Wie neu ist “neue” Cebit wirklich?

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Alles anders auf der Tech-Messe? Nicht wirklich. Und doch hat sich Facebook entschieden, erstmals nach Hannover zu kommen. Aus der niedersächsischen Messestadt berichtet Andreas Becker.

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Cebit erfindet sich neu

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Cebit erfindet sich neu

Für Facebook ist es eine Premiere. Erstmals ist der IT-Konzern mit einem eigenen Stand auf der Cebit vertreten. Am Vortag hatte der IT-Vordenker Jaron Lanier seine Eröffnungsrede für eine beißende Kritik an Social Media genutzt und Firmen wie Facebook vorgeworfen, ihr Geschäftsmodell sei “krank”, “gefährlich” und “unwürdig”.

Facebook-Sprecher Stefan Meister wollte das nicht weiter kommentieren. “Jeder hat das Recht auf seine Meinung”, sagte er der DW. Meister bestritt zudem einen Zusammenhang zwischen der Facebook-Präsenz auf der Cebit und dem Datenskandal des Unternehmens, bei dem die Firma Cambridge Analytica Zugriff auf die Daten von Millionen Facebook-Nutzern hatte. Die Planung eines Messeauftritts habe einen langen Vorlauf, so Meister.

Facebook sei hier, weil es sich als “Teil der Gesellschaft” verstehe. Zwar seien die meisten Menschen aus privaten Gründen auf Facebook, doch das Netzwerk werde auch von Firmen genutzt, die so den Kontakt zu ihren Kunden verbessern wollen. Und weil auch der Messenger-Dienst Whatsapp, die Foto-App Instagram und die Virtual-Reality-Brillen von Oculus zum Konzern gehören, sind auf dem mittelgroßen Messestand auch VR-Konzepte zu sehen, die mit Firmen wie Audi und dem Logistikunternehmen DHL entwickelt wurden.

Zurückhaltender erster Auftritt: der Stand von Facebook

Der Cebit-Veranstalter Deutsche Messe AG jedenfalls freut sich, dass Facebook nun erstmals dabei ist. Auch hier will man keinen Zusammenhang zum Datenskandal sehen. Man sieht die Facebook-Teilnahme vielmehr als Bestätigung für das neue Konzept der Cebit. “Cooler und nerdiger” sei die Messe jetzt – und damit auch interessant für Firmen wie Facebook. Ob das Konzept funktioniert, werde man am Ende der Cebit analysieren. “Wenn unsere Kunden ihre Ziele erfüllen können, haben wir alles richtig gemacht”, so von Saß.

Eher Evolution als Revolution

Allerdings muss man schon sehr genau hinschauen, um das neue Cebit-Konzept auch wirklich zu erkennen. In elf Messehallen und vier “Pavillons” auf den Freiflächen dazwischen präsentieren sich wie eh und je Firmen aus aller Welt – Hersteller von Kabelklemmen ebenso wie IT-Großkonzerne. Zwischen den Ständen war schon in den Vorjahren Platz für Reden und Diskussionsrunden, und auch die “hippe” Rechtschreibung von Wortschöpfungen wie “d!conomy”, das die Digitalisierung der Wirtschaft beschreiben soll, gab es schon vorher (das ! wird wie i gesprochen).

Deutlich kleiner geworden ist der Bereich “Sourcing” – hier zeigen vor allem asiatische Hersteller von Tastaturen und anderem Computerzubehör ihre Waren, die Großhändler dann in Massen ordern konnten. “Das Sourcing-Geschäft verschiebt sich immer mehr nach China”, sagt Messesprecher von Saß, “dort gibt es dafür einige Messen.”

Klassische Cebit-Ware: Data-Center des chinesischen Konzerns Huawei

Vor einem Jahr füllten rund 3000 Aussteller die Hallen der Cebit, jetzt spricht die Messe von 2817 “teilnehmenden Unternehmen”. Früher durften nur Firmen, die einen Messestand gebucht hatten, auch auf den zahlreichen Rednerbühnen und Diskussionsrunden vertreten sein. Das ist heute anders, sagt von Saß.

So darf etwa der Chef von Sennheiser, einem Hersteller von Mikrofonen und Kopfhörern, auf der Cebit einen Vortrag zu “3D-Audio” halten, ohne dass sein Unternehmen einen Stand gemietet hat. Trotzdem wird Sennheiser als teilnehmendes Unternehmen gezählt. Wie viele Firmen überhaupt mit eigenem Stand vertreten sind, könne er erst am Ende der Messe bekanntgeben, so von Saß zur DW.

Nicht nur Bratwurst

Die auffallendste Neuerung der Cebit ist der große Außenbereich (Artikelbild oben). Hier präsentieren sich Unternehmen wie IBM und SAP mit großen Pavillons; Food-Trucks und Strand-Cafés bieten kulinarische Alternativen zur sonst allgegenwärtigen Bratwurst – abends finden Konzerte statt.

Ein weiteres Zeichen der neuen Cebit: Das Konferenz-Programm wurde deutlich ausgeweitet. Mehr als 500 Redner sind am Start, darunter Firmenchefs, Experten, Investoren und Blogger.

Einer von ihnen ist Mikka Hypponen, Forschungsdirektor bei F-Secure, einem finnischen Anbieter von IT-Sicherheitslösungen. In wenigen Jahren, sagt er, werde jedes Gerät, das mit Strom betrieben wird, auch online sein – “ob das Sinn macht oder nicht, ob Sie es wollen oder nicht”.

Düstere Einschätzungen: Sicherheitsexperte Mikko Hyppönen

Die dabei anfallenden Datenmengen seien ein gefundenes Fressen für das organisierte Verbrechen. Die Variante des Erpressungstrojaners Petya, die im Sommer 2017 Computersysteme in vielen Ländern lahm legte, nennt er “die teuersten Cyberattacke aller Zeiten”. Dabei hätten die betroffenen Unternehmen eigentlich nichts falsch gemacht. Die Schadsoftware verbreitete sich nicht per Email-Anhang, sondern als offizielles Update einer ukrainischen Finanz- und Steuersoftware, deren Anbieter zuvor gehackt worden war.

“Daten sind das neue Öl”

Der Fall habe gezeigt, dass auch Anbieter von IT-Sicherheit umdenken müssten. Es gehe nicht mehr nur darum, sensible Daten wie in einem Tresor vor unerlaubtem Zugriff zu schützen. “Wir brauchen jetzt auch Bewegungsmelder innerhalb des Tresors”, so Hypponen. Mit anderen Worten: Die Daten müssten ständig überwacht werden – was wiederum neue Datenmengen schafft, die ihrerseits zum Ziel von Angriffen werden können.

“Daten sind das neue Öl”, sagt Hypponen. “Wie das richtige Öl, bringen sie großen Wohlstand und Entwicklung, schaffen aber auch jede Menge neuer Probleme.” Den Kampf um die Sicherheit gibt er natürlich nicht verloren – das ist schließlich das Geschäftsmodell seines Arbeitgebers.

Doch was die Privatsphäre angeht, ist Hypponens Einschätzung düster – düsterer sogar als die von Jaron Lanier am Vortrag. “Den Kampf um unsere Privatsphäre”, sagt er, “haben wir bereits verloren.”