Ein Leben in Briefen: Sotheby’s versteigert Marcel-Proust-Nachlass

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Marcel Proust gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der frühen Moderne. Neben seinen literarischen Werken verfasste er Tausende von Briefen. Einige davon kommen jetzt in Paris bei Sotheby’s unter den Hammer.

“Ich glaube nicht an Briefe, die nicht ankommen”, schrieb Marcel Proust 1916 an seinen Freund Lucien Daudet. Umso eifriger verschickte der französische Schriftsteller Nachrichten per Post. Experten schätzen, dass Proust Zeit seines Lebens etwa 90.000 Briefe aufsetzte, von denen bisher allerdings nur ein Bruchteil öffentlich bekannt ist. Jetzt versteigert das Auktionshaus Sotheby’s in Paris zum wiederholten Mal Briefe, Notizen und Manuskripte des Autors. Sie stammen aus dem Nachlass von Prousts Großnichte Marie-Claude Mante. Die Originalschriften gelten als kostbare Relikte aus dem Leben eines großen Literaten, der viele Jahre schwerkrank und doch unermüdlich schreibend im Bett verbrachte.

Das Monumentalwerk 

“Das wahre Leben, das endlich entdeckte und ans Licht gebrachte Leben, das folglich einzige voll und ganz gelebte Leben ist die Literatur.” So steht es im letzten Band von Prousts siebenteiligem und 4500 Seiten langen Monumentalepos “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” (im französischen Original “À la recherche du temps perdu”, erschienen zwischen 1913 und 1927). 95 Hefte und vier Notizbücher umfassen allein die Entwürfe und Niederschriften für diesen einen Roman, der stark autobiografisch an Prousts eigenes Leben angelehnt ist. Der Ich-Erzähler erinnert sich darin mitunter minutiös an Details aus der Kindheit. Die letzten drei Bände wurden posthum veröffentlicht. Zum Gesamtwerk Prousts zählen etliche weitere literarische Schriften sowie Tausende von Briefen, die er ab seinem 17. Lebensjahr zu schreiben begann.

Marcel Proust studierte Jura, übte den Beruf jedoch nie aus. Er widmete sich stattdessen ganz dem Schreiben.

Gewitzter Salonlöwe

Proust, mit vollem Vornamen Valentin Louis Georges Eugène Marcel, war der Sohn bürgerlicher, wohlhabender Eltern. Sein Vater, Adrien Proust, war ein anerkannter Medizinprofessor und Arzt, seine Mutter, Jeanne Proust, stammte aus einer jüdischen Bankiersfamilie. Mit Anfang 20 schloss Proust zunehmend Bekanntschaften mit dem Pariser Hochadel und verkehrte in den edlen Salons der Stadt. Er war immer für ein Bonmot gut und mutierte schnell zum Salonlöwen. Allerdings war Prousts Verhältnis zur Pariser Hautevolee durchaus ambivalent. Zwar faszinierte ihn diese schillernde Welt, doch äußerte er sich in seinen Schriften auch immer wieder satirisch über die Gepflogenheiten des mondänen Hochadels, so auch in der französischen Tageszeitung “Le Figaro”. 

Selbstverfasste Lobeshymnen

Nachdem Proust sein Jura-Studium an der Pariser Sorbonne 1893 ohne Examen beendet hatte, arbeitete er eine Weile unbezahlt als Bibliothekar in der Bibliothèque Mazarine, der ältesten öffentlichen Bibliothek Frankreichs. Gerüchten zufolge war dies jedoch eher eine Art Alibi-Beschäftigung, der Proust nur unregelmäßig nachkam. Stattdessen widmete er sich zunehmend seinem eigenen literarischen Schaffen. Über Geld musste sich der wohlhabende Schriftsteller kaum Sorgen machen. Immerhin konnte er es sich sogar leisten, umgerechnet mehrere 1000 Euro für positive Kritiken seiner Bücher zu bezahlen. Wie man heute weiß, schrieb er einige Rezensionen zum ersten Band seines Hauptwerks “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” selbst. Sein Schreibstil, heißt es da etwa, sei “fast zu leuchtend für das Auge”. Ganz so verkehrt lag er mit seiner Selbsteinschätzung allerdings nicht: Schließlich erhielt er 1919 für den zweiten Teil seines Epos’ den renommierten französischen Literaturpreis Prix Goncourt und gilt heute als einer der bedeutendsten Schriftsteller der frühen Moderne. 

Diese Zeichnung von Marcel Proust zeigt den Schriftsteller (links) zusammen mit seinem engen Freund Reynaldo Hahn

Aus Liebe wird Freundschaft

Prousts erste große Liebe war der Komponist Reynaldo Hahn, der auch seine Gedichte “Porträts von Malern” vertonte. Zwar dauerte die Romanze zwischen den beiden nur etwa zwei Jahre, doch blieben die Männer ein Leben lang eng verbunden. Zahlreiche Briefe zeugen von einer innigen freundschaftlichen Beziehung (von der Korrespondenz ist jedoch hauptsächlich Prousts Teil erhalten). Hinweise auf Prousts Homosexualität gab es bereits in Briefen aus der Schulzeit an zwei seiner Mitschüler. Dem Thema widmete sich der Schriftsteller außerdem im vierten Band (“Sodom und Gomorrha”) seines Hauptwerks “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit”.

Der ewig Kranke

Marcel Proust kränkelte Zeit seines Lebens. Schon mit neun Jahren hatte er seinen ersten schlimmen Asthmaanfall. Zudem stürzte ihn der Verlust seiner Eltern in eine schwere Depression. 1903 starb sein Vater, nur zwei Jahre später seine Mutter, mit der Proust bis zu ihrem Tod, damals war er 34 Jahre alt, zusammenlebte.

Das besonders innige Verhältnis zwischen Proust und seiner Mutter wird deutlich, wenn der Ich-Erzähler in seinem Roman schildert, dass es ihm als Junge unmöglich war, ohne einen Gute-Nacht-Kuss einzuschlafen. In seiner Trauer zog sich Proust schon bald mehr und mehr zurück. 1909 begann er mit der Arbeit an seinem Monumentalepos. Aufgeschrieben hat Proust einen Großteil der sieben Bände, als er schwerkrank und von Asthma geplagt in seinem Bett lag. “Seit fünfzehn Jahren lebe ich liegend”, klagte er in einem seiner Briefe. Am 18. November 1922 starb Marcel Proust. Er wurde 51 Jahre alt.  

Marcel Proust auf dem Sterbebett. Das Grab des Schriftstellers befindet sich auf dem Friedhof Père-Lachaise in Paris.