Ankerzentren: Was steckt dahinter?

0
282

Sie sollen Asylverfahren von Geflüchteten bündeln und beschleunigen, aber Experten sehen das Pilotprojekt Ankerzentrum in Bayern kritisch. Vor welchen Problemen steht die Flüchtlingspolitik in Deutschland wirklich?

Seit dem 1. August haben in Bayern sieben sogenannte Ankerzentren ihre Arbeit aufgenommen. Das Wort “Anker” steht dabei für An(kunft), k(ommunale Verteilung), E(ntscheidung) und R(ückführung). In den Zentren sollen alle Schritte eines Asylverfahrens in einem abgewickelt werden. Kurze Wege sollen die Verfahren beschleunigen. Deshalb sollen in den Zentren unter anderem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Bundesagentur für Arbeit, Jugendämter, Justiz- und Ausländerbehörden vertreten sein.

Wie funktioniert das Verfahren bisher?

Wer als Asylsuchender in Deutschland ankommt, muss sich bei einer staatlichen Stelle registrieren lassen, damit er ein Asylverfahren bekommt. Das kann die Polizei an der Grenze sein, die Ausländerbehörde, eine Aufnahmeeinrichtung oder ein sogenanntes Ankunftszentrum. Nach ihrer Registrierung bekommen Asylsuchende eine Unterkunft zugewiesen, in der sie während ihres Verfahrens bleiben.

Angekommen – und nun? Das DW-Special: Erste Schritte in Deutschland

Ankunftszentrum Heidelberg soll nicht zum Ankerzentrum werden

Markus Rothfuß leitet das Ankunftszentrum “Patrick-Henry-Village” in Heidelberg. In der umfunktionierten US-Kaserne leben derzeit rund 1500 Menschen, die dort registriert werden, ihren Gesundheitscheck absolvieren, den Antrag für das Asylverfahren stellen und für den ersten Teil ihres Verfahrens dort leben. Bis zu 600 Menschen können hier pro Tag registriert werden. Es gibt einen Kindergarten und eine kleine Polizeiwache. Die Bewohner dürfen das Gelände jederzeit verlassen. Das Zentrum in Heidelberg gilt für seine übergreifenden Strukturen oft als Modellprojekt – trotzdem hat sich der Betreiber, das Land Baden-Württemberg, dagegen entschieden, an der Pilotphase der Ankerzentren teilzunehmen.

Video ansehen 00:19 Jetzt live 00:19 Min.

Markus Rothfuß, Leiter eines Ankunftszentrums in Heidelberg

Was soll sich mit den Ankerzentren ändern?

Das “E” und “R” im “Anker” machen den Unterschied: die Entscheidung und Rückführung. In den neuen Zentren soll das Asylverfahren bis zum Ende abgewickelt werden. Die Antragsteller sollen in dieser ganzen Zeit in dem Zentrum verbleiben. Da das komplette Verfahren sehr lang dauert, werden Aufenthalte in diesen Zentren von bis zu zwei Jahren einkalkuliert.

Leben im Lager: Kritik von Experten

Migrationsforscher der Universität in Göttingen haben die möglichen Auswirkungen zentraler Einrichtungen wie die der neuen Anker-Zentren untersucht: Was bedeutet es, in einer Sammelunterkunft zu leben? Welche Dynamik entsteht unter den Bewohnern? Welche Probleme können vermieden werden, welche nicht? Die Wissenschaftler warnen vor Isolation, einer hohen psychischen Belastung der Bewohner und mangelnder Integration. All das könnte Folgen haben, sagen sie, die wiederum die Träger dieser Zentren zusätzlich belasten würden. Das Ziel, humanere und tatsächlich beschleunigte Verfahren zu gestalten, werde nicht erreicht, sagt Sabine Hess, eine Autorin der Studie.

Video ansehen 01:06 Jetzt live 01:06 Min.

Sabine Hess, Migrationsforscherin

Welche Probleme gab es, was wurde geändert?

Seit dem großen Flüchtlingszuzug im Jahr 2015 sind Teile des Asylverfahrens in Deutschland stärker zentralisiert worden. Es gibt mittlerweile ein digitalisiertes Registrierungsverfahren beim BAMF, auch das Ausländerzentralregister ist digital abrufbar. 2015 und Anfang 2016 war die Zahl der Asylanträge stark angestiegen, Das BAMF war überlastet, die Verfahrenszeiten wurden immer länger.

Über das sogenannte EASY-System werden Asylsuchende zwischen den Bundesländern verteilt: Die Menschen können nach ihrer ersten Registrierung in einem ganz anderen Teil Deutschlands landen. Die Verfahren selbst sind zwar alle zentral über das BAMF geregelt, aber die Unterbringung und Betreuung der Geflüchteten unterscheidet sich teilweise nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch zwischen Bezirken und Kommunen. Bis heute gibt es für Asyleinrichtungen und Unterkünfte keine deutschlandweit einheitlichen Mindeststandards, Regelungen oder abgestimmten Prozesse.

Durch das bayerische Modell der Ankerzentren wird diese Problematik allerdings nicht gelöst: Experten sehen in dem Projekt eher eine Abschreckungsmethode anstelle einer Verbesserung des Systems. Innenminister Horst Seehofer fordert aber bereits weitere Einrichtungen solcher Zentren.