Jesidin trifft in Deutschland auf IS-Peiniger

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Die traumatische Vergangenheit, der sie entfliehen wollte, holte eine junge Yesidin in Deutschland ein: Ihr Kidnapper vom “Islamischen Staat” bedrohte sie auf offener Straße. Die Behörden scheinen machtlos.

Und wieder ist sie auf der Flucht: Ashwaq Haji Hamid, eine junge Frau aus der Religionsgemeinschaft der Jesiden, hat mit ihrer Familie Deutschland verlassen – das Land, in dem sie sich eigentlich endlich sicher fühlen wollte. Denn der Kämpfer der Terrormiliz “Islamischer Staat”, der sie in Mossul gefangen genommen hatte, stellte sich ihr in der kleinen Stadt Schwäbisch Gmünd in Baden-Württemberg auf der Straße in den Weg.

2015 war Ashwaq Haji Hamid mit ihrer Familie nach Baden-Württemberg gekommen, in einem Programm, das Jesidinnen unterstützte, die der Gewalt des IS ausgesetzt gewesen waren. Ein Jahr zuvor hatte die Terrormiliz die Massaker an der jesidischen Bevölkerung im Nordirak verübt, die Vereinten Nationen stufen sie als Völkermord ein. Viele Frauen und Kinder wurden von den Extremisten entführt und verkauft. Ashwaq war zehn Monate in der Gewalt des Mannes gewesen, der sie nun in Deutschland in aller Öffentlichkeit anging.

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Verschleppte Jesiden

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Eine Frau kämpft für verschleppte Jesidinnen

“Ich bin aus dem Irak geflohen, damit ich sein hässliches Gesicht nicht mehr sehen muss und alles vergessen kann, was mich daran erinnert. Ich war schockiert, ihn in Deutschland zu treffen”, erzählte Ashwaq Haji Hamid dem Onlineportal InfoMigrants, das von der Deutschen Welle, France Médias Monde und Italiens Nachrichtenagentur ANSA betrieben wird. “Zum ersten Mal sah ich ihn 2016. Es war wirklich derselbe Mann. Er hat mich gejagt. Als er mich zum zweiten Mal traf, trat er dich an mich heran und sagte mir: Ich weiß alles über dich.”

Ermittlungen ins Stocken geraten

Nach den Gräueltaten des IS, die sie erdulden musste, wollte Ashwaq Haji Hamid in Deutschland ein neues Leben beginnen. Sie hat die Polizei informiert, aber sie fühlt sich nicht sicher, solange ihr Kidnapper frei herumläuft. “Wenn ich ihn nicht getroffen hätte, wäre ich in Deutschland geblieben. Ich wollte meine Ausbildung abschließen und hier ein normales Leben führen.”

Die baden-württembergische Polizei hat im März zu ermitteln begonnen. Später übergab sie den Fall der Bundesanwaltschaft. Aus der Behörde heißt es, sie sei nicht in der Lage, den Mann zu identifizieren. Die Ermittlungen sind ins Stocken geraten, “da die Zeugin für Rückfragen aktuell nicht erreichbar ist”, so das Landeskriminalamt Baden-Württemberg auf Twitter.

Ein Sprecher des Generalbundesanwalts sagte der Zeitung “Die Welt”, seit Juli sei das Ermittlungsverfahren in der Schwebe.

Andere Frauen in Deutschland schützen

Die Kämpfer des “Islamischen Staates” töteten 2014 im Irak laut UN-Angaben mehr als 5000 Jesiden und entführten bis zu 10.000 von ihnen. Von fünf Brüdern und einer Schwester von Ashwaq Haji Hamid fehlt bis heute jeder Spur. Während die UN in der Heimatregion der Jesiden im Nordirak Häuser wieder aufbauen, glauben viele der Betroffenen, dass die Bedrohung durch den IS nicht verschwunden ist. Ashwaqs Vater denkt, dass seine Familie im Irak immer noch in Gefahr ist, vor allem, nachdem seine Tochter ihre Erlebnisse geschildert hat. Er hofft, mit den Seinen in ein Land gehen zu können, in dem sie sich endlich sicher fühlen.

Fürs erste lebt Ashwaq Haji Hamid mit ihren Eltern in einem Flüchtlingslager in Irakisch-Kurdistan. Sie drängt die deutschen Behörden sicherzustellen, dass andere geflüchtete Jesidinnen nicht das gleiche Schicksal erleiden wie sie. “Ich erwarte nichts von Deutschland – außer, dass dieser Mann bestraft wird. Und dass den Behörden klar wird, dass es viele Frauen gibt, deren Geschichte der meinen gleicht und dass sie sie vor dem IS schützen.”


  • Neue Hoffnung für jesidische Opfer des IS

    Hoffen auf Hilfe

    Zwei Jahre war die heute 23-jährige Perwin Ali Baku mit ihrer Tochter in der Gefangenschaft der Terrormiliz Islamischer Staat. “Ich fühle mich nicht gut”, sagt sie. Heute lebt sie in einem Flüchtlingslager im Norden des Irak, gemeinsam mit ihren Schwiegereltern. Aber Ali Baku ist angespannt: “Ich kann einfach nicht mehr schlafen”, sagt sie.


  • Neue Hoffnung für jesidische Opfer des IS

    Quälende Flashbacks

    Wenn Ali Baku laute Stimmen hört, zuckt sie zusammen. Es erinnert sie an ihre Entführer. Sie setzt große Hoffnung auf das Trauma-Zentrum im Irak. Es ist das erste seiner Art in der Region und wird als Teil eines größeren Projektes mit Geldern aus Baden-Württemberg finanziert. Durch ein Sonderkontingent konnte das Bundesland 1100 jesidische Frauen – verteilt auf 21 Städte und Dörfer – aufnehmen.


  • Neue Hoffnung für jesidische Opfer des IS

    Hilfe für Flüchtlinge im Kabarto-Camp

    Jetzt kann auch im Irak direkt geholfen werden. Auf drei Jahre ist das Programm Baden-Württembergs angelegt, 95 Millionen Euro stellt das Land dafür bereit. Die Betroffenen sollen in der Zeit mit sozial- und traumapädagogischen sowie psychologischen Maßnahmen so weit gebracht werden, mit ihrem Schicksal zurechtzukommen.


  • Neue Hoffnung für jesidische Opfer des IS

    (Noch) keine Trauma-Behandlung

    Während im 75 Kilometer entfernten Mossul die Kämpfe zwischen dem IS und den irakischen Streitkräften unvermindert weitergehen, schaffen es immer mehr Entführte, den Terroristen zu entkommen. 26 Psychiater gibt es insgesamt in der Autonomen Region Kurdistan, doch keiner ist auf Traumata spezialisiert. Zumindest noch nicht.


  • Neue Hoffnung für jesidische Opfer des IS

    Licht am Ende des Tunnels

    Die jesidische Gemeinschaft in Deutschland zählt 100.000 Mitglieder. Einer von ihnen ist der Trauma-Spezialist Jan Kizilhan. Er kam im Alter von sechs Jahren nach Deutschland und war die treibende Kraft bei der Einrichtung des Trauma-Instituts in Dohuk. Das Programm sieht vor, lokale Fachkräfte fortzubilden, so dass sie Frauen wie Perwin Ali Baku behandeln können.


  • Neue Hoffnung für jesidische Opfer des IS

    Fachpersonal ausbilden

    30 Therapeuten sollen innerhalb der kommenden drei Jahre von lokalen und deutschen Fachkräften geschult werden. Das Programm wird dann regional ausgebaut. Ziel ist es, in den nächsten zehn Jahren mehr als 1000 Psychotherapeuten auszubilden. Studenten könnten dann einen doppelten Master-Abschluss machen – in Psychotherapie und in Traumapsychologie.


  • Neue Hoffnung für jesidische Opfer des IS

    “Pflicht, zu helfen”

    Jan Kizilhan hat sich zu dem Thema auch mit dem jesidischen Oberhaupt Baba Scheich ausgetauscht, aber auch mit Tausenden jesidischen Frauen in Flüchtlingslagern: “Es geht hier um kollektive Traumata und auch um Genozid. Deshalb müssen wir helfen – es ist unsere Pflicht, zu helfen.”

    Autorin/Autor: Nadine Berghausen (dh)