Nicaragua: “Die Repression nimmt immer weiter zu”

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Sie ist 20 Jahre alt, studiert Kommunikation. Seit fast zwei Monaten schläft sie keine zwei Nächte im selben Haus. Ihr Name steht auf der Liste von 13 mit dem Tod bedrohten Studentenführer. Ein Gespräch in Straßburg.

“Wir sind gekommen, um Ihren Abgang zu besprechen”. Das waren die Worte, die der Studentenführer Lesther Alemán dem nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega ins Gesicht sagte. Der 20-jährige Kommunikationsstudent ist seit seinem mutigen Auftritt in der von der nicaraguanischen Bischofskonferenz initiierten Dialogrunde zwischen Regierung und Vertretern der Zivilgesellschaft einer der prominentesten Repräsentanten der Protestbewegung in Nicaragua.

Seit Wochen kommt es in Nicaragua fast täglich zu teilweise blutigen Straßenprotesten gegen die Regierung von Daniel Ortega. Die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wirft den Sicherheitskräften vor, die Demonstrationen brutal niedergeschlagen zu haben. Seit ihrem Ausbruch kamen mehr als 130 Menschen ums Leben; mehr als 1.000 Personen wurden verletzt. “Sie können ruhig schlafen. Wir nicht. Wir werden verfolgt”, rief Lesther Alemán dem Präsidenten entgegen.

Der Studentenführer Lesther Alemán ist ein neuer Typus Revolutionär: Nerd mit Hornbrille.

Enttäuschte Generation

Auch Madeleine Caracas gehört zu den Studentenführern, die nachts nicht mehr ruhig schlafen können. Wie viele andere hat auch sie zahlreiche Todesdrohungen bekommen. Alle zwei Nächte wechselt sie die Unterkunft. Die 20-jährige Kommunikationsstudentin hielt sich kürzlich in Europa auf, um auf die Lage in ihrem Land aufmerksam zu machen.

“Wir wollen den Rücktritt der Regierung erreichen”, bestätigt Madeleine Caracas im Gespräch mit der Deutschen Welle. “Seit April sind über 400 Menschen verschwunden. Diejenigen, von denen man wieder hört, wurden gefoltert oder sind tot”, erzählt die junge Studentin.

Madeleine gehört zu der nicaraguanischen Jugend, die mit den Idealen ihrer Eltern aus der sandinistischen Revolution aufgewachsen, jetzt jedoch bitter enttäuscht ist. Der Auslöser für die massiven Proteste war noch vergleichsweise banal. Die Regierung plante eine Rentenreform mit schmerzhaften Einschnitten. Hinzu kam ein Großbrand im Bioreservat Indio Maíz, bei dem viele Kritiker ein Versagen der staatlichen Aufsicht vermuteten.

“Mein Vater ist Sandinist, meine ganze Familie ist es schon immer gewesen. Mein Vater war bereit, sein Leben für die Ideale der Revolution zu geben, mit denen ich aufgewachsen bin. Doch die Ideale sind vergessen. Auch Daniel Ortega steht nicht mehr für diese Ideale. Der Sandinismus ermordet nicht seine eigenen Leute”, sagt Madeleine Caracas.

Studenten protestieren nahe der Universität in der Hauptstadt Managua gegen die Regierung.

Rückeroberung der Demokratie

Der frühere Rebellenkommandeur Ortega hatte bereits nach dem Sieg der sandinistischen Revolution von 1985 bis 1990 regiert und war 2007 an die Macht zurückgekehrt. Viele Kritiker werfen ihm vor, sich inzwischen von seinen sozialistischen Idealen verabschiedet und stattdessen immer mehr einen autoritären Führungsstil entwickelt zu haben. Zusammen mit seiner Ehefrau Rosario Murillo, die zugleich auch Vizepräsidentin des Landes ist, soll Ortega öffentliche Gelder in die Taschen seines Familienclans umgeleitet haben.

“Daniel Ortega ist nicht mehr der Revolutionär, der er in den 1970er Jahren war. Er steht heute für ein diktatorisches Regime, das nichts mit Sozialismus am Hut hat”, sagt die Studentenführerin und bringt ihre Hoffnung auf einen demokratischen Wandel zum Ausdruck. “Wir protestieren gegen die Repression und gegen die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. Alle unsere TV-Sender werden vollständig zensiert”.

“Die Demokratie wurde in Geiselhaft genommen”, sagte Studentenführer Lesther Alemán in einem Interview mit dem TV-Sender Univision. “Nicaraguas Jugend ist entschlossen, die Demokratie zurückzuerobern.