Streit um die Weckrufer von Jerusalem

0
253

Nachts ist es dieser Tage laut in der Altstadt von Jerusalem. Der Grund: Gesang und Trommeln – mitten in der Nacht. Doch nun sorgt die alte Ramadan-Tradition für Streit. Von Tania Krämer, Jerusalem.

Ein Weckrufer durchbricht die Stille der Nacht

Mit klarer, melodischer Stimme singt Mohammed Hajej die Weckrufe, begleitet von lauten Paukenschlägen eines jungen Trommlers. Es ist frühmorgens um halb drei. Die “Musaharati” sind unterwegs. So werden die Weckrufer genannt, die im Ramadan durch die engen Gassen ihres Viertels in der Jerusalemer Altstadt laufen und die Einwohner aufwecken, damit sie vor dem Sonnenaufgang noch etwas essen und beten können. Nach der letzten Mahlzeit vor Sonnenaufgang, dem sogenannten “Sahur””, beginnt das lange Fasten bis Sonnenuntergang, bis zum traditionellen Iftar, dem Fastenbrechen nach Sonnenuntergang.

Das Weckrufen ist eine alte Tradition in vielen arabischen Ländern. Auch wenn heute viele den Weckruf-Alarm im Mobiltelefon nutzen, für den 26-jährigen Hajej ist es ein Ramadan-Brauch, den er aufrecht erhalten will. “Wir haben die Aufgabe, ein Lächeln auf das Gesicht der Jerusalemer zu bringen, den Kindern, den Frauen, den Älteren und auch den Gästen. Dafür nehmen wir das frühe Aufstehen in Kauf, denn für uns ist es wichtig, dass dieser Monat etwas Festliches und Schönes ist.” Seit drei Jahren ist Mohammed Hajej frühmorgens unterwegs. Er hat das Handwerk von dem früheren Musaharati des Viertels gelernt, bei dem er jahrelang mitgelaufen ist. Auch jetzt läuft bereits wieder ein zweiter Sänger mit, der 14-jährige Majeed, der im Wechsel mit Mohammed singt.

Alte Tradition versus digitale Welt

In den verwinkelten Innenhöfen bleibt die Gruppe stehen, immer nur ganz kurz bevor es weiter geht durch die engen Gassen. Einige sind mit bunten Lichtern für den Ramadan geschmückt, andere liegen komplett im Dunkeln – um die Zeit sind hier sonst nur ein paar Straßenkatzen auf der Suche nach Futter. Hinter manchen Fenstern gehen die Lichter an, hinter anderen bleibt es dunkel. Aus einer Tür streckt vorsichtig eine Frau ihren Kopf heraus – noch ganz verschlafen. “Guten Morgen, danke fürs Aufwecken”, sagt sie und nickt zustimmend.

Das Rufen wird durch Trommeln unterstützt

“Gut, das es sowas noch gibt.” Andere sind sowieso gar nicht erst schlafen gegangen, machen noch Besorgungen in den frühen Morgenstunden. Während des Ramadans entwickelt jeder seinen ganz eigenen Rhythmus, um mit den langen Fastentagen umzugehen. Auch ein anderer Ramadan-Brauch erinnert die Bewohner Jerusalems an die Fasten-Zeiten: Jeweils morgens und abends ertönt die Ramadan-Kanone mit einem lauten Schlag, um den Beginn des Fastens am Morgen und das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang einzuläuten.

Doch dieses Jahr machen die Musaharati Schlagzeilen: Mehrmals seien sie von der israelischen Grenzpolizei vorübergehend festgenommen worden, sagt Mohammed Hajej. Es gab Beschwerden wegen Lärmbelästigung. In früheren Jahren hätte es deshalb keine Probleme gegeben, sagt Hajej. Aber dieses Jahr sei er bereits viermal verhaftet worden und musste Bußgeld zahlen. “Sie haben uns gestoppt und durchsucht, das ging solange bis der Sahur fast vorbei war, und wir wurden beschimpft”, erzählt der junge Mann. Offenbar hatten jüdische Nachbarn – israelische Siedler, die mitten im muslimischen Viertel leben – sich über die Musharatis beschwert.

Beschwerden wegen Lärmbelästigung

Eigentlich ist Jerusalems Altstadt in das muslimische, christliche, jüdische und armenische Viertel aufgeteilt. Aber inmitten des muslimischen Viertels leben auch einige national-religiöse Siedlerfamilien, was immer wieder für Konflikte sorgt. Und gerade dieses Jahr ist die Atmosphäre besonders angespannt: Nach der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und der de facto Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA, sehen Palästinenser ihren Anspruch auf den Ostteil der Stadt als zukünftige Hauptstadt immer weiter schwinden. Man hätte lediglich auf Beschwerden von Einwohnern der Altstadt wegen Lärmbelästigung reagiert, sagt Polizeisprecher Micky Rosenfeld, ohne genau zu präzisieren, von wem die Beschwerden stammen. Gleichzeitig versuche man, die “empfindliche Balance zwischen Religionsfreiheit, der öffentlichen Ordnung und Lebensqualität aller Bürger der Altstadt zu erhalten”, so die Stellungnahme der Polizei. Der Ramadan verlaufe aber bisher ruhig, das sei wichtig.

Die “Musaharati” bei ihrem Gang in den engen Gassen der Altstadt von Jerusalem

Die Musaharatis gehen jedenfalls auf Nummer sicher. So wird das Trommeln und Singen kurz unterbrochen, als sie an einem Haus vorbei kommen, in dem israelische Siedler wohnen. Gleich um die Ecke aber geht es weiter mit Trommel und Gesang. “Es ist unser palästinensisches kulturelles Erbe hier in Jerusalem, unsere Tradition”, sagt Hajej. “Damit werden wir weiter machen, Generation für Generation, und das werden wir nicht aufgeben.” Nach gut einer halben Stunde kehrt schon wieder Ruhe in den kleinen Altstadtgassen ein: Auch Mohammed und der Rest der Truppe machen sich auf den Weg nach Hause, die Zeit ist kurz, um selbst noch eine kleine Mahlzeit einzunehmen. Nur eine Stunde später verhallt der laute Schuss der Ramadan-Kanone über der Stadt. Es ist Zeit für die muslimischen Bewohner der Stadt, wieder zu fasten.