“Die Politik sollte sich weniger einmischen”

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Die Regierung setze bereits richtige Anreize, um der Krise entgegenzusteuern, sagt der Textilunternehmer Kemal Sahin im DW-Interview. Dennoch müssten Institutionen wie die Zentralbank unabhängiger werden.

Für ihre Lira-Scheine bekommen Menschen in der Türkei immer weniger Euro oder US-Dollar

Vom Einzelhändler zum Großunternehmer: Kemal Sahin wollte auch nach seinem Studium in Deutschland bleiben – und sicherte sich seine Aufenthaltserlaubnis, indem er 1982 einen kleinen Geschenkeladen in der Aachener Fußgängerzone gründete. Von dort aus hat er sein Geschäft zu einem Weltkonzern entwickelt, der laut eigenen Angaben eine Milliarde US-Dollar Jahresumsatz macht und mehr als 10.000 Mitarbeiter beschäftigt – gut die Hälfte von ihnen in der Türkei. Das wichtigste Standbein sind Textilien, außerdem betreibt seine Sahinler Holding, eine Cateringfirma, Hotels, Baufirmen und eine Freihandelszone in der Türkei.

Deutsche Welle: US-Präsident Trump hat Sanktionen gegen die Türkei angeordnet. Das hat den Absturz der Lira nochmals verstärkt. Der türkische Präsident Erdogan spricht von einem “Handelskrieg”. Mit welchen Gefühlen fahren Sie in diesen Tagen morgens zur Arbeit?

Textilunternehmer Kemal Sahin

Kemal Sahin: Ich verfolge sehr aufmerksam im Radio, welche Maßnahmen die Regierung ergreift. Ich sehe auch langsam, wie die türkische Lira wieder an Wert gewinnt, gestern hat sie schon wieder fünf Prozent gewonnen.

Also haben Sie den Eindruck, das Schlimmste sei vorerst überstanden?

Es ist nicht ganz vorbei, aber die Panik ist weg. Uns geht es im Prinzip auch gut, aber die Unternehmen, die in Devisen Schulden machen, haben größere Schwierigkeiten. Die werden erst gelindert, wenn die türkische Lira wieder an Wert gewinnt.

Wie hat sich der Absturz der Lira konkret auf die Geschäfte Ihres Unternehmens ausgewirkt?

Insgesamt können wir gut mithalten, das hat unser Geschäft nicht behindert. Zum Beispiel unsere Herrenanzüge: Wir sind ein großer Partner von Zara, und von denen bekommen wir immer mehr Aufträge, weil wir gute Qualität haben, schnell produzieren und mittlerweile etwas günstiger produzieren können.

Wie laufen die Geschäfte ihrer Tochterfirmen im Inland?

In unserem Immobiliengeschäft haben wir etwas verloren, weil im Wohnungsbau mit Preisen in türkischer Währung gerechnet wird und natürlich die ausländischen Materialien wie Stahl teurer werden. Wir haben auch eine Cateringfirma in der Türkei, da haben wir nicht so viel verloren, weil wir in Lira einkaufen.

Und dann betreiben Sie noch eine Freihandelszone in Çorlu westlich von Istanbul. Ist es für die nicht sogar von Vorteil, wenn die USA ihre Zölle erhöhen?

Das ist auf jeden Fall so, wir haben dort auch amerikanische Firmen. Die Firmen, die sich bei uns ansiedeln, sind oft Technologiefirmen, das ist für die Türkei sehr gut. Außerdem gibt es dort keine Zölle. Das heißt, sie sind weniger betroffen von Trumps Maßnahmen. Dort können Firmen in Ruhe produzieren und weltweit verkaufen, das ist für solche Zeiten ein besserer Investitionsstandort.

Wie sieht es mit Rohstoffen und Produktionsmitteln aus, die sie für ihre Textilfabriken in die Türkei importieren müssen?

Wir importieren zum Beispiel Garn aus Pakistan und Usbekistan, zum Teil auch aus Amerika oder Griechenland, den größten Anteil kaufen wir jedoch in der Türkei. Aber auch türkische Baumwolle wird in Dollar verrechnet, weil auch türkische Baumwolle an den Börsen gehandelt wird. Diese Preise steigen, da haben wir keinen Vorteil. Und wir importieren auch Maschinen oder Farbstoffe, die kommen aus dem Ausland und werden in Dollar verrechnet. Der größte Teil der Wertschöpfung passiert jedoch, wenn unsere Mitarbeiter in der Türkei Baumwolle zu Garn und zu Stoff verarbeiten, dadurch werden wir profitabler. Im Export von Konfektionsgütern nach Deutschland haben wir so größere Vorteile als Nachteile.

Der Kurs der Türkischen Lira seit Jahresbeginn 2018

Also ist für Sie der Absturz der Lira gar nicht mal schlecht?

Die Türkei wird für den Textilbereich jetzt, wo alles etwas günstiger wird, interessant für europäische Märkte. Gerade ist mein Manager unterwegs, er hat mir berichtet, er habe Aufträge für zehn Millionen Euro in Spanien bekommen.

Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Regierung Erdogan?

Letzte Woche war die Entwicklung sprunghaft und die Türkei hat an Vertrauen verloren. Wir haben ein Handelsdefizit von circa 60 Milliarden Dollar, deswegen haben die Firmen – insbesondere Energiefirmen und Baufirmen – Schulden in Devisen. In der Finanzwelt hatte man ein bisschen Angst, ob die Türkei Schulden begleichen kann. Wir haben eine neue Regierung, die Gremien sind noch nicht gebildet und man konnte vielleicht nicht so schnell reagieren. Mittlerweile machen die Institutionen in der Türkei gute Arbeit, auch die Banken.

Sehen das ihre Landsleute genauso, die zusehen können, wie ihre Kaufkraft schwindet?

Natürlich haben die Menschen Angst. Letztendlich entsteht eine Inflation und die Kaufkraft vieler Leute wird geringer. Zweitens haben die Firmen, die im Ausland für den türkischen Markt einkaufen, bilanzielle Probleme und müssen sehen, ob sie Mitarbeitern kündigen müssen. Diese Ängste sind auch da. Man ist insgesamt beunruhigt, jeder ist davon betroffen. Unser Präsident hat sich oft ans Volk gewandt, manche seiner Botschaften sind sehr politisch, er formuliert mitunter scharf, aber er beruhigt auch. Er ruft die Bevölkerung auf, nicht in Panik zu verfallen. Vielleicht, wenn es viele Arbeitslose gibt, die Inflation eskaliert und eine große Krise kommt, bestrafen die Menschen die Regierung, aber ich glaube, so weit kommt es nicht. Er ist bei Wahlen sehr erfahren und sehr clever.

Andererseits war er doch schon lange vor dem Beginn der Krise im Amt und hat mit einzelnen Aussagen den Kursverfall sogar noch beschleunigt…

Wo Erdogan oder unser Wirtschaftsminister große Reden gehalten haben, sind die Kurse gesprungen. Da gab es vielleicht ein paar Kommunikationsfehler. Ich glaube, die ersten Schritte waren nicht ganz richtig. Später hat man dann aber die Lage richtig erfasst und Erdogan hat bessere Aussagen getroffen. Letztendlich beruht diese Krise zum Teil auf langfristigen Ursachen. Vielleicht hätte man schon früher Technologien in der Türkei ansiedeln können. Aber das hätte man schon vor Jahren anfangen müssen. Und dann gab es in den letzten Jahren Turbulenzen mit dem Putschversuch, die Türkei hatte Probleme.

Was muss jetzt Ihrer Ansicht nach passieren, damit Lage sich beruhigt und Lira stabiler wird?

Die Institutionen wie die Zentralbank sollten unabhängig reagieren. Ohne die Politik haben sie sehr viele Schritte gemacht. Ich glaube, in Zukunft sollte man eher die Institutionen mit guten Fachleuten stärken und die Politik sollte sich weniger einmischen in solche Angelegenheiten. Die Regierung hat auch schon Maßnahmen ergriffen, die mittelfristig das Zahlungsdefizit ausgleichen sollen: Mehr Exporte, insbesondere mehr Technologieexporte, mehr Wertschöpfung, und eher Investitionen, die weniger Devisen bringen. Da hat die Regierung schon viele Anreizpakete geschnürt. Und wenn diese in Zukunft wirken, wird die Türkei eine derartige Krise nicht mehr erleiden. Erdogan geht einen guten Weg, dass die politischen Beziehungen der Regierungen mit Deutschland wieder besser werden. Das ist sehr wichtig, das begrüße ich sehr. Auch mit Frankreich. Ich rate auch dazu, dass wir uns wieder in Richtung Europäische Union bewegen. Ich glaube, das ist der beste Weg, wie sich die Türkei entwickeln kann, und ich glaube, das hat die Regierung verstanden. Dann könnten die Türkei und die EU die Dinge noch schneller zum Guten entwickeln.