Touristennepp und Gedenkort: Was wird aus dem Checkpoint Charlie?

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Ein Berlin-Besuch ohne den Checkpoint Charlie ist für viele Touristen undenkbar. Doch an dem historischen Ort der deutschen Teilung scheiden sich die Geister. Jetzt wird ein neues Konzept diskutiert.

Am Checkpoint Charlie in Berlin standen sich nach dem Mauerbau 1961 Panzer gegenüber, er war ein weltweit bekanntes Symbol der deutschen Teilung. Heute können Besucher die Bedeutung des einstigen Grenzkontrollpunkts an der Friedrichstraße aber kaum nachvollziehen. 57 Jahre nach dem Bau der Mauer und 28 Jahre nach ihrem Fall ist der Ort ein überlaufener Touristenmagnet. Originale Reste des DDR-Grenzregimes gibt es nicht auf dem provisorisch wirkenden Areal.

Alles Show – der Checkpoint Charlie als Instagramkulisse

Geschichtsvermittlung oder Kommerz? 

Vor einer nachgebauten Kontrollbaracke der US-Army posieren falsche Soldaten mit US-Fahne, kassieren drei Euro für ein Foto. Ein Schild warnt wie früher: “Sie verlassen jetzt den amerikanischen Sektor.” Eine Kopie, das Original befindet sich im privaten Mauer-Museum wenige Meter entfernt. Daneben die Rotunde des Künstlers Yadegar Asisi mit dem Panorama, das einen Tag im geteilten Berlin darstellt. Ein paar Schritte weiter bietet “Die Bude” Currywurst und Pommes feil. Ein Straßenhändler versucht, Gasmasken und Militärmützen loszuwerden. Und “Charlies Beach” lädt zum “Chill out” ein.

360° Panorama der Mauer des Künstlers Yadegar Asisi am Checkpoint Charlie

Als “Gegenpol zur Banalisierung” stellte der Berliner Senat eine Black-Box auf, die über den Kalten Krieg informiert. Eingerahmt wird das Areal von Schautafeln mit historischen Fotos und Erklärungen. “Dem Ort fehlt seit 28 Jahren ein klares Gestaltungskonzept”, beklagt der Direktor der Stiftung Berliner Mauer, Axel Klausmeier. Andere sprechen von einer Art “Disneyland”, 200 Meter vom Mahnmal für das erschossene Maueropfer Peter Fechter entfernt. Unzufrieden mit dem Ist-Zustand ist auch der Berliner Senat. “So wie der Checkpoint Charlie heute genutzt und erlebt wird, ist er zwar ein Ort, der Besuchermassen anzieht, aber in seiner provisorischen Gestaltung und überwiegend touristischen Nutzung sehr zwiespältig beurteilt wird, sagte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). 

Dringend gesucht: ein Konzept

Jetzt haben sich die Politik und ein privater Investor, der auf dem Areal nach mehreren Eigentümerwechseln bauen will, auf Eckpunkte für die Gestaltung verständigt. Demnach soll das Ausmaß der Grenzübergangsstelle auch in Zukunft deutlich werden, ein “urbaner Platz mit Freiflächen” entstehen. Zudem soll in einem der neuen Gebäude ein Museum als “Bildungs- und Erinnerungsort” eingerichtet werden. Die oppositionelle CDU spricht von “undurchsichtigen Absprachen”, Stiftungsdirektor Klausmeier dagegen von einer “großen gemeinsamen Anstrengung” von Senat und Investor. Die Chance, die historische Dimension des Ortes angemessen zu erklären, rücke in greifbare Nähe. Die Stiftung entwickelt ein Konzept für das Museum. Wann es gebaut und eröffnet wird, ist noch offen.

Der Checkpoint Charlie aufgenommen Ende der 1980er Jahre

Und wo stand nochmal die Mauer?

Wenige Wochen nach dem Mauerbau im August 1961 hält die Welt den Atem an. Am Checkpoint fahren am 27. Oktober 1961 nach amerikanischen auch sowjetische Panzer auf. 16 Stunden stehen sich die Supermächte mit scharfer Munition frontal gegenüber – nur Meter voneinander entfernt. Es war einer der gefährlichsten Momente des Kalten Krieges. Aus dem Kräftemessen hätte schnell ein neuer Krieg werden können. Die DDR baute den Checkpoint Charlie zum festungsartigen Bollwerk aus. Nur Ausländer, Diplomaten und alliiertes Militärpersonal konnten die innerstädtische Nahtstelle zwischen Ost und West passieren.

Heute stehen Touristen aus aller Welt gebannt vor Schautafeln oder lassen sich von Reiseführern in die Zeit der Teilung versetzen. Viele wollen “The Wall” sehen und sind enttäuscht. Der Pflasterstreifen im Boden, der den Mauerverlauf nachzeichnet, wird von vielen nicht wahrgenommen. “Hier war die Mauer? Wow, das hätte ich nicht gedacht”, sagt die 26-jährige Amira aus dem US-Bundesstaat North Carolina. Pietro Lensi (54) aus Italien vermisst Mauerreste und ein Mahnmal an dem Platz: “Das sollte man anders machen hier.” Lucy Gilcrest (32) aus England findet: “Ein beeindruckender Ort, aber ganz schön touristisch.” Originale Mauer an der Bernauer Straße? Nein, davon haben alle drei noch nicht gehört.

Geschichte sichtbar machen

Tatsächlich ist es schwer, Zeugnisse der Teilung in Berlin noch zu erleben. In der Euphorie nach dem Mauerfall wurden große Teile des monströsen Betonwalls samt Wachtürmen und Signalanlagen abgerissen, geschreddert oder verkauft. Grundstücke – teils in bester Innenstadtlage – gingen an private Investoren. Das Nachdenken kam erst später.

Von vielen übersehen – ein doppelreihiger Pflasterstreifen markiert den ehemaligen

Außer der Mauergedenkstätte Bernauer Straße gehören die East Side Gallery und der Mauerabschnitt am Martin-Gropius-Bau zu den Erinnerungsorten – und eben der Checkpoint Charlie. Das dort geplante Museum zur Geschichte des Kalten Krieges ist das letzte noch offene Projekt des Berliner Konzepts zum Mauergedenken, das auf dezentrale Gedenkorte setzt. Der Stiftungsdirektor Klausmeier stellt sich den Checkpoint künftig als “Vernetzungsort” vor. Von hier aus könne auf weitere Orte der Teilungsgeschichte verwiesen werden. Schließlich sei Berlin “das größte zeithistorische Freilichtmuseum der Welt”.
 

Stefan Kruse, Jutta Schütz (dpa)