Der Klub mit den zwei Gesichtern

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Wolfsburg hat den Abstieg zum zweiten Mal in Folge in der Relegation abgewendet, der neue Vorstand Sport steht fest. Doch es gibt viele Fragen. Gut, dass jetzt erstmal die Frauen für heitere Stimmung sorgen können.

Am Dienstag gab es beim VfL Wolfsburg endlich mal wieder Positives zu berichten und das gleich doppelt. Zum einen gab der Klub in Jörg Schmadtke die erwartete Verpflichtung als Sportdirektor bekannt, zum anderen twitterte der Klub ein Foto der Frauen-Mannschaft, die am frühen Nachmittag voller Vorfreude zum Champions-League-Finale nach Kiew aufgebrochen war.  

Doch gleichermaßen positiv kann man beide Tatsachen und den Kontext, in dem sie stattfanden, nicht bewerten. Denn wo bei den Herren in Hoffnungsträger Schmadtke ein möglicher Schritt in Richtung Kontinuität und stabiler Klubführung vollzogen wurde, sind die Frauen mit dem bereits gewonnenen Double aus Meisterschaft und DFB-Pokal national das absolute Maß aller Dinge. Und könnten dies mit einem erneuten Triumph in der Champions League gegen Olympique Lyon und dem Triple-Gewinn auch international sein.

Davon können die Herren nur träumen. Das letzte Champions-League-Spiel, ein 0:3 gegen Real Madrid, ist gerade einmal gut zwei Jahre her. Im Hinspiel des Viertelfinals der Saison 2015/16 hatte das Team des damaligen Trainers Dieter Hecking die Königlichen aus Madrid 2:0 geschlagen und am Ende der Saison den DFB-Pokal gewonnen. Dieter Hecking ist in Wolfsburg längst Geschichte, genauso wie der überwiegende Teil des damaligen Kaders – ob de Bruyne, Draxler oder Schürrle, um nur einige zu nennen. Nachgelegt wurde selbstverständlich schon, selbstverständlich auch mit viel VW-Geld, doch trotzdem ging es seither stetig und vor allem steil bergab. K.o.-Modus gab es in diesem und im letzten Jahr in der Relegation statt in der Champions League. 

Versagt aber nicht versunken

“Wolfsburg hat versagt und nicht wir,” sagte der enttäuschte Kieler Dominik Schmidt nach der verlorenen Relegation gegen den finanzkräftigen Bundesligisten und kritisierte damit die Relegations-Regel, ohne die Kiel als Dritter der 2. Liga auf- und Wolfsburg als 16. der Bundesliga abgestiegen wäre. Und man kann seiner Sichtweise durchaus folgen – wenngleich der VfL nicht in den beiden Spielen gegen Kiel, wohl aber über die ganze Saison ein katastrophales Bild abgegeben hatte, zu dem Gegner Kiel in der 2. Liga als Aufsteiger mit Minimal-Etat eine Art Gegenentwurf verkörpert hatte. 

Kurzfristiges Ziel erreicht und trotzdem versagt – auch wenn die Herren einen Tag nach dem Pokalsieg der Frauen den Absturz in die 2. Liga gerade noch so vermeiden konnten. In Wolfsburg ist es dieser Tage so: Die Frauen sorgen mit Superlativen für Schlagzeilen, die Männer mit der knappen Vermeidung der Katastrophe. Das soll sich unter dem neuen Sportvorstand Jörg Schmadtke ändern. Aber: Worauf kommt es dabei an? 

Was muss Schmadtke bewirken?

An Geld mangelt es dem vom VW-Konzern goutierten Werksklub weiterhin nicht und das macht klar: Der VfL krankt nicht an fehlender individueller Qualität – ganz im Gegenteil: Das Problem der letzten Jahre war die offenbar unausgewogene Zusammenstellung des Kaders. Genauso wie die offenbar fehlende Kompetenz, einem Millionen-Team Werte wie Leidenschaft und Identifikation mit dem Klub zu vermitteln und dieses Team sportlich und mental so einzustellen, dass es wenigstens eine Saison ohne Abstiegssorgen auf den Rasen legen kann.

Für Jörg Schmadtke bedeutet seine neue Aufgabe viel mehr als nur mit voller Schatulle einkaufen zu gehen und im Idealfall noch ein wenig internationales Star-Appeal zum Klub am Industrie-Standort Wolfsburg zu lotsen. Vielmehr kommt es für Schmadtke und sein Team darauf an, eine sportliche Strategie mit einer Klub-Identität und -Mentalität zu kombinieren, dass auf dieser Basis Spieler geholt werden können, die ins Konzept passen und nicht Spieler geholt werden, weil sie vom FC Liverpool kommen. Wer aus dem zum Bundesliga-Start sicher runderneuertem Wölfe-Kader als Trainer eine leidenschaftlich auftretende und fußballerisch versierte Mannschaft formen soll, ist aber noch völlig unklar. “Retter” Bruno Labbadia wäre es gerne, wie Schmadtke ihn und seine Chancen sieht ist noch nicht bekannt.

Offene Trainerfrage

Doch Labbadias Lobby in Wolfsburg scheint trotz des Erreichens der Minimalziele Relegation und Klassenerhalt nicht besonders groß zu sein. Ähnlich wie vor zwei Jahren beim HSV, als er ebenfalls in der Relegation den Klassenerhalt schaffte, anschließend sogar noch die Saison angehen durfte, dann aber bereits nach fünf Spieltagen seinen Hut an der Elbe nehmen musste.

Ob es mit Labbadia weitergeht oder nicht wird Schmadtke, genauso wie die beginnende Kaderplanung, sicher maßgeblich mitbestimmen – trotz des offiziellen Dienstantritts zum 01. Juli. Und mit Sicherheit kommt es da sowohl dem Klub, als auch dem neuen Manager, mehr als nur gelegen, dass die Frauen nach dem umjubelten Pokalsieg gegen den momentanen Hauptrivalen Bayern München nun auch noch in der Champions League nach Europas Krone greifen. Ein Triumph der VfL-Frauen in Kiew würde ungewollte Störgeräusche in der frühen Saisonplanung sicher für ein paar Tage verstummen lassen oder zumindest abdämpfen. Und so kann man davon ausgehen, dass neben dem einen oder anderen Wolfsburger Verantwortlichen sicher auch Schmadtke das Spiel gegen Lyon daumendrückend vor dem TV-Bildschirm verfolgen wird. 

Von den Frauen mitreißen lassen? 

Das doppelte Blaue Auge, das die Herren nach zweimal Relegation in Folge bei einem der höchsten Etats der Bundesliga aktuell zeichnet, würde der dritte Gewinn der Frauen-Champions-League nach 2013 und 2014 zwar nur kosmetisch aufbessern und ganz sicher nicht gänzlich retuschieren können. Vielleicht wäre es im Falle eines Titelgewinns der Frauen aber eine wirkungsvolle Teambuilding-Maßnahme, die Herren-Profis zur Titelfeier antreten zu lassen, um ein wenig am Über-Erfolg des Damenteams teilhaben zu können. Ganz sicher sollten sich die Männer-Profis das Spiel ihrer Kolleginnen ansehen – ob im Urlaub oder bei einem Mannschaftsabend. Ein CL-Sieg der Frauen wäre ein positives Signal nach einer Horror-Saison der Männer, aber sicher keine Zielvorgabe – auch nicht langfristig. 

Der VfL Wolfsburg muss ein bisschen kleiner denken. “Jeder, der da irgendwie involviert ist, sollte das speziell jetzt, wo wir das zweite Mal in Folge in der Relegation spielen mussten, beherzigen. Wir müssen zusehen, dass wir wieder in ruhigere Fahrwasser gelangen”, sagte unlängst Mittelfeld-Spieler Maximilian Arnold, der im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen auch bei einem runderneuerten VfL sicher eine prägende Figur sein könnte. Worauf es dabei ankommt ist laut Arnold klar: “Wir hatten in zwei Jahren fünf Trainer und zwei Sportdirektoren, da sollten wir etwas mehr Kontinuität rein bekommen.” Die Personalie Schmadtke ist ein Anfang und wenn der Teamspirit im zusammengewürfelten Haufen, der das Herren-Team aktuell ist, wieder auflammen würde, wäre es in Wolfsburg bald sicher auch wieder möglich, Erfolge der Herren zu feiern oder sich zumindest eines erfolgreicheren Auftretens zu erfreuen.