Die dunkle Seite der Cebit

0
293

Die Tech-Messe kämpft mit neuem Konzept ums Überleben. In Hannover ist von der Hoffnung, aber auch vom Horror des Digitalen die Rede.

Disruption ist ein Lieblingswort der Tech-Welt. Damit ist gemeint, das etablierte Geschäftsmodelle abgelöst werden von neuen Lösungen. Wer den Anschluss verpasst, wird hinweggefegt. Dieses Schicksal könnte auch die Cebit selbst treffen.

Einst als größte Tech-Messe der Welt gefeiert, hat die Cebit schwere Jahre hinter sich, weil ihr das Besondere abhanden kam. Auch anderswo ist vom Internet der Dinge, Industrie 4.0 und den Möglichkeiten der Cloud die Rede – etwa auf der Industriemesse in Hannover. Die Smartphone-Welt trifft sich inzwischen in Barcelona, die Unterhaltungsindustrie in Las Vegas, und die ganz heißen Zukunftsthemen werden auf der Tech-Konferenz SXSW im texanischen Austin diskutiert. Warum also auf die Cebit fahren?

Cebit 2018: jünger, hipper, freiluftiger – und mit Riesenrad

Hip in Hannover

Die Veranstalter haben deshalb versucht, die Cebit neu zu erfinden. Jünger soll sie werden, bunter und sonniger – die Messe wurde extra vom März in den Juni verlegt. Mehr wie eine Tech-Konferenz will sie sein, ein Festival – viele Veranstaltungen finden unter freiem Himmel statt, auf einer großen Bühne gibt es Konzerte. Messe-Chef Oliver Frese hat von SXSW in Texas als Vorbild geschwärmt.

Gleichzeitig aber soll die Cebit auch eine klassische Messe bleiben, 2800 Aussteller präsentieren sich hier. “Die Cebit steht dafür, dass sich Spaß und Geschäft nicht ausschließen”, sagt Frese. Es wird sich zeigen, ob dieser Spagat funktioniert.

Den Anfang machte am Montag Jaron Lanier mit einer Rede im vollbesetzten Auditorium. Der US-amerikanische Informatiker gilt als ein Vordenker und Pionier der Tech-Branche.

Schon 1985 gründete er ein Unternehmen, das Virtual-Reality-Brillen und Datenhandschuhe entwickelte. Er forschte an verschiedenen Universitäten und bei Microsoft. Das US-Magazin Time nahm ihn 2010 in seine Liste der “100 einflussreichsten Persönlichkeiten” auf.

In zahlreichen Büchern setzt er sich zudem kritisch mit den Gefahren der Digitalisierung auseinander – dafür wurde er 2014 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Jaron Lanier eröffnete die Cebit 2018 mit einer Kritik am Geschäftsmodell von Social Media

Wer zahlt, ist freier

“Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst” heißt Laniers aktuelles Buch, und darüber sprach er auch in Hannover. Er kritisiert das Geschäftsmodell von Facebook, Google und anderen, die sich offiziell durch Werbung finanzieren.

“Ich habe nichts gegen Werbung”, sagte Lanier. “Aber das, was die machen, ist keine Werbung, sondern eine Verbindung aus totaler Überwachung und beständigen Anreizen zur Beeinflussung von Verhalten.”

Wut und Hass würden dadurch gefördert, und Datenschutz-Regeln wirkten lediglich “wie Bitten an die Könige”, sagt Lanier. Veränderung könne nur ein anderes Geschäftsmodell bringen, bei dem die Nutzer für Dienste bezahlen. Das würde die Unternehmen kreativer machen und die Nutzer befreien.

Dass die persönliche Freiheit der Nutzer nicht unbedingt oberste Priorität hat, war während des Vortrags von Amir Faintuch zu spüren, der direkt nach Lanier sprach. Der Manager des US-Chipherstellers Intel entwarf eine Welt, in der das komplette Leben aus Daten besteht, die ausgewertet, aufbereitet und neu zusammengefügt werden müssen.

Das stellt enorme Ansprüche an die Rechenleistung, aber auch an die Art, wie Computer Daten verarbeiten – etwa, um aus der Mimik von Nutzern in Youtube-Videos Rückschlüsse auf deren Gefühlszustand ziehen zu können. Auch der Klang der Stimme, mit dem Nutzer ihre digitalen Assistenten beauftragen, könnte in Zukunft ausgewertet werden.

DNA-Modell am Cebit-Stand – im Hintergrund Selbstporträts eines Künstlers, der unter Alzheimer litt

Rechnen gegen Alzheimer

Die Möglichkeiten für Beeinflussung scheinen also endlos – Lanier nennt das, in Anlehnung an Star Wars, “the dark side”. Neben solch düsteren Prognose ist auf der Cebit auch einiges zu sehen, dass Hoffnung macht. Dazu gehört die Kooperation des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) mit dem US-Computerhersteller HP (früher Hewlett Packard).

Um Demenzerkrankungen wie Alzheimer besser verstehen und therapieren zu können, analysieren die Forscher die Gene und Hirnscans von tausenden Erkrankten. Die dabei anfallenden Datenmengen sind so gewaltig, dass sie herkömmliche Computer schlicht überfordern.

“Das Problem ist, dass in einem einzelnen Rechner nicht genügend Speicher zur Verfügung steht”, sagt Axel Simon von HP. “Es geht einfach zu viel Zeit verloren, die Daten hin- und her zu schieben.”

Entwickelt wurde daher eine neue Computerarchitektur, die Berechnungen um den Faktor 10.000 beschleunigen kann. Denn schnellen Speicher gibt es bis zum Abwinken. “Diese Architektur hat eine Systemgrenze 4096 Yotta-Byte”, sagt Simon. “Das entspricht der 250.000-fachen Datenmenge dieses Planeten, die ein einzelner Rechner zur Verfügung hat.”

“Vor vier Jahren brauchten wir für die Auswertung einer Gen-Sequenz noch fünfeinhalb Tage”, erläutert Dietmar Dengler vom DZNE den praktischen Nutzern für Mediziner. “Heute sind es nur noch 13 Sekunden.” Für die Zukunft sieht er große Möglichkeiten für “individualisierte Medizin” – Behandlungsmethoden, die für das genetische Profil des Patienten maßgeschneidert sind.

Ein Mitarbeiter des DFKI bewegt einen Roboterarm – anderswo auf der Welt lernt ein Roboter mit

Zeit ist Geld

Viel Zeit sparen lässt sich auch mit den “Hybriden Teams”, an denen im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) derzeit geforscht wird. Wenn sich in der industriellen Produktion Arbeitsschritte verändern, etwa durch neue Bauteile, dann müssen auch die Roboter neu “angelernt” werden. Bisher müssen Experten zu den verschiedenen Standorten reisen und nachjustieren.

Damit könnte dank der Entwicklung des DFKI bald Schluss sein. “Ich muss dann nicht mehr extra hinfliegen, sondern kann vom Heimatstandort aus verschiedene Fabriken betreuen”, sagt Tim Schwartz. So kann ein Lehrer den Arm eines Roboters in Saarbrücken führen, und ein Roboter lernt in Echtzeit dieselben Arbeitsschritte in China.

Das spart Zeit und Geld, bringt aber neue Probleme mit sich. Denn weil die Kommunikation über das Internet läuft, sind nicht nur Stabilität und Geschwindigkeit der Verbindung wichtig, sondern vor allem die Sicherheit der Daten. Nicht auszudenken, würde die Verbindung gehackt. Konkurrenten hätten dann direkten Einblick in die Produktion und außerdem Kontrolle über die Roboter. Die Möglichkeiten für das, was Jaron Lanier “the dark side” nennt, sind auch in der Industriespionage grenzenlos.