Mein Deutschland: Der Feldzug der politisch Korrekten

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Wer die Kolumne von Zhang Danhong regelmäßig liest, könnte den Eindruck gewinnen, dass sie Freude daran hat, die Regeln der PC (political correctness) zu missachten. Doch dieser Eindruck täuscht, sagt die Kolumnistin.

Ich habe keinerlei Anlass, gegen politische Korrektheit zu sein. Ganz im Gegenteil – zähle ich doch zu den Profiteuren der PC-Bewegung. Denn ich gehöre gleich drei Gruppen an, die unter besonderem Schutz politisch Korrekten stehen: Erstens bin ich eine Frau, zweitens eine Frau mit Migrationshintergrund und drittens auch noch eine atheistische Frau mit Migrationshintergrund. Dass auch Atheisten eines besonderen Schutzes bedürfen, hat sich hier in Deutschland noch nicht herumgesprochen. Aber das kommt sicher noch. Denn Deutschland folgt den USA immer mit einer gewissen Zeitverzögerung. Und dort halten es die Aktivisten der Bewegung “People of Color” es für inakzeptabel, jemandem nach dem Niesen “(God) bless you” zu wünschen, denn der Niesende könnte ja ein Atheist sein. Und da wäre es doch eine Frechheit, ihm gegenüber Gott ins Spiel zu bringen.

Der feine Unterschied zwischen “Studentenausweis” und “Studierendenausweis”

Vielleicht aufgrund dieses gleich dreifachen Schutzes hat sich bisher noch niemand beschwert, dass ich die gendergerechte Sprache grundsätzlich ignoriere. Doch das stimmt nicht ganz. Meine Tochter hat mal gemeckert, dass ich immer noch “Studentenausweis” sage, obwohl es doch längst “Studierendenausweis” heißt. Ich tue das nicht aus Gegnerschaft zur political correctness, sondern weil ich fest davon überzeugt bin, dass es höchstwahrscheinlich nicht bei der momentanen Praxis bleiben wird. So wie bei der gendergerechten Ansprache: erst “liebe Kolleginnen und Kollegen”, dann “liebe KollegInnen” und neuerdings “Kolleg_innen”, oder “Kolleg*innen”. Jede Änderung sofort zu implementieren, ist mir viel zu stressig. Als Nichtmuttersprachlerin habe ich ohnehin mehr als genug mit den Feinheiten der deutschen Grammatik zu tun.

DW-Redakteurin Zhang Danhong

Also verfolge ich die sprachliche Entwicklung mit großem Interesse und warte einfach die abschließende, allseits für korrekt befundene Form ab – am besten eine in Gesetzesform gegossene.

Wenn ich einen nicht ganz politisch korrekten Tweet absetze, dann nur, um die Wachsamkeit meiner Kollegen zu testen. Als das Unternehmen Twitter im vergangenen Herbst das Zeichenlimit von 140 auf 280 verdoppeln wollte, habe ich die Meldung mit folgendem Satz getwittert: “Twitter nun auch frauenfreundlich.” Kaum zwei Minuten später stürmte ein Kollege in mein Büro und wollte wissen, wer diesen frauenfeindlichen Tweet verfasst habe. Test bestanden – meine Kollegen sind wachsam!

Shakespeare ist nicht mehr tragfähig

Die PC-Bewegung hat zwar bereits vor rund 40 Jahren begonnen, doch erst in jüngerer Zeit ist sie so richtig in Fahrt gekommen. Und wie immer muss man neidvoll in die USA blicken: Dort werden die frauenverachtenden, Gewalt verherrlichenden und Depressionen auslösenden Theaterstücke von William Shakespeare vor jeder Aufführung – wenn sie denn überhaupt noch aufgeführt werden – vom jeweiligen Theaterchef entsprechend kritisch beleuchtet. Auch über das Klatschen danach wird bereits kontrovers diskutiert: Könnten sich die Einarmigen oder die Armlosen nicht benachteiligt fühlen? Ich finde, dass nach dieser Logik auch über die Fußball-WM nachgedacht werden muss, schließlich werden auf dem Rasen die Rollstuhlfahrer ausgeschlossen.

“Othello, der Mohr von Venedig” gehört eindeutig verboten

  

Apropos WM: Während der gerade zu Ende gegangenen Weltmeisterschaft wurden die übertragenden TV-Sender aufgefordert, auch die weniger schönen Frauen im Publikum zu zeigen. Wobei ich denke, dass die weniger schönen Frauen doch ohnehin die Mehrheit bilden. Aber nein, falsch gedacht. Es ging gar nicht um Mehr- versus Minderheiten, sondern um die Vielfalt. Denn die Aufforderung hatte der Vielfaltsbeauftragte der FIFA ausgesprochen. 

Auch die Vielfalt der Geschlechter muss endlich in der Sprache berücksichtigt werden. Eine Mammutaufgabe für die verschiedenen Beauftragten, bei der Gestaltung der politisch korrekten Ansprache nicht den Rahmen zu sprengen, ohne Bisexuelle und andere sexuell Unentschlossene zu diskriminieren.

Diskriminierend ist auch das N-Wort für Menschen afrikanischer Abstammung. Das habe ich schon während meines Germanistik-Studiums in Peking erfahren. Aber dass beim Berliner Theatertreffen sogar dem Darsteller eines Neonazis verboten wurde, auf der Bühne einen Afrikaner mit dem “N-Wort” zu bezeichnen, wie die Schriftstellerin Tina Uebel in der Wochenzeitung “Die Zeit” neulich berichtet hat, macht das Stück schon zum absurden Theater.

Die halbe Weltliteratur müsste verschwinden

Es ist nicht so, dass ich diese Merkwürdigkeiten alle grandios finde. Ich sehe es nur etwas gelassener. Denn das alles ist mir vertraut – und zwar aus der Kulturrevolution in China. Damals hieß es, das Alte muss zerstört werden, bevor das Neue aufgebaut werden kann. Heute sind PC-Rotgardisten dabei, die Weltliteratur zu durchforsten und die Wörter zu entfernen oder umzuschreiben, die den heutigen Standards der politischen Korrektheit nicht entsprechen. Grimms Märchen müssten am besten gleich ganz verbannt werden, so brutal wie sie sind. Wenn Astrid Lindgren in zehn oder zwanzig Jahren noch nicht auf dem Index stehen sollte, werde ich meinen Enkelkindern vielleicht von Pippi Langstrumpf und ihrem Vater erzählen können, der – Sie wissen es sicher – N-Wort-König in der Südsee war.

Mao-Bibel – Lieblingslektüre der Chinesen während der Kulturrevolution

Eines sollten sich die eifrigen PC-Kämpfer jedoch vor Augen halten: dass die Amerikaner den Anti-PC-Helden Donald Trump zum Präsidenten gewählt haben und die chinesische Kulturrevolution das Reich der Mitte letztlich in ein gesellschaftliches Chaos und eine kulturelle Wüste geführt hat. Vieles Kulturgut ging damals für immer verloren. Dann wurden die Trümmer weggeräumt und es wurde von Neuem angefangen. Ich freue mich bereits auf den Tag, an dem wieder öffentlich über meinen Lieblingswitz von Woody Allen gelacht werden darf: “Sitzt ein Schwarzer in der U-Bahn und liest eine jüdische Zeitung in hebräischer Schrift. Sagt ein Weißer zu ihm: ‘Neger allein reicht dir wohl nicht?'”

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 25 Jahren in Deutschland.

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