Simon Rattle nimmt Abschied von den Berliner Philharmonikern

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Das Ende einer Ära: Am 20. Juni leitet der Brite sein letztes Sinfoniekonzert als Musikdirektor der Berliner Philharmoniker. Die Zusammenarbeit endet so, wie sie begann: mit Mahlers “Sechster”.

In der Berliner Philharmonie sowie in Übertragungen als Livestream und in Kinos europaweit gibt Sir Simon um 19.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit den Auftakt zum Abschied.

Es schließt sich ein Kreis: 1987 hatte Rattle sein Debüt mit den Berlinern ebenfalls mit Mahlers Sechster Sinfonie gegeben. 2002 begann er seine Zeit als künstlerischer Leiter und Chefdirigent des renommierten Klangkörpers erneut mit Mahler: Damals stand die Sinfonie Nr. 5 auf dem Programm. Mit Mahler und den Philharmonikern hat Rattle weitere Höhepunkte während seiner Berliner Zeit gestaltet, etwa in den Spielzeiten 2010/2011 und 2011/2012, als sämtliche Sinfonien des Komponisten unter seiner Leitung musiziert wurden.

Rattle bleibt der Stadt erhalten

Am 24. Juni 2018 kommt dann unter dem Titel “Goodbye, Sir Simon” sein allerletztes Konzert als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker: Bei einer Freiluftveranstaltung an der Berliner Waldbühne werden eher populäre Werke von Joseph Canteloube und Paul Lincke erklingen.

Simon Rattle mit dem London Symphony Orchestra

Bereits 2015 wurde Rattles Wechsel zum London Symphony Orchestra bekannt gegeben, seit September 2017 leitet er beide renommierten Klangkörper. Auch nach seiner Ablösung in Berlin durch seinen Nachfolger Kirill Petrenko wird der Dirigent in Berlin seinen Hauptwohnsitz beibehalten und Orchester- und Opernaufführungen dort leiten.

Zahlreiche Zeichen gesetzt

In seiner 16-jährigen Amtszeit leitete Sir Simon Rattle die Berliner Philharmoniker bei ganzen 1100 Konzerten. Zu den Zeichen, die der inzwischen 63 Jahre alte Dirigent setzte, gehören eine offensive Öffentlichkeitsarbeit, multimediale Übertragungen, vor allem mit der “Digital Concert Hall”, die Gründung eines eigenen CD-Labels sowie die Inklusion von Menschen, die sonst kaum mit klassischer Musik in Berührung kommen. Die Patenschaft der Berliner Philharmoniker für das Bundesjugendorchester ist ein weiterer Meilenstein der Ära Rattle. 

Rattle, den die Tageszeitung “Die Welt” als “Repertoirevielfraß” beschreibt, öffnete “seinen” Berliner Musikern bisher unbekannte Bereiche des Klassikrepertoires. Dazu gehören etwa viele Werke von englischen oder nordischen Komponisten, hier ist Jean Sibelius an erster Stelle zu nennen. Andererseits wurden vor allem in den ersten Rattle-Jahren kritische Stimmen aus den Orchesterreihen laut, die eine Vernachlässigung des Kernrepertoires, vor allem der deutschen Romantik, bei dem Traditionsorchester bemängelten. Rattle, der gelernter Schlagzeuger ist, lieferte dafür oft packende rhythmische Interpretationen und wurde für seinen transparenten Klang gelobt.

Starker Kontrast zu Petrenko

Als einziges Orchester weltweit, das seinen Chefdirigenten autark und basisdemokratisch wählt, kürten die Berliner Philharmoniker 2015 in einem schwierigen Entscheidungsprozess Kirill Petrenko zum Nachfolger Rattles. Im denkbar großen Kontrast zum öffentlichkeitsbewussten Rattle gibt der 46-jährige russische Maestro keine Interviews. Petrenko, dem die “Süddeutsche Zeitung” eine “unerbittliche Hingabe an die Musik” attestiert, gilt als detailbeflissen und als Probenfanatiker. 

Kirill Petrenko

Im Sommer 2019 tritt Petrenko sein Amt offiziell an. Bereits zur Eröffnung der Saison 2018/2019 widmet Petrenko sich mit Beethoven und Richard Strauss dem deutschen Kernrepertoire. Danach geht er mit den Berlinern auf Tournee nach Salzburg, Luzern und zu den Londoner Proms. Auf dem Programm stehen dann Werke von Paul Dukas, Sergej Prokofjew und Franz Schmidt. Insgesamt erwartet man bei den Berliner Philharmonikern in der Ära Petrenko ein Rückbesinnen auf Grundwerte und auf das klassische Kernrepertoire.

Kein leichter Job

“Es ist gleichzeitig der schönste und der schwierigste Dirigentenjob der Welt”, sagte Sir Simon Rattle 2015 der “Welt”. “Meistens beides zugleich! Und man kann sich überhaupt nicht darauf vorbereiten, wie hart es ist, wenn es wirklich hart ist!” Ferner: “Dieses Orchester hat mir sehr deutlich zu verstehen gegeben: Du kannst mit uns nicht zu proben anfangen, bevor du nicht das Konzept für den Klang gefunden hast, den du suchst.”

Für eine Hörfunkserie im Jahr 2004 gab Sir Simon der DW ausführliche Interviews und sagte zusammenfassend: “Der Job als Musikdirektor der Berliner Philharmoniker ist manchmal mit dem des privilegiertesten Dompteurs der Welt vergleichbar. Man geht zum Käfig dieser wilden Tiger, lässt sie heraus und entdeckt was passiert, wenn sie frei herumlaufen.”

Trotz Schwierigkeiten mit den selbstbewussten Berliner Orchestermusikern zog Sir Simon Rattle einmal eine positive Bilanz: “Sie fragen nicht nach dem Wie, sondern: Warum? Deshalb liebe ich die Zusammenarbeit mit ihnen.”