Mein Deutschland: Gut gemacht, Mannschaft!

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Deutschland ist schlecht in die WM gestartet. Nun wird nach der Ursache gesucht. Jogi Löw ist ein heißer Kandidat, auch Mesut Özil wird immer wieder genannt. Aber nur Zhang Danhong kennt den wirklich Schuldigen.

Oder viel mehr die Schuldige. Das bin nämlich ich. Denn zum ersten Mal seit 1982 habe ich Deutschland bei einer WM nicht den Daumen gedrückt. Mehr dazu später. Lassen Sie mich erst einmal in Erinnerungen schwelgen. Damals, vor 36 Jahren, versammelten sich acht Deutsch lernende chinesische Mädchen mittags um ein kleines Radio, um der Sportsendung im Zentralen Volkssender zu lauschen. Dabei interessierte uns nur eines: Wie hatte sich die deutsche Nationalmannschaft am Vorabend in Spanien geschlagen? Für dieses Phänomen gibt es ein chinesisches Sprichwort: 爱屋及乌 (ai wu ji wu) – die Liebe zu einem Haus erstreckt sich auch auf die Raben auf dem Dach, sprich: Liebt man eine Person, so liebt man alles, was mit ihr zu tun hat. In unserem Fall: Die Sympathie für die deutsche Sprache war auch auf das Land und seine Fußballmannschaft übergeschwappt. Für die heute junge Generation: Damals befanden wir uns noch im Vor-Internet-Zeitalter, also in der digitalen Steinzeit. Deswegen waren die Sportmeldungen am nächsten Tag genauso aufregend wie eine Live-Übertragung. Ich weiß noch genau, welches Gekreische unter uns acht Mädchen ausbrach, als die trockene Nachricht vom 5:4-Sieg über Frankreich im Halbfinale verlesen wurde.

Seitdem habe ich kaum ein Spiel bei einer WM oder EM mit deutscher Beteiligung im Fernsehen verpasst – egal, wie ungünstig die Spielzeit in China war. Entweder bin ich bis zum Anpfiff wach geblieben (natürlich auch danach), oder ich habe den Wecker gestellt und bin mitten in der Nacht für die deutsche National-Elf aufgestanden. Ich habe ihre Freude geteilt und mit ihr gelitten, am meisten nach der Niederlage gegen Bulgarien im WM-Viertelfinale 1994. Was den Fußball angeht, war ich deutsche Patriotin, schon lange bevor ich die deutsche Staatsangehörigkeit erlangte. 

Die Welt zu Gast in Deutschland – ein Sommermärchen

Die Deutschen waren mit ihren Gefühlen viel zurückhaltender, bis 2006 ein Sommermärchen das Land verzauberte. Nach dem glücklichen Elfmeter-Sieg über Argentinien gingen meine Kollegen und ich in Bonn auf die Straße und wurden Zeugen eines spontanen Freudenfests mit Autokorso und Deutschlandfahnen. Endlich sind die Deutschen ein normales Volk geworden, dachte ich damals.

Da war die deutsche Fußballwelt noch in bester Ordnung

Die deutschen Fußball-Jungs 2014 gemeinsam mit meinen Kindern, Nachbarn und Freunden bis zum Weltmeistertitel zu begleiten, war ohne Zweifel der Höhepunkt meiner Fan-Karriere. Dabei habe ich mir eine blöde Technik angewöhnt: Wenn ein gegnerischer Spieler den Ball hatte, hielt ich den Atem an. Um nochmal ein chinesisches Sprichwort zu bemühen: Das Herz holte ich in die Kehle. Es rutschte erst wieder zum gewohnten Platz, wenn ein Deutscher den Ball unter Kontrolle hatte. Mit anderen Worten: Den anderen gönnte ich nichts. Ja, das ist engstirniger Nationalismus – ich weiß. Aber alle vier Jahre “Germany First” macht auch in Zeiten der Globalisierung einen riesigen Spaß. Der Kampf Mannschaft gegen Mannschaft macht doch gerade den Fußball aus. Und alles folgt doch klaren Regeln und spielt sich im friedlichen Rahmen ab.

Aber diesmal war schon im Vorfeld alles irgendwie anders. Zwar war ständig von der Titelverteidigung die Rede, aber jeder auch noch so kleine nationale Ansatz sollte offenbar im Keim erstickt werden. Die Nationalmannschaft heißt jetzt nur noch die Mannschaft; Jogi Löw hat bereits im ersten Spiel ein klares Zeichen gesetzt. Das Wort “Sieg” klingt ja auch viel zu martialisch.

Chinesen scheren sich nicht um deutsche Befindlichkeit

Dabei ist Fußball doch ein hoch emotionaler und kämpferischer Sport. So wird die deutsche Nationalmannschaft in China als der germanische Kriegswagen bezeichnet. Nach dem 7:1-Sieg gegen Brasilien bei der WM 2014 titelten die chinesischen Medien: “Der germanische Kriegswagen zermalmte das Königreich des Fußballs”. Sicherlich wäre es skandalös und unangemessen, wenn ein deutscher Reporter das so geschrieben hätte. Wenn aber alle Regeln der politischen Korrektheit auch im Königreich des Fußballs Einzug erhalten, dann leidet nicht nur der Siegeswille – auch das Daumendrücken wird schlaff!

DW-Redakteurin Zhang Danhong

Ein anderer Lustkiller ist die Politisierung dieser WM. Die Boykottaufrufe, weil sie in Russland stattfindet, ebenso der ganze Hickhack um Mesut Özil. Man kann von ihm ja halten was man möchte. Aber man kann nicht ihn erst auspfeifen, aber dann Höchstleistung von ihm erwarten. Kurz vor dem Spiel gegen Mexiko gab es dann auch noch ein Reglement der Emotionen während der WM von der Grünen-Politikerin Claudia Roth: Man dürfe sich zwar freuen, wenn Deutschland gewinne, aber bitte keine übertriebene Selbstbeweihräucherung.

Ein sehr wertvoller Tipp. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Man darf sich auch freuen, wenn Deutschland geschlagen wird! So habe ich mich am vergangenen Sonntag kurzerhand entschieden, Mexiko die Daumen zu drücken. Ohne das Atmen immer wieder einzustellen, wurde das Zuschauen deutlich entspannter. Und mein Wunsch ging in Erfüllung! 

Ich meine, wenn wir uns schon die Rettung der ganzen Welt zum Ziel setzen, dann können wir doch bei dieser WM zunächst einmal damit beginnen, die anderen Teilnehmer-Nationen zu beglücken. Erst die Mexikaner, dann die Schweden und dann – aus asiatischer Verbundenheit – die Südkoreaner. Und es wäre ja nicht irgendein Sieg für diese Länder, es wäre ein Sieg über den Weltmeister! Ich glaube, andere haben keine Hemmung, das so klar zu benennen.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 25 Jahren in Deutschland.

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