Obamas Netflix-Deal und die Strategie des Streaming-Giganten

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Ist die Nachricht, dass die Obamas bei Netflix einsteigen, ein weiteres Indiz für die Vorherrschaft des Streamingdienstes? Ein Gespräch mit der Fernsehforscherin Amanda Lotz über Netflix und das Ende des Rundfunks.

Netflix hat in den vergangenen Jahren massiv eigene Serien und Filme produziert, um Hollywoods Monopol aufzubrechen und um eine Anzahl exklusiver Angebote zu schaffen, die rund um den Globus gesehen werden können. Gerade erst hatte Netflix die Rechte an Martin Scorseses nächstem Film mit Al Pacino und Robert De Niro erworben. Wenig später machte der Stremingdienst bekannt, dass Michelle und Barack Obama exklusive Inhalte für Netflix produzieren werden, mit denen Letzterer hofft, “talentierte, inspirierende und kreative Stimmen fördern zu können, die ein besseres gegenseitiges Verständnis zwischen Menschen unterstützen”.

Amanda Lotz, Kommunikationswissenschaftlerin und Professorin an der University of Michigan, erläutert im DW-Gespräch, dass der Deal mit den Obamas Teil eines neuen, revolutionären Erlösmodells ist, das sich an unterschiedliche Zielgruppen weltweit richtet.

DW: Netflix hat gerade die Marke von 125 Millionen Abonnenten weltweit geknackt, die Hälfte davon leben außerhalb der USA. Wie kam es dazu, dass der Streamingdienst so schnell zum weltweit größten Anbieter wurde, der auch traditionelle Fernsehsender verdrängt?

Amanda Lotz: Charakteristisch für Netflix ist es, viele verschiedene Nischen gleichzeitig zu bedienen. Internationales TV gibt es bei uns schon sehr lange, aber es hatte niemals die Technologien, die die Möglichkeiten bieten, die Netflix nun hat. Netflix hat eine Online-Mediathek statt einem Fernsehprogramm und die Möglichkeit, gleichzeitig Programme rund um den Globus verfügbar zu machen. Das ist wirklich eine Neuerung.

Ich denke, dass Netflix anfangs vorhatte, einen Großteil seiner US-Angebote auch im Ausland anbieten. Aber mittlerweile gibt es auch viele Beispiele dafür, die darauf hinweisen, dass Netflix gezielt Inhalte für andere Märkte entwickelt (Anm. d. Red.: zum Beispiel die deutsche Serien-Produktion “Dark”).

Weil das Publikum weltweit verteilt ist, müssen diese vielen Nischen, die Netflix anvisiert, nicht mehr in einem Land liegen, sondern in mehreren. Für die Frage, welche Inhalte an welchen Orten beliebt sind, war beim Rechteeinkauf auf dem  Fernsehmarkt bisher die nationale Identität eines Landes zentral. Netflix bricht nun damit und fokussiert sich auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen rund um den Globus, ohne zu berücksichtigen, ob sie an einem speziellen Ort leben.

Ob Smartphone, Tablet oder Notebook – Filme und Serien sind längst überall konsumierbar

Was sagt der neue Deal mit den Obamas über die Bestrebungen von Netflix aus, eigene exklusive Inhalte außerhalb des bestehenden Systems von TV- und Hollywood-Produktionen zu produzieren?

Ich denke, dass das einhergeht mit anderen Geschichten, die in den vergangenen Monaten publik wurden – wie Exklusivverträge mit Ryan Murphy und Shonda Rhimes (Anm. d. Red.: Die beiden erfolgreichen Produzenten wurden mit siebenstelligen Summen von großen TV-Sendern abgeworben, Netflix hat bereits die Streaming-Rechte an Rhimes’ Serie “Grey’s Anatomy” gekauft).

Ein Dienst wie Netflix bietet eine Mediathek statt einem TV-Sendeschema und versucht, alle seine Inhalte in eben dieser Mediathek zu behalten – sie werden nicht probieren, einzelne Inhalte auf einem zweiten Markt zu verkaufen. Seitdem dies der Kern ihres Geschäftsmodells ist, ist Exklusivität ein echter Vorteil für Netflix.

Solche Exklusivverträge mit einem so großen Echo, mit Persönlichkeiten wie den Obamas und Netflix ist der einzige Ort, an dem man an diese Produktionen rankommt – ich denke, dass das sehr gut ist, um die Marke Netflix zu erweitern und zu sagen: “Wir sind mehr als Serien.”

Wir wissen alle nicht genau, was die Obamas genau machen werden, aber ich denke, dass wir an ihren Produktionen sehen werden, dass Netflix ein sehr vielseitiger Streamingdienst ist. Es ist ein großartiger Ort, um Zugang zu vielen Dokumentarfilmen zu bekommen, die Sie an anderen Orten möglicherweise nicht finden. Es gibt ein Publikum für solche Produktionen und die Visionen, die die Obamas entwickeln möchten. Aber man braucht große Namen, um so eine Mediathek aufzubauen.


  • Start der Netflix-Serie “Dark”

    Deutsche Netflix-Serie “Dark”

    Anfang Dezember ist es soweit: Beim US-Streaming-Anbieter “Netflix” läuft die erste deutsche Serie an, die das weltweit erfolgreiche Portal für den internationalen Markt produziert hat. Die erste Staffel umfasst zehn Folgen und erzählt von vier Familien in der deutschen Provinz. Zu Beginn verschwinden zwei Kinder, das löst Ermittlungen aus, die zurück bis in die 1980er Jahre reichen.


  • Start der Netflix-Serie “Dark”

    Düstere Welten in “Dark”

    Regisseur Baran bo Odar hat die Serie inszeniert und mit seiner Frau Jantje Friese das Drehbuch geschrieben. Der Schweizer hatte vor ein paar Jahren eine ganz ähnliche Geschichte fürs Kino inszeniert: “Das letzte Schweigen” – Auch das ein Familiendrama in der deutschen Provinz, das zwei Generationen miteinander verknüpft. “Dark” nun ist wesentlich düsterer, die Szenerie mutet klaustrophobisch an.


  • Start der Netflix-Serie “Dark”

    Hans-Christian Schmids “Das Verschwinden”

    Auch die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland mischen beim Serien-Poker mit. Vor kurzem lief bei der ARD “Das Verschwinden”, ebenfalls eine düstere Geschichte aus der deutschen Provinz. Auch hier geht es um das Verschwinden einer Jugendlichen – und das Drama, das sich daraus entwickelt. In der Hauptrolle überzeugte eine großartige Julia Jentsch.


  • Start der Netflix-Serie “Dark”

    Historische Serie “Babylon Berlin”

    Während “Das Verschwinden” auf soziale Gegenwart und Psychologie setzte, entfaltete die teuerste deutsche Serie, “Babylon Berlin”, ein historisches Tableau. Sie ist derzeit beim privaten Anbieter “Sky” zu sehen. Drei Regisseure haben mit großem Aufwand das Berlin der 1920er Jahre in einem opulenten Bilderreigen wiederauferstehen lassen. “Babylon Berlin” wurde in viele Länder verkauft.


  • Start der Netflix-Serie “Dark”

    Deutsche Amazon-Serie “You Are Wanted”

    Die erste deutsche Serie, die vom US-Giganten “Amazon Prime” speziell auch für den hiesigen Markt entwickelt wurde, war “You Are Wanted”, die ab März 2017 lief. Inszeniert wurde sie von Matthias Schweighöfer, der auch die Hauptrolle spielt. Die Serie, die unter anderem das Thema digitale Überwachung behandelt, stieß auf ein geteiltes Echo. Doch eine zweite Staffel ist bereits in Arbeit.


  • Start der Netflix-Serie “Dark”

    Fortsetzung für “Deutschland 83”

    Ebenfalls eine zweite Staffel erlebt die zeithistorische Spionageserie “Deutschland 83”, die 2015 beim Privatsender RTL zu sehen war. Dann allerdings unter dem Titel “Deutschland 86”. “Deutschland 83” sammelte weltweit Preise ein und wurde in zahlreiche Länder verkauft, hatte bei RTL aber schlechte Quoten – und läuft deshalb 2018 zunächst bei “Amazon Prime”.


  • Start der Netflix-Serie “Dark”

    Berliner Clan-Kämpfe: “4 Blocks”

    Auch “4 Blocks” von Regisseur Marvin Kren darf als Erfolg gelten – und wird deshalb ebenfalls fortgesetzt. Premiere feierte die Serie um die Auseinandersetzungen verschiedener Familienclans in Berlin-Neukölln 2017 bei der Berlinale, anschließend liefen die sechs Folgen beim Anbieter “TNT Serie”. “4 Blocks” erhielt hervorragende Kritiken und wurde mit der amerikanischen Serie “Sopranos” verglichen.


  • Start der Netflix-Serie “Dark”

    Deutsche Geschichte in “Weißensee”

    Dass sich deutsche Serienmacher besonders gut auf zeithistorische Sujets verstehen, beweist die seit 2010 gedrehte ARD-Serie “Weißensee”. In inzwischen drei Staffeln geht es um zwei Familien in Ost-Berlin in den 1980er Jahren. Auch “Weißensee” wird aufgrund guter TV-Quoten fortgesetzt, eine vierte Staffel ist in Produktion. Verkauft wurde die Serie unter anderem nach Italien und Russland.


  • Start der Netflix-Serie “Dark”

    Grandioser künstlerischer Erfolg: “Im Angesicht des Verbrechens”

    Die beste deutsche Serie der letzten zehn Jahre ist “Im Angesicht des Verbrechens”. Regisseur Dominik Graf inszenierte das Epos um zwei Berliner Polizisten, die im Mafia-Milieu der Hauptstadt ermitteln, 2010. Die rasant entwickelten Szenenfolgen, das düstere Tableau und die formalen Experimente überforderten allerdings viele Zuschauer. “Im Angesicht des Verbrechens” erzielte enttäuschende Quoten.


  • Start der Netflix-Serie “Dark”

    Hoffen auf “Dark”

    “Netflix” hofft jetzt, dass mit “Dark” der deutsche Marktanteil ausgebaut werden kann. Mit vielen in den USA produzierten Serien ist “Netflix” bereits weltweit erfolgreich. Doch alle internationalen Anbieter wie “Sky”, “Amazon” oder eben auch “Netflix”, setzen auf eine noch engere Zuschauerbindung, indem sie nationale Serien in Auftrag geben und damit spezifische Publikumsinteressen abdecken.

    Autorin/Autor: Jochen Kürten


Wird sich Netflix mehr auf internationale Produktionen konzentrieren – wie zum Beispiel die erste deutsche Netflix-Serie “Dark” – um das größer werdende Publikum weltweit anzusprechen oder wird es in erster Linie weiter amerikanische Produktionen geben?

Ich glaube, es ist wichtig, dass es da kein Entweder-oder gibt. Meiner Ansicht nach werden sie beides tun. Wenn man das Thema aus der US-amerikanischen Perspektive und der der Wirtschaftlichkeit eines Kabelkanals oder Rundfunknetzes betrachtet, wird deutlich, dass lange Zeit die Wahrnehmung galt, dass der Markt für internationale Produktionen in den USA nicht groß genug war. Aber das Vertriebssystem von Netflix ermöglicht es, diesen Markt zu identifizieren und zu bedienen. Sobald Netflix dafür zahlt, diese Inhalte zu produzieren, werden sie in der Netflix-Mediathek erscheinen und sie haben die Rechte daran und Zugriff darauf und die Möglichkeit, mehr Märkte zu erschließen.

Netflix profitiert also von der Chance, dass die Technologie beides ermöglicht: diese Mediatheken zu haben, die viel tiefgründiger sein können, als es ein TV-Programm jemals könnte, und an vielen Orten gleichzeitig zu sein.

Ist es zu erwarten, dass Netflix mit seinem Streaming-Modell irgendwann die traditionellen Sender verdrängt? Oder hat dieser Prozess vielleicht schon begonnen?

Schwer zu sagen. In der Sichtweise von vielen Journalisten und Analysten ist das ein Kampf, den nur einer gewinnen kann. Ich denke, dass sich das Ökosystem Fernsehen ausdehnt, solange der Rundfunk etwas anderes macht als ein Unternehmen wie Netflix – nur dann bleibt er am Leben.

Das Gespräch führte Sarah Hucal.