Meditieren vor Max Ernst: Was Museen tun, um neue Besucher anzulocken

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Asanas und Art Dating: Heutzutage scheint ein Museumsbesuch auch der Selbstoptimierung der Besucher zu dienen. Oder warum kann man neuerdings dort auch Yoga machen und kochen lernen?

Freitagnachmittag im Max Ernst Museum in Brühl. Fünfzehn Besucherinnen sitzen andächtig vor einem Kunstwerk und meditieren. Als ein sanfter Gong ertönt, schleichen sie auf Socken und in Sporthosen durch die Ausstellungsräume. Jede von ihnen trägt ein Kissen unter dem Arm. Nach der Meditation folgt eine Yoga-Einheit in einem Saal im Untergeschoss des Museums. “Kinn parallel zum Boden, Halswirbelsäule entspannen”. Caro Mast ist Yoga-Lehrerin. Sie ist an diesem Nachmittag für die Asanas, also für die unterschiedlichen Stellungen des Yogas, zuständig.

Yoga und Max Ernst, das ist eine Verbindung, die manch einen Kunsthistoriker erstaunen mag. Für Caro Mast passen die Kunst des Surrealisten und die indische Körperphilosophie perfekt zusammen.

“Ich habe viele Werke im Museum gesehen, bei denen ich sofort an Asanas denken musste, und deshalb versuchen wir Yoga im Museum als Pilotprojekt zu etablieren.”

“Krieger I” im Max Ernst Museum üben

Immer mehr Ausstellungshallen verwandeln sich zu Tempeln der Körperertüchtigung. Manche Museen zelebrieren die neue Verbindung allerdings als Event mit viel Tamtam. Wie das Van Gogh Museum in Amsterdam. Dort kamen die Mitarbeiterinnen des Max Ernst Museums erstmals in Verbindung mit dem neuen Trend und hatten die Idee, Yoga auch in Brühl auszuprobieren. “Das war ein großes Happening, es wurde Massage angeboten, es wurde Yoga angeboten, es gab einen DJ.” Genau das wollten die Brühler nicht. “Wir suchen die Stille und das Hineinhorchen, und nicht den Rummel, den wir in Amsterdam erlebt haben”, sagt Caro Mast. Jede Besucherin soll sich während der Meditation an diesem Nachmittag nur ein Werk von Max Ernst ansehen, eine Zeichnung, ein Gemälde oder eine Skulptur, die einen neuen Blick auch auf den eigenen Körper ermöglicht. 

Konzentration auf das Wesentliche

Museen suchen ständig nach neuen Zauberformeln, um ihre Institutionen für eine breitere Kundschaft zu öffnen. Wie so oft bei neuen Trends: die USA haben die museale Yoga-Bewegung in Gang gesetzt. Vom Museum of Modern Art in New York schwappte die Welle nach Europa und so neben dem Max Ernst Museum auch in zahlreiche andere deutsche Museen.

Klangschale und gemütliche Beleuchtung zur Einstimmung

Der Galerist Johann König hat neuerdings nicht nur Kunst im Programm. In seiner Berliner Galerie befindet sich auch ein “Souvenir-Shop”, in dem er etwa Schlafanzüge im Design der gerade stattfindenden Ausstellung der Malerin Corinne Wasmuth verkauft. Yoga kann der Besucher auch regelmäßig in seiner Galerie trainieren. Andere Museen setzten auf andere Lockangebote: Lange Nächte mit DJs, Führungen für stillende Mütter mit Baby oder auch Kochkurse. Die Münchner Pinakothek der Moderne lädt in ihrer aktuellen Ausstellung “In Klees Zauberküche”. Geboten wird ein Kochkurs mit einem bekannten Fernsehkoch, inspiriert von Werken Paul Klees.

Kunst-Vermittlung oder Ausverkauf?

Braucht das Museum eine Frischzellenkur? Kunstvermittlerin Irmgard Schifferdecker im Max Ernst Museum in Brühl meint, ja: “Die tradierten Museumrituale, also schweigend durch das Museum zu laufen, zwei Sekunden vor dem Bild zu stehen und dann weiterzugehen, das ist nicht mehr angesagt”, sagt sie.

Das Museum erfindet sich neu. Das sieht nicht jeder positiv. Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich macht sich Sorgen über den Wandel der Institution. Er hat zu dem Thema, gemeinsam mit der Leiterin der Mannheimer Kunsthalle, Ulrike Lorenz, gerade erst ein Buch veröffentlicht, das fragt: “Was kann, was muss ein Museum?” Der ehemalige Hochschulprofessor fürchtet, dass der Quotendruck den Museen schadet. Ein Massenpublikum anzuziehen, halte es von den eigentlichen Aufgaben ab: sammeln, forschen, bewahren. Es geht nicht so sehr darum zu sagen, ob sich das Museum darüber definiert, ob es Schätze aus der Vergangenheit gut bewahrt, gut erforscht und auch zugänglich macht für die, die sich primär damit beschäftigen wollen. Die primäre Funktion des Museums besteht heutzutage darin, alle Formen von Publikum zu generieren.”

Publikum kommt nicht wegen der Kunst

Was ist daran falsch? Statt die Inhalte der Kunst zu vermitteln, kratzten Yoga, Kochkurse oder Modenschauen zwischen Werken von Paul Klee oder Pablo Picasso nur an der Oberfläche, meint Ullrich. “Ich würde sagen, das hilft nicht, weil da wird die Kunst eher als Kulisse genommen, da hat man einen aufregenden Hintergrund, vor dem man Yoga macht oder vor dem man kocht, da kann ich nicht erkennen, wie ein direkter Bezug zwischen Kunstwerken und den Besuchern hergestellt wird, das sind nur Maßnahmen, um die Räume zu füllen.”

Wolfgang Ullrich weiß natürlich auch, dass sich das Rad nicht zurückdrehen lässt. Kunst sei aber nicht dazu da, Sozialpolitik zu betreiben. Jedes Haus hätte eine große Verantwortung und sollte gut überlegen, wie es mit dem Druck umgeht. Vermittlung, ja, aber nicht um jeden Preis.

Zwei Teilnehmer des “Art Dating” vor einer Zeichnung im Lehmbruck Museum

Warum – so fragt man sich – muss das Museum überhaupt seinem Publikum neue Angebote machen? Reichen die Exponate alleine nicht aus? “Die Smartphone-Generation durchlebt schnelle Bilderfolgen, und man findet immer weniger Ruhepole. Es ist wichtig, dass man das auch aufgreift und sich nicht verschließt.” Dennoch dürfe man das Analoge nicht vergessen. Beide Aspekte müssten vertreten sein.

Parship im Museum

Das Lehmbruck Museum in Duisburg lädt einmal im Monat zur “Plastik-Bar”, so heißt hier der Abend mit verlängerten Öffnungszeiten und einem besonderen Vermittlungsangebot. Zum vierten Mal lautet das Motto des Abends: “Art Dating”. Kunstvermittlerin Sabine Tümmler steht neben einer improvisierten Lostrommel und würfelt die Plastik Bar-Besucher zu Paaren zusammen. Vielleicht klingt das Angebot auf den ersten Blick zu abwegig, zu sehr nach Partnervermittlung. Jedenfalls haben sich nur wenige Gäste an dem regnerischen Abend im Museum eingefunden. Die Spielregel ist einfach: Zwei Menschen, die sich noch nicht kennen, sollen sich gemeinsam ein Kunstwerk ansehen und darüber sprechen.

Wie beim Speed Dating haben die Paare nur zehn Minuten Zeit, sich und das Werk kennenzulernen. Die “Plastik Bar” im Museum ist nicht mehr und nicht weniger als eine improvisierte Theke. Drum herum gibt es ein paar Stehtische, außerdem im Angebot: Bier, Wein, Wasser, Chips.

“Ob man sich hinterher kennenlernt, weiß ich nicht”, sagt Sabine Tümmler. “Aber mit jemandem über Kunst zu sprechen, den man nicht kennt, finde ich schon mutig.” Das Museum hat sich vom Raum der intellektuellen Auseinandersetzung auch zu einem Raum der Begegnung und der Erholung entwickelt. In Deutschlands Museen wird man noch häufiger Besucher in Sportkleidung antreffen. Alle Teilnehmer des Yoga-Kurses im Max Ernst Museum in Brühl haben sich jedenfalls schon für den nächsten Termin angemeldet.