Stefanie Carp: “Kunst kann zu mehr Offenheit beitragen”

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Die Intendantin der Ruhrtriennale, Stefanie Carp, ist umstritten. Vor dem Start des Kunstfestivals steht ihre Person stärker im Fokus als das Programm. Dabei greift Carp Themen auf, die derzeit unter den Nägeln brennen.

Die Dramaturgin Stefanie Carp hat in diesem Jahr als Nachfolgerin von Johan Simons die Intendanz der Ruhrtriennale angetreten. Die Ruhrtriennale gehört zu den bedeutenden Kunstfestivals in Europa und sticht besonders dadurch hervor, dass die großen Industriehallen der Bergbauregion als Aufführungsorte genutzt werden. Doch schon im Vorfeld der Eröffnung am 9. August wird das Festival von einer Antisemitismusdebatte überschattet. Carp hatte die schottische Band “Young Fathers” eingeladen. Ihr wird vorgeworfen, die gegen Israel gerichtete Boykott-Bewegung BDS (“Boycott, Divestment, Sanctions”) zu unterstützen. Daraufhin lud sie die Band aus und später nach Gesprächen dann wieder ein. Bei Politikern und jüdischen Landesverbänden in Nordrhein-Westfalen stieß das auf massive Kritik. Stefanie Carp möchte sich zu diesem Thema erst wieder bei einer Podiumsdiskussion “Freiheit der Künste” am 18. August im Rahmen der Ruhrtriennale äußern. Der Deutschen Welle hat sie erläutert, welcher Leitgedanke sich durch das Programm zieht.

DW: Frau Carp, Sie haben das Programm der Ruhrtriennale mit “Zwischenzeit” überschrieben. Worauf bezieht sich dieser Begriff?

Stefanie Carp: Es ist der kleine Zeitraum, der uns noch bleibt, um an ein paar Stellschrauben zu drehen, wie wir künftig als internationale Menschengemeinschaft überhaupt leben wollen. Nach meinem Empfinden ist es ökonomisch, ökologisch und sozial kurz vor zwölf. Es gibt soziale Exklusionsprobleme und es gibt große Gewaltbereitschaft an manchen Orten.

Diese Zwischenzeit ist auch eine Chance. In der Kunst ist eine Zwischenzeit ja auch eine Zeit, in der man imaginieren kann. Man hätte also noch Zeit einen Entwurf eines anderen Zusammenlebens zu machen, etwas zu verändern in Richtung Zivilisation und das Ganze selbst in die Hand zu nehmen, das ist der Gedanke.

Welches gesellschaftliche Thema sehen Sie für diese “Zwischenzeit” besonders im Vordergrund?

Ich würde sagen, die flüchtenden Menschen sind ein Zeichen. Sie flüchten aus ökonomischer Not und aus Kriegen und wollen ihren berechtigten Anteil haben. Die Europäer aus den reichen Ländern Europas müssen lernen zu teilen. Sie müssen etwas abgeben an die Länder, denen Sie großes Unrecht angetan haben und von denen wir heute unseren Wohlstand beziehen.

Es fällt auf, dass Sie viele außereuropäische Künstler eingeladen haben. Ist das der Grund?

Ja, ich finde insgesamt, dass das postkoloniale Thema in Deutschland viel zu kurz gekommen ist. Und wenn man alle drei Jahre einen neuen Intendanten für die Ruhrtriennale wählt, dann kann man erwarten, dass dieser Intendant auch etwas Neues tut, und dieses Thema möchte ich gerne der Ruhrtriennale hinzufügen.

Das Projekt “Third Space” vor der Jahrhunderthalle in Bochum

Was war ihnen wichtig bei der Auswahl der Künstler?

Ich habe ja sieben Jahre lang das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen gemacht, das ein sehr internationales Festival ist. Da sind mir Künstler wie etwa Mariano Pensotti im Laufe meiner Arbeit aufgefallen. Er ist Autor, Filmregisseur und Theatermacher und erzählt wunderbare Geschichten. Mariano Pensotti hat einen schönen Blick auf Menschen. Ihm habe ich auch zugetraut – und das ist ja der zweite Gedanke bei dieser Triennale – dass er eine große Halle bespielen kann. Man sieht sich im Ruhrgebiet diese Industriehallen an und muss überlegen, welche Künstler und Künstlerinnen mit diesen Räumen umgehen können.

Vor der Jahrhunderthalle in Bochum, einer zentralen Spielstätte, wurden große Teile eines Flugzeugs aufgebaut. Ein greifbares Beispiel dafür, wie man als Künstler ihren Gedanken der “Zwischenzeit” umsetzen kann?

Ich habe die Künstler von der Berliner Gruppe “raumlabor” gefragt, ob sie eine Idee zu einem Festivalzentrum auf diesem Vorplatz haben und sie haben sich mit “Third Space” an meinem Grundgedanken orientiert. Die Flugzeugteile können als Metapher dieser sich verändernden Gesellschaft verschieden interpretiert werden. Ein Flugzeug, das gerade abgestürzt ist oder etwas, das gerade gebaut wird, von dem verschiedene Teile rumstehen. Es hat auch etwas Improvisiertes und wird jedes Jahr anders aussehen. Es werden Teile dazu kommen oder anders zusammengesetzt sein. Es ist wie alle gute Kunst nicht eindeutig.

Aber die Idee, die die Künstler mit diesem Flugzeug hatten, hat auch mit dem Glasvorbau der Jahrhunderthalle zu tun, der ein bisschen wie eine Abflughalle aus den 70er Jahren aussieht.

Das Ruhrgebiet ist geprägt vom Bergbau und hat einen hohen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund. Ihr Vorgänger Johan Simons hat versucht auch vor Ort die verschiedenen Kulturen und sozialen Schichten einzubinden und mit entsprechenden Organisationen zusammenzuarbeiten. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Um neue Zuschauer zu erreichen, haben wir Diverses getan, zum Beispiel Kontakt aufgenommen zu der Bochumer Geflüchtetenzeitschrift “Neu in Deutschland. Außerdem stelle ich das Programm der Ruhrtriennale auf Wunsch im kleinen Kreis vor und wir haben ein “Speed-Talking” organisiert, bei dem geflüchtete Menschen und Menschen aus der Region zusammenkommen.

Dortmund Nordstadt: Ein Problembezirk mit hoher Kriminalität und Arbeitslosigkeit

Auch mit dem Projekt von Schorsch Kamerun in der Dortmunder Nordstadt hoffen wir auch auf neue Publikumsschichten. Es ist ein Stadtprojekt mit den Anwohnern, für das auch ein neuer Club gegründet wird, der “Club Kohleausstieg”. Wir sind gespannt, ob wirklich neues Publikum kommt oder ob es das Ruhrtriennale-Publikum ist, das dann neugierig auch darauf ist. Das finde ich an diesem Publikum so schön und bemerkenswert, dass die Leute auf alles neugierig sind.

Drei Jahre Ruhrtriennale liegen vor Ihnen, gibt es den Ansatz einer Trilogie zum Thema “Zwischenzeit”?

“Zwischenzeit” wird jedes Mal Thema bleiben in unterschiedlichen Ausprägungen. Es wird wahrscheinlich nächstes Jahr noch stärker um Prozesse von Demokratien gehen und 2020 liegt ein Schwerpunkt auf Arbeit und Veränderung von Arbeit.

Was wünschen Sie sich für die Zeit nach der “Zwischenzeit” auch im Hinblick auf die Ruhrtriennale?

Ich würde mir eine internationale Menschengesellschaft des Austausches wünschen, mehr soziale Gerechtigkeit –  was Gewalt und Kriege verhindern würde – und Zugang zu Bildung für alle.

Für das Publikum der Ruhrtriennale wünsche ich mir, dass die Leute neue und anregende Erfahrungen machen und miteinander ins Gespräch kommen. Die Kunst kann problematisieren und zu mehr Offenheit beitragen. Durch Kunst können wir aufmerksam werden, dass wir in unserem Leben andere Wünsche und Bedürfnisse haben als die, die uns etwa durch die Konsumwelt vorgegaukelt werden. Kunst kann Seiten von uns zum Klingen bringen, die wir noch gar nicht kennen.

Das Interview führte Gaby Reucher