“Kamerad, den habe ich noch nie gesehen”

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Mit 81 Jahren erinnert sich der kubanische General Victor Dreke, wie er im Guerillakrieg im Kongo unerwartet zu Che Guevaras Freund wurde.

Ernesto “Che” Guevara (l.) im kongolesischen Dschungel

“Dies ist die Geschichte eines Scheiterns” – so beginnt Che Guevara, der an diesem Donnerstag 90 Jahre alt würde, sein Tagebuch über die von ihm mitorganisierte Guerillabewegung in der Demokratischen Republik Kongo. Seine Beobachtungen brachte er im November 1965, nach sieben Monaten in dem zentralafrikanischen Land, zu Papier. Zwei Jahre darauf sollte er im bolivianischen Regenwald sterben.

So wie auch andere politische Niederlagen blieb das von Guevara in “Der afrikanische Traum” Beschriebene eine Fußnote in der Biographie des Guerilla-Anführers. Doch es erhält eine andere Bedeutung, wenn Victor Dreke es rekapituliert. Der kubanische General im Ruhestand war Stellvertreter des marxistischen Revolutionärs bei der ersten Mission Kubas in Afrika.

Dreke war in Kuba nach seinem Einsatz im “Kampf gegen die Banditen” von 1959 bis 1965 sehr angesehen – so wurde der Kampf gegen von der CIA finanzierte Kräfte genannt. Der heute 81-Jährige diente in der Zentralarmee in Santa Clara, als er ein Angebot erhielt, wieder an die Front zu gehen. Er nahm es an, ohne zu wissen, worum es sich genau handelte.

“Sie sollten dunkelhäutig sein, sehr dunkelhäutig”

Der Auftrag kam direkt von Fidel Castro: Dreke sollte eine Spezialmission leiten und hundert junge Soldaten rekrutieren, um ihm zu einem bis dahin unbekannten Ziel zu folgen. “Die Anweisung war, dass die Rekruten dunkelhäutig sein sollten, sehr dunkelhäutig. Das fand ich schon ein bisschen rassistisch”, erzählt er bei unserem Treffen in der kubanischen Botschaft in Brüssel.

Dreke klapperte also die Kasernen in der Region ab und fand schnell, wonach er suchte. “Ich kannte die Soldaten gut. Mit einigen hatte ich seit dem Guerillakrieg zusammen gekämpft, 10, 20 Jahre lang”, erinnert der Veteran sich und betont, das Ganze sei eine freiwillige Aktion gewesen. Wer sich dafür entschied, sollte seiner Familie erzählen, er gehe für ein Training in die Sowjetunion. Einige Monate lang hätten sich die Männer dann mitten im Urwald auf ihren Einsatz vorbereitet und dabei regelmäßig Besuch von Fidel Castro bekommen.

Am Abend vor dem geplanten Aufbruch, erzählt Dreke, habe er erfahren, dass er die Operation nicht mehr leiten solle. Auf Anweisung Castros sollte er den Platz für einen Kommandanten namens Ramón räumen. Von diesem jedoch hatte Dreke niemals zuvor etwas gehört.

“Ich dachte, das sei vielleicht ein Sowjetbürger, weil wir zu dieser Zeit nur wenige Kommandanten waren und ich keinen Ramón kannte. Ich fand es komisch, aber akzeptierte, ohne mich zu beschweren”, so Dreke.

Am selben Tag wurde er zu einem Haus gebracht, in dem José María Tamayo, auch „Papi” genannt, und der neue Chef der Mission waren. Es war Che Guevara, der damals noch anders aussah als auf dem Foto “Guerrillero Heroico” von 1960, jenem bekannten Porträt Guevaras, das bis heute auf T-Shirts und Plakate gedruckt wird.

“Er trug einen sehr konservativen Haarschnitt, einen großen, dunklen Schnurrbart und einen Anzug aus einem ebenfalls dunklen Stoff. Er sah sehr britisch aus mit diesem aufgestellten Kragen und seiner Krawatte”, so beschrieb es der kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez in dem Magazin Algarabía. Es ist eine der wenigen Schilderungen der Aufmachung Guevaras in dieser Situation.

Der “Guerrillero Heroico” hat auch heute noch Fans im Kongo: Che-Guevara-Aufkleber auf einem Taxi in Luvungi

Dreke versuchte zu verstehen, was vor sich ging, während “Ramón” in Papieren kramte. Auch Osmany Cienfuegos, der Bruder von Camilo Cienfuegos (ebenfalls einer der Anführer der kubanischen Revolution) war im Raum. Und Cienfuegos bestand darauf, dass der neue Kommandant kein Unbekannter war: “Verdammt, du kennst ihn!”

“Kamerad, ich habe ihn noch nie gesehen”, will Dreke darauf geantwortet haben. Erst da sprach Guevara und gab sich zu erkennen. “Als mir klar wurde, wer dieser unbekannte Herr in Wirklichkeit war, stellte ich mich sofort aufrecht hin”, so Dreke. Ohne es zu wissen, hatte er für den zukünftigen General einen Test bestanden, der den Männern, die Guevara besser kannten, von Fidel Castro auferlegt worden war. Castro war es wichtig, dass nicht einmal sie Guevara erkennen sollten. Das Regime fürchtete, dass er, der Revolutionär und Ex-Minister, gefangen genommen, exekutiert und sein Tod der Regierung angehängt werden könnte.

Am 1. April 1965 begann das aus Ramón, Dreke und Tamayo bestehende Trio seine Reise in den Kongo. Mit gefälschten Pässen ging es per Flugzeug über Moskau, Osteuropa, Algier, Kairo und Nairobi bis nach Daressalam, der Hauptstadt Tansanias. Von da aus reisten sie über den Tanganjikasee in die Demokratische Republik Kongo. Zusammen mit elf weiteren Kämpfern, die sich ihnen erst in Tansania angeschlossen hatten, gingen sie am 24. April im Südosten Kongos an Land. Es war vereinbart, dass Dreke sich als Chef vorstellen würde, während Guevara “Doktor Tatu”, einen Arzt und Übersetzer, spielen sollte. “Che sprach Französisch und ein paar andere Sprachen. Bei den ersten Treffen übersetzte er, was ich sagte. Ohne die Sprache zu verstehen, dachte ich: Das habe ich doch gar nicht alles gesagt”, erzählt Dreke. Guevara als “Doktor Tatu” auszugeben, war eine wohlüberlegte Entscheidung gewesen. “Er wurde nicht als Kämpfer, sondern als Arzt bekannt. Er besuchte verschiedene Orte und verteilte die wenigen Medikamente, die wir hatten”, so Dreke.

“Die Geschichte eines Scheiterns”

Sieben Monate später, nachdem er die fehlende Motivation der afrikanischen Soldaten und die Mängel in der Vorbereitung der Mission eingesehen und die internationale Unterstützung verloren hatte, entschied Guevara schließlich widerwillig, die erste internationale Mission Kubas zu beenden. Nachdem sie Afrika verlassen hatten, gingen Guevara und Dreke getrennte Wege. Guevara hatte immer noch den Wunsch, die Revolution in andere Länder zu bringen und organisierte eine neue Expedition. In Bolivien wurde er schließlich im Oktober 1967 gefangen genommen und getötet.

Drekes Beziehung zu Afrika indessen blieb lebendig. In den folgenden Jahren leitete er mehrere erfolgreiche Missionen in den Befreiungskriegen Guinea-Bissaus, der Kapverden und der Republik Guinea.