Verkehrsexperte Hochfeld: “Nicht nur an den Symptomen herumdoktern”

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Manipulierte Diesel-PKW verschmutzen die Luft. Mit der Förderung des öffentlichen Nahverkehrs lenkt die Politik von einer schnellen Lösung ab, sagt Verkehrsexperte Christian Hochfeld. Er empfiehlt den Blick nach China.

Straßenbahn ohne Fahrer in Zhuzhou (China)

Deutsche Welle: Herr Hochfeld, die Bundesregierung will in fünf Modellstädten den Nahverkehr attraktiver machen  und so die Luftverschmutzung dort mindern. Bonn, Essen, Mannheim, Reutlingen und Herrenberg sollen bis zu 130 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren bekommen. Wie bewerten Sie die geplanten Maßnahmen?

Das Ganze geschieht im Rahmen des Sofortprogramms für saubere Luft. Und wenn Sie das Wort sofort aus dem Titel streichen, würde ich sagen, es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, denn schnelle Erfolge sind nicht zu erwarten.

Wichtig ist, nicht nur an den Symptomen herumzudoktern, an den Emissionen des Verkehrs, den Stickstoffoxiden, sondern das Problem an der Wurzel zu packen. Der Diesel-Skandal verstellt den Blick auf die größere Aufgabe, nämlich unser Verkehrssystem umzubauen um den Klimawandel zu begrenzen. Das geht nur, wenn die jetzt modellartig untersuchten Ansätze auch in die Breite getragen werden.


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Schneller mit dem Drahtesel unterwegs

    So wie in Kopenhagen planen Reutlingen und Essen Radschnellwege durch die Stadt einzurichten. Der Ausbau des Fahrradstraßennetzes ist eh “überfällig”, meint Experte Christian Hochfeld von der Agora-Verkehrswende. “Wir merken, dass die Menschen aufs Fahrrad umsteigen, aber der öffentliche Raum ist nicht fair verteilt: Gerade parkenden Pkws wird zu viel Raum gegeben.”


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Günstig von A nach B

    Vier von fünf Städte setzen auf billigen Nahverkehr. In Bonn und Reutlingen soll es Klima-Jahrestickets nach Vorbild Wiens für 365 Euro geben, also für 1 Euro pro Tag. Mannheim und Herrenberg planen Preissenkungen bei Einzel-, Mehrfahrten- und Zeitkarten. Zustimmung von Experte Hochfeld: “Günstiger ÖPNV ist der richtige Weg nach vorne, allerdings muss die Qualität trotzdem gesichert sein.”


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Weniger lang warten

    Wie schön ist es, wenn man zur Bushaltestelle geht – und zack, kommt auch schon der nächste Bus. So macht Nahverkehr Spaß. Bonn will daher bei vielen Buslinien den Takt verdichten, so dass die Wartezeiten an der Haltestelle kürzer werden. Analoges planen Reutlingen und Essen. Hochfeld: “Taktverdichtung ist die absolute Grundvoraussetzung, dass Menschen in den Innenstädten auf den ÖPNV umsteigen.”


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Mehr Bushaltestellen

    Wir alle kennen das: Ist die Bushaltestelle zu weit weg von der Wohnung oder nicht nah genug am Fahrtziel, greift man vielleicht doch lieber zum Auto. Daher plant Reutlingen ein neues Stadtbusnetz mit zehn neuen Buslinien und hundert (!) neuen Haltestellen.


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Kein Warten für Busse

    Zusätzliche Busspuren sollen in Herrenberg Menschen zum Busfahren animieren: Im Bus fährt man dann an allen wartenden Autos vorbei und freut sich. Auch Grünschaltungen für Busse sind so ein Mittel. “Das führt dazu, dass die Menschen den ÖPNV als schneller und bequemer wahrnehmen”, kommentiert Hochfeld. “Wenn 40 Leute im Bus sitzen, sollten die Vorrang haben vor einem einzigen Menschen im Pkw.”


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Grüne Welle

    Stop-und-Go ist nicht nur eine Belastung für die Nerven der Autofahrer, sondern auch für die Umwelt. Beim Anfahren verbraucht ein Auto besonders viel Sprit und stößt viele Abgase aus. Herrenberg plant eine dynamische Steuerung von Ampeln, so dass Autofahrer auf der grünen Welle reiten können. Statt der Sekunden bis zur nächsten Rotphase soll angezeigt werden, bei wieviel km/h freie Durchfahrt ist.


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Pakete kommen mit dem E-Bike

    Mannheim errichtet einen “Micro-Hub”: einen Umschlagsplatz, auf dem Pakete von den Lastwagen auf E-Bikes verladen werden. Dadurch sollen weniger Lieferwagen in die Innenstadt fahren. “Eine gute Ergänzung”, meint Christian Hochfeld. Allerdings: “Wollen wir weiter zulassen, dass Menschen kleinste Einheiten online bestellen, die dann einzeln geliefert werden?” Hier sieht der Experte Nachholbedarf.


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Hybridbusse

    In Köln und vielen anderen Städten fahren sie bereits umher: Hybridbusse, die den Schadstoffausstoß reduzieren sollen. Mannheim will jetzt auch schadstoffarme Euro-6-Hybridbusse für die Innenstadt beschaffen. Vor allem Fahrradfahrer, die oft hinter Bussen herfahren müssen, wird das freuen.


  • Das planen fünf deutsche Städte für bessere Luft

    Go digital

    Nützt zwar nichts gegen Abgase, ist aber gut für’s coole image von Bus und Bahn: Viele deutsche Städte bieten bereits Apps an, mit denen sich ganz schnell und papierlos eTickets für den Nahverkehr kaufen lassen. Mannheim will das eTicket jetzt stark ausbauen. Herrenberg plant eine Stadt-Mobility-App, in der sich auch Leihfahrräder und CarSharing einfacher organisieren lassen.

    Autorin/Autor: Brigitte Osterath


In den Modellstädten geht es um die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, um bessere Angebote, günstigere Fahrpreise, Ausbau von Fahrradstraßen und auch einen klimafreundlicheren Lieferverkehr. Ist das der richtige Weg?

Ja. Als Alternative zur privaten Pkw-Nutzung brauchen wir attraktive Angebote. Und das geht nur mit einer besseren Taktung von Bus und Bahn. Das verbessert die Qualität des öffentlichen Verkehrs. Dafür sind Investitionen notwendig.

Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Notwendig ist auch, dass der Individualverkehr in der Stadt einen fairen Preis bezahlt. Das heißt, dass er für die Umweltwirkung und für die Inanspruchnahme des öffentlichen Raums in der Stadt stärker bezahlt. Denn man wird neue Dinge nur in die Welt bekommen, wenn man alte Dinge aus der Welt schafft.

Christian Hochfeld von Agora Verkehrswende

Autofahrer sollen für die Luftverschmutzung, Straßen und Parkraum entsprechend zahlen?

Das sind die sogenannten externen Kosten des Verkehrs, die das Auto verursacht. Die Emissionen, die Inanspruchnahme von Platz müssen in Zukunft ein Preisschild bekommen. Bisher trägt der Autofahrer diese Kosten nicht oder nur unzureichend, sondern die Allgemeinheit. Das führt zu enormen Verlusten bei der Wohlfahrt. 

Die Förderung von Modellstädten reicht also allein nicht aus, zur Verbesserung der Luftqualität, für den Gesundheits- und Klimaschutz?

Diese Förderung ist nur ein Baustein und wird nicht ausreichend sein. Wir brauchen gesamtheitliche Konzepte, um die notwendigen Wirkungen zu erzielen.

Der Öffentlichkeit wird jetzt durch diese Modellversuche in fünf Städten ein bisschen Sand in die Augen gestreut. Der effektivere und schnellere Weg zur Luftreinhaltung wäre ein Sofortprogramm zur Nachrüstung von Diesel-Pkw. Ohne diese Nachrüstung werden wir die notwendigen Emissionsminderungen zur Einhaltung der Grenzwerte nicht erreichen.

Fahrverbot für Diesel-PKW in Hamburg, um die Luftbelastung zu senken

Die Bundesregierung verpflichtet die Hersteller aber nicht zur Nachrüstung der Diesel-PKW. Also werden Fahrverbote zur Luftreinhaltung in immer mehr Städten unumgänglich?

Fahrverbote für Diesel-Pkw in Städten werden nur vom Tisch kommen, wenn schmutzige Diesel mit Hardware nachgerüstet werden. Diese Nachrüstung ist grundsätzlich zeitnah umsetzbar und finanzierbar. Vergangene Woche wies eine Initiative von einigen Unternehmen, des ADAC und von Umweltverbänden am Beispiel von Fahrzeugen des VW-Konzerns nach, dass die Hardware-Lösung rund 2000 Euro kostet und damit die Emissionen wirksam vermindert werden können.

China treibt den Ausbau der Elektromobilität massiv voran. In der Provinzstadt Bèngbù gibt es bereits über 700 Elektrobusse.

Sie waren lange Zeit als Verkehrsexperte in China und sind dort auch noch weiterhin im Beirat für Elektromobilität. Ist China beim Verkehr schon ein Vorbild?

Ja. Der Problemdruck zur Verbesserung der Luftqualität hat dort in den letzten drei Jahren zu weitreichenden Innovationen geführt. China wird deshalb mit vielen Initiativen im Bereich Verkehr und Gestaltung des Verkehrs von morgen ein Vorbild.

Man hat in China den rechtlichen und den politischen Rahmen angepasst sowie sehr gezielt Unternehmen im Bereich der klima- und umweltfreundlichen Mobilität gefördert. China zeigt, wie man die Umweltsituation verbessert und zugleich den Industriestandort sichert.

Welche Empfehlung geben Sie der deutschen Politik?

Sie sollte sich für eine anspruchsvolle Klima- und Umweltpolitik im Verkehr stark machen und nicht dagegen.

Im Moment sehen wir allerdings wieder bei der Diskussion um die neuen EU-Grenzwerte für CO2 bei PKW, dass Deutschland auf die Bremse tritt.

Aus unserer Perspektive ist das nicht für den Klimaschutz, sondern auch industrie- und wirtschaftspolitisch der falsche Weg. Das heißt: Insbesondere in der Bundespolitik muss man als erstes im Kopf nachrüsten. Eine anspruchsvolle Klima- und Umweltregulierung des Verkehrs, zahlt sich am Ende des Tages auch wirtschaftspolitisch aus.

Christian Hochfeld ist Geschäftsführer von Agora Verkehrswende und Mitglied des Internationalen Beirats der chinesischen Plattform Elektromobilität (China EV100). Bis 2015 leitete er bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) das Programm für nachhaltigen Verkehr in China. Von 2004 bis 2010 war er Mitglied der Geschäftsführung des Öko-Instituts. Hochfeld ist Ingenieur für Umweltschutz.

Das Interview führte Gero Rueter