Veto gegen polnische Wahlrechtsreform

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Polens Präsident Andrzej Duda geht auf Konfrontationskurs mit der nationalkonservativen PiS-Regierung: Mit seinem Veto gegen die vom Parlament verabschiedete Wahlrechtsänderung kommt er den kleineren Parteien entgegen.

Kritiker sagen, das vom Parlament beschlossene Gesetz verstoße gegen EU-Recht. Die Europäische Union sieht ab der Wahl 2024 eine Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug einer Partei ins Europaparlament vor. Nach dem neuen Wahlrecht der nationalkonservativen Regierungspartei PiS wäre diese Hürde für polnische Parteien allerdings viel höher gewesen.

Wie hoch genau, ergibt sich erst aus simulierten Hochrechnungen. Die sind offenbar so kompliziert, dass manche Experten von einer Elf-Prozent-Hürde sprechen, andere kommen sogar auf 20 Prozent.

Eine Expertenkommission des Senats, der zweiten Parlamentskammer, kam auf eine effektive Sperrklausel von 16,5 Prozent. Polen würde damit das einzige EU-Land sein, in dem die effektive Sperrklausel mehr als Dreifache der EU-Vorgabe betragen würde, bemerken die Experten in einer Analyse, die noch vor dem Veto bekannt wurde.

Hoffen auf den Präsidenten: Polnische Bürger demonstrieren gegen die Reformpläne der Regierung (Archiv)

Genau darauf bezog sich Polens Präsident Andrzej Duda zur Begründung für seinen Einspruch: Damit hätte man sich zu weit von einer proportionalen Vertretung entfernt, sagte Duda.

Die Großen werden begünstigt

Der Präsident könnte aber auch selbst von seinem Veto profitieren. Denn klar ist: Die Reform hätte es kleineren Parteien schier unmöglich gemacht, ins EU-Parlament einzuziehen. Und auf genau deren Unterstützung ist Duda angewiesen, wenn er 2020 wiedergewählt werden möchte.

Mit seinem Veto geht Duda auf die Forderung der polnischen Opposition ein, die das von der PiS vorangetriebene Gesetz seit Monaten anprangert. Sie spricht von einer “Verbetonierung” der polnischen Politik und von der “Aufteilung der ganzen Torte in zwei große Lager” und wirft der PiS vor, der eigentliche Sinn der Reform sei gewesen, mehr eigene Leute nach Brüssel und Straßburg entsenden zu können und dadurch auch mehr Geld zu bekommen.

Derzeit hat die PiS im Europaparlament 19 Sitze. Berechnet man das polnische Wahlergebnis von 2014 nach der nun abgelehnten Wahlordnung hätten die Nationalkonservativen damals 24 Abgeordnetensitze im EU-Parlament erhalten.

Präsident macht nicht mit

Staatspräsident Duda, selbst gelernter Jurist, ist gegenüber den Ideen seiner ehemaligen Parteikollegen der PiS skeptisch geworden. Er sehe sich selbst als “Hüter von Regelungen, die den Parlamentarismus, die Demokratie real machen”, und er sei nicht damit einverstanden, dass “die politische Szene in Polen so drastisch eingeschränkt” werde.

Mit Blick auf das abgelehnte Wahlrecht sagte Duda: “Es wird sich herausstellen, dass es einen großen Teil der polnischen Gesellschaft gibt, der effektiv keine Wahl treffen kann.” Das Veto gegen das PiS-Gesetz wird ihn bei der Regierung und bei den nationalkonservativen Wählern unbeliebt machen. Damit verlässt er die Rolle des PiS-treuen Staatsoberhauptes, der alle Gesetze brav unterzeichnet und wegen der er bereits als “Kugelschreiber-Präsident” bezeichnet wurde.

Das Veto von Präsident Duda (l.) gegen die Reform ist eine Niederlage für Regierungschef Mateusz Morawiecki (r.)

Ein Test vor der Parlamentswahl

Während Andrzej Duda die Reform als eine Einschränkung der Demokratie sieht, ist es für die PiS genau das Gegenteil. Die Regierungspartei argumentiert, die Reform des Wahlrechts sei ein Impuls für die Regionen, in denen die Wahlbeteiligung bisher am niedrigsten war und die jetzt mehr Mandate bekommen sollten.

Die Nationalkonservativen werden laut der meisten Umfragen der letzten Jahre von mehr als einem Drittel der Polen unterstützt. Die Europawahl, die im Mai 2019 stattfindet, wird für die Regierenden wiedermal zur Gelegenheit, die Wählerschaft zu konsolidieren und für die polnischen Parlamentswahlen im Herbst 2019 zu mobilisieren. Deshalb ist die Wahlordnung für die Europawahl so wichtig.

Die Demontage der Staates

Für die Opposition ist das Gesetz der nächste Schritt zur “Demontage des Staates”, ein weiterer Baustein in der langen Reihe von Reformen, in der sie eine Einschränkung der Demokratie und die Aufhebung der Gewaltenteilung sieht. Nach der Machtübernahme im November 2015 hat die PiS den Einfluss der Regierung auf das Verfassungsgericht, ordentliche Gerichte und das Oberste Gericht ausgeweitet.

Staatsoberhaupt Duda hatte die Justizreform damals abgenickt – ungeachtet der offenen Kritik der Europäischen Kommission, die inzwischen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet hat. Nun avanciert der Präsident vom linientreuen Parteigenossen zum Verteidiger der Demokratie und zur Hoffnung der polnischen Opposition.