germany: Fair geht anders

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Vor seiner Reise in sieben afrikanische Länder wirbt Bundesentwicklungsminister Gerd Müller für einen “zollfreien Handel mit Afrika” – und erntet Häme. Die wirklichen Probleme würden nicht angesprochen, sagen Experten.

Zollfreiheit sei schon lange nicht mehr das entscheidende Thema, denn die sei für afrikanische Waren in Europa schon seit Jahren weitgehend etabliert, sagt der renommierte Entwicklungsökonom Robert Kappel im DW-Interview. Vielmehr müssten Agrarsubventionen und Handelshemmnisse thematisiert werden. Der Professor an der Universität Leipzig wirft Europa außerdem einen “Neokolonialismus” in der Währungspolitik vor. Diese Themen spare Minister Müller aber aus, auch und gerade kurz vor seiner Afrikareise. Er verkenne scheinbar, dass sich das Ungleichgewicht im Handel in den letzten Jahren weiter vergrößert habe – trotz Zollfreiheit. Kappels Urteil: “Der Minister ist einfach schlecht informiert und wird dafür zurecht kritisiert.” Ab Donnerstag ist Müller für eine Woche in Afrika unterwegs. 

Afrikas negative Handelsbilanz

Die Handelsbeziehungen zwischen Europa und Afrika entwickeln sich zunehmend zu Ungunsten Afrikas. Während in den meisten afrikanischen Ländern die Importe aus Europa und vor allem aus Deutschland leicht steigen, gehen die afrikanischen Exporte nach Europa in den meisten Ländern in der Summe zurück. 

Das liege vor allem an den Preisentwicklungen, sagt Robert Kappel. Aus Afrika kämen hauptsächlich Erdöl und Erdgas nach Deutschland und Europa, gefolgt von landwirtschaftlichen Produkten. “Die Preise für landwirtschaftliche Produkte und auch die für Öl und Gas sind in den letzten Jahren zurückgegangen. Vor allem deshalb ist die Handelsbilanz der afrikanischen Länder mit Europa negativer geworden.”

Nach Angaben der Wirtschaftsföderungsgesellschaft Germany Trade & Invest betrug der deutsche Außenhandel mit Subsahara-Afrika im vergangenen Jahr 26,1 Milliarden Euro. Vor allem die Importe sind demnach im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Dennoch machte Subsahara-Afrika in 2017 mit 1,1 Prozent nur einen verschwindend geringen Anteil am Gesamtaußenhandel aus – so wie im Jahr zuvor.  

Neue Freihandelsabkommen mit Afrika

Geht es nach dem Willen der Europäischen Union und auch der Bundesregierung, sollen künftig noch mehr europäische Waren auf afrikanischen Märkten zu finden sein. Denn inzwischen haben auch die Europäer Afrika als großen Absatzmarkt identifiziert. Bis 2050 werde ein Viertel der Weltbevölkerung in Afrika leben, rechnet die europäische Statistikbehörde Eurostat vor. Afrika sei der “schlafende Riese der Weltwirtschaft”, heißt es in Berlin und Brüssel. Und diesen Absatzmarkt will man nicht kampflos den Chinesen und Indern überlassen. Asiens Handel mit Afrika gewinnt seit Jahren an Bedeutung und Volumen.

Seit einiger Zeit verhandelt die EU deshalb mit afrikanischen Ländern über neue Handelsabkommen, genannt Economic Partnership Agreements (EPAs). Sie sehen eine fast vollständige Marktöffnung auch für europäische Waren auf den afrikanischen Märkten vor. Befürworter erhoffen sich neue Absatzmärkte für beide Seiten, eine Effizienzsteigerung durch Wettbewerb, niedrige Preise für die Konsumenten.

Doch in Afrika sorgt das für Unmut. Kritiker befürchten, dass der unbeschränkte Handel mit Europa ihre Wirtschaft noch mehr schwächen wird. Ihre Angst: Die meist überlegenen europäischen Produkte könnten afrikanische Güter in der Heimat verdrängen. Dies würde das Ungleichgewicht im Handel zwischen Europa und Afrika noch verstärken, so die Sorge.

Oft schon Realität: Importiertes Tomatenmark ersetzt heimische Tomaten. Hier protestieren Kenianer gegen die EPAs.

Nahrungsmittelimporte überwiegen – dank Agrarsubventionen

Die ungleiche Handelsbilanz hänge unmittelbar mit den massiven Exportsubventionen für europäische Güter zusammen, sagt Experte Robert Kappel. Doch für die EU und auch für die Bundesregierung sei auch der Subventionsabbau derzeit kein Thema. Dabei sei das der zentrale Kritikpunkt der meisten Entwicklungsökonomen, so Kappel: “Darüber muss gesprochen werden, alles andere ist unehrenhaft und unseriös.”

Agrarsubventionen sind nicht nur in Europa gängige Praxis. Nach Angaben der OECD subventionieren Nordamerika, Europa, Japan und China ihre Landwirtschaften täglich mit über einer Milliarde Dollar. Die höchsten staatlichen Subventionen kassierten aber Bauern und Agrarkonzerne in Europa, empört sich Kappel: “Deren Überschüsse landen billig auf den afrikanischen Märkten und konkurrieren die afrikanischen Produzenten kaputt.” Inzwischen seien die meisten Länder Afrikas zu Nahrungsmittelimporteuren geworden: 80 Prozent des Nahrungsmittelverbrauchs in Afrika komme inzwischen durch Nahrungsmittelimporte zustande. Das dürfe so nicht weiter hingenommen werden. Doch Minister Müller tue so, als ob es dieses Problem nicht gebe. “Er hat vorgeschlagen, dass die afrikanischen Regierungen ja ihre Bauern ebenfalls subventionieren könnten, aber gegen die Subventionen der europäischen Union kann kein afrikanisches Land ankommen”, so Kappel.

Versteckte Handelshemmnisse

Ein weiteres großes Hindernis für den Zugang afrikanischer Exporteure auf den europäischen Markt sehen Experten in den Gesundheits-, Sicherheits- und technischen Standards, die auf EU-Ebene festgelegt werden und auch von jedem afrikanischen Exporteuer eingehalten werden müssen.

Der CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok wertet diese als “nichttarifäre Handelshemmnisse”, also als versteckte protektionistische Maßnahmen, die nicht durch Steuern und Subventionen erzielt werden. Kurz vor der Afrikareise des deutschen Entwicklungsministers sagte Brok im ARD-Fernsehen: “Wir haben tatsächlich zu hohe Gesundheitsstandards und Verbraucherschutzstandards. Aber wir sind natürlich nicht bereit, die Gesundheitsstandards bei uns zu senken.”

Minister Müller (hier 2017 in einer äthiopischen Textilfabrik) will den Handel fördern. Doch die Hürden sind hoch

Er halte es für entscheidend, dass man den Afrikanern helfe, die entsprechenden Bedingungen zu erfüllen, sagte Brok. Ähnlich sieht es Entwicklungsökonom Kappel: “Es sollten deutsch-afrikanische Handelskammern gegründet werden, die sich mit der Vermarktung afrikanischer Produkte auf dem europäischen Markt befassen, so dass afrikanische Unternehmen die Chance haben, auf die europäischen Märkte zu kommen. Nicht nur mit Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten, sondern auch mit Industriegütern.” Bis dahin sei es allerdings ein langer Weg, denn auch hierzu seien seitens des Entwicklungsministers bislang keine Vorschläge zu vernehmen gewesen.

Afrikaner wollen unabhängige Währungspolitik

Ein weiteres Tabuthema ist laut Robert Kappel das Fehlen eigenständiger afrikanischer Währungspolitiken, die auf die Bedürfnisse afrikanischer Volkswirtschaften ausgerichtet sind. Künstlich überbewertete afrikanische Währungen, die an den US-Dollar oder den Euro gekoppelt sind, verteuerten afrikanische Exportprodukte auf dem Weltmarkt und verhinderten Auslandinvestitionen in Afrika.

So seien die CFA-Franc-Zonen in West- und Zentralafrika – ein Überbleibsel aus der französischen Kolonialzeit – der Versuch, eine Art Währungskolonialismus aufrecht zu erhalten: “Durch die überbewertete Währung des CFA-Franc behindern wir die Industrialisierung in den afrikanischen Ländern. Deren Unternehmen können auf dem Weltmarkt nie wettbewerbsfähig werden.”

Afrikanische Volkswirtschaften sollen gefördert – und so der Flucht nach Europa vorgebeugt werden

Mantra: Fluchtursachen bekämpfen

Die einwöchige Reise des Entwicklungsministers führt ihn in sieben afrikanische Länder: Nach Eritrea, Äthiopien, Mosambik, Botswana, Simbabwe und Tschad steht zuletzt Ghana auf dem Reiseplan. Im Gespräch mit der Bundeskanzlerin und Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo wird es dort um die Reformpartnerschaft beider Länder und neue Investitionsmöglichkeiten gehen. Durch neue Arbeitsplätze sollen jungen Ghanaern Zukunftsperspektiven geboten und Fluchtursachen bekämpft werden.

Wird die Reise des Bundesentwicklungsministers entscheidende Impulse für eine Verbesserung der Handelsbeziehungen mit Afrika bringen? Robert Kappel ist skeptisch. Zu viele Themen würden totgeschwiegen. Der Entwicklungsökonom gibt aber zu: “Rhetorisch kommt man stark rüber, wenn man von fairen Handelsbedingungen spricht.”