Kolumbien: “So was nennt man Demokratie”

0
384

Der eine Kandidat nutzt die Angst vor der Vergangenheit, der andere die vor der Zukunft. Wichtige Themen wie soziale Gerechtigkeit, Bildung und Arbeitslosigkeit spielen im Wahlkampf nur eine Nebenrolle.

“Ein Kandidat der Rechten gegen einen der Linken? So was nennt man Demokratie”, sagt Hubert Gehring, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Kolumbien. In Kolumbien ist es das erste Mal, dass sich zwei politisch wirklich entgegengesetzte Kandidaten für das Präsidentenamt bewerben: Iván Duque vom rechten Centro Democrático und Gustavo Petro von der linksgerichteten Colombia Humana, der darüber hinaus in den 1980er Jahren Mitglied der linken Stadtguerilla M-19 war.

Seit dem ersten Wahlgang am 27. Mai haben beide Kandidaten ihre Wahlbotschaften etwas moderater präsentiert, um die etwa sieben Millionen Wähler der politischen Mitte für sich zu gewinnen. “Die Kolumbianer wollen eigentlich keine Extreme und suchen einen Präsidenten, der das Land eint”, sagt Gehring.

Die FARC sind kein Thema

Die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Kandidaten und ihren Wahlprogrammen ist ein Gewinn für die kolumbianische Demokratie, ergänzt die kolumbianische Politikwissenschaftlerin Viviana García Pinzón vom Forschungsinstitut GIGA in Hamburg. Dabei ruft sie in Erinnerung, dass in den vergangenen Jahrzehnten mehrere linke Kandidaten ermordet wurden. Es sei außerdem bemerkenswert, dass “zum ersten Mal seit mehr als einem halben Jahrhundert die FARC nicht das dominierende Thema eines Präsidentschaftswahlkampfes ist.”

Die FARC als Guerilla ist verschwunden. Sie hat ihre Waffen gemäß dem Friedensabkommens mit der Regierung abgegeben und versank daraufhin als politische Partei krachend in der Bedeutungslosigkeit, als sie bei den Parlamentswahlen am 11. März nur 0,5 Prozent der Stimmen erhielt.

Der linke Kandidat steht links, der rechte in der Mitte: Stimmzettel für die Wahl am 17.06.

Trotzdem haben Duque und Petro im Wahlkampf fast gleichermaßen zur Polarisierung beigetragen und dabei einen gemeinsamen Nenner gefunden: die Angst. Beide haben die Angst darüber geschürt, was der jeweils andere Kandidat dem Land antun könnte. Obwohl die FARC politisch keine Rolle mehr spielt, haben die Rechten und Ultrarechten das Schreckgespenst der Guerilla hartnäckig am Leben erhalten.

Das rechte Lager um Iván Duque behauptet, Petro wolle aus Kolumbien ein zweites sozialistisches Venezuela machen. Das linke Lager um Petro wiederum versucht, Duque als Marionette des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe darzustellen.

Landarbeiter: vergessen und ausgeschlossen

“Was die Kolumbianer wirklich erwarten, ist, dass der nächste Präsident das Land auf die Zukunft ausrichtet”, meint KAS-Leiter Gehring. Er sehe nicht die Gefahr, dass Kolumbien von der Linken oder der Rechten geführt werde, sondern im Populismus. Die kolumbianischen Wähler würden im Allgemeinen die politische Mitte bevorzugen.

Kolumbien: Auf dem Land fehlt oft jede Infrastruktur

Gehring ist überrascht, dass die Kandidaten so viel über das Bruttoinlandsprodukt reden und wenig über die Bekämpfung der sozialen Ungerechtigkeit. “Die Förderung einer sozialen Wirtschaft gerade in den ländlichen Gemeinden, in denen der Frieden noch nicht spürbar ist, sowie der Ausbau der Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten”, so Gehring, seien die eigentlichen Prioritäten, denen sich der zukünftige Präsident widmen müsste.

Humanitäre Krise in Venezuela: Eine Zeitbombe

Eine echte regionale Herausforderung ist schließlich die humanitäre Krise in Venezuela und ihre Folgen für Kolumbien. Gehring bezeichnet dieses Problem als “Zeitbombe”. “Keiner der Kandidaten stellt Programme zur Integration venezolanischer Migranten in den kolumbianischen Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft vor”, warnt er. Dies könne auch zu einem Sicherheitsproblem werden.

Eine “politische Zeitbombe”: Venezolanische Flüchtlinge an der kolumbianischen Grenze

“Genau wie in Deutschland mit den Syrern wächst auch in Kolumbien die Skepsis und die Ablehnung gegenüber einer Million venezolanischer Migranten, die in den letzten zwölf Monaten unausgebildet und ohne Ressourcen ins Land gekommen sind”, sagt Hubert Gehring. Die internationale Gemeinschaft müsse Kolumbien stärker unterstützen. Es sei aber auch Sache des künftigen Präsidenten, Lösungsvorschläge auf den Tisch zu legen.

Die Entscheidung liegt nun bei den 36 Millionen registrierten Wählern. Die Hamburger Politologin García Pinzón hofft, dass die Wähler “diese Chance nutzen, um Kolumbien in ein Land zu verwandeln, in dem die Korrupten verurteilt werden, statt dass die sozialen Aktivisten ermordet werden.” So werden in Kolumbien wohl viele Wähler dem einen Kandidaten aus Angst vor der Zukunft und dem anderen Kandidaten aus Angst vor der Vergangenheit ihre Stimme geben.