Das Schweigen der Hakenkreuze am Theater Konstanz

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Eine Freikarte für jeden, der bei Serdar Somuncus Inszenierung von Taboris “Mein Kampf” eine Hakenkreuzbinde trägt – das Theater Konstanz weltweit in den Schlagzeilen. Marketing oder mehr? Wir haben die Premiere besucht.

Es dauerte ganze 30 Sekunden, bis die erste Premierenbesucherin das Theater verließ – empört über den bedrohlichen Prolog, der sehr eindringlich gewalttätige Aktionen von Neonazis zeigt. Im Verlauf des Abends folgte dann noch etwa ein halbes Dutzend weiterer Besucher ihrem Beispiel. Offensichtlich waren sie mit der Art und Weise, in der Serdar Somuncus Inszenierung von George Taboris “Mein Kampf” das Thema Extremismus behandelt – balancierend zwischen Humor, Aggression und Absurdität – ganz und gar nicht einverstanden.

Das Stück dreht sich um den jungen Adolf Hitler in Wien. Somuncus Inszenierung führt Figuren ein, die an gegenwärtige Politiker angelehnt sind – etwa an Donald Trump und Theresa May – und hinterfragt auf diese Weise vorschnell gefasste Ansichten, wo die Grenzen von Faschismus beginnen. Außerdem geht sie der Frage nach, welche unheimlichen Motivationen die treibenden Kräfte hinter den populistischen Führern von heute sein könnten. Gleichzeitig ist der Theaterabend eine zweistündige Mixtur von Metaphern – auf die Zuschauer geschleudert scheinbar um herauszufinden, wie viel Reizüberflutung diese aushalten können.

Auf der Suche nach einem Symbol des Hasses

Schauspieler Peter Posniak als Adolf Hitler

Es war aber nicht nur das Stück, die Regiearbeit oder die Dramaturgie, die im Laufe des Abends einige Leute verärgerten. Der gesamte Abend hatte von Anfang an das klare Ziel, die Zuschauer zu provozieren – noch bevor diese überhaupt auf ihren Stühlen Platz genommen hatten:

Das Theater Konstanz versprach jedem, der mit Hakenkreuzbinde am Arm zur Premiere erscheint, eine Freikarte. Auf diese Weise wolle man die Zuschauer mit ihren “inneren Diktatoren” verbinden. Das Hakenkreuz-Angebot zog eine große öffentliche Kampagne nach sich: Medien aus Deutschland und der ganzen Welt schauten plötzlich auf das eigentlich so malerische Konstanz.

Manche Beobachter fürchteten, die Aktion könne viele Rechtsextremisten nach Konstanz locken – entweder, um ihre Überzeugungen zu präsentieren, oder, um dagegen zu protestieren, dass Hakenkreuze als Marketing-Spielerei benutzt werden. Andere waren besorgt, dass sich vor allem junge Leute um eine Freikarte bemühen würden, die das Ausmaß von Tod und Zerstörung, für die das Symbol steht, noch gar nicht begreifen könnten.

Keine Hakenkreuz-Träger bei der Premiere an Hitlers Geburtstag

Am Ende war das dann alles eher “Viel Lärm um nichts”: Im gesamten Publikum war keine einzige Person zu sehen, die eine Hakenkreuzbinde trug. Schon vor Beginn des Stücks reckten viele Zuschauer die Hälse, um Ausschau zu halten, ob sie denn irgendwo eine rot-weiß-schwarze Armbinde erspähen können.

Premierengäste in Konstanz am 20.04.2018

Doch trotz der hohen Sicherheitsbedingungen und Polizisten, die bei Zwischenfällen hätten reagieren können: Die einzigen Neonazis, die zu sehen waren, waren die auf der Bühne.

Das Theater hatte verkündet, es werde zu jedem Ticket auch noch einen Davidstern-Aufkleber dazulegen – scheinbar für diejenigen, die ihre Solidarität mit den Juden ausdrücken wollten. Offenbar wollte aber auch von dieser Option keiner der Zuschauer Gebrauch machen – trotz der aktuellen Zunahme von Vorfällen mit antisemitischem Hintergrund in Europa und der wachsenden Zahl von Protestaufrufen. War das Datum der Premierennacht, die an Adolf Hitlers Geburtstag (20. April) stattfand, den Theaterbesuchern vielleicht einfach zu verdächtig, um den Übertritt auf die dunkle Seite zu wagen? Oder war es die in den letzten Tagen kontrovers geführte Diskussion über das Marketingkonzept von “Mein Kampf”, die das Theater Konstanz bewog, eine andere Richtung einzuschlagen?

Politisch aufgeladenes Konfetti

Christoph Nix, Intendant des Theaters Konstanz, hatte sein umstrittenes Konzept bei einer Pressekonferenz verteidigt, sich aber auch entschuldigt

Am Ende, als die Inszenierung – in einer High-Tech-Kreuzigungsszene inklusive Ku-Klux-Klan-Mitgliedern als Zaungästen – ihren Höhepunkt erreichte, regneten dann sowohl Hakenkreuze als auch Davidsterne vom Bühnenhimmel – wie politisch aufgeladenes Konfetti. Den Zuschauern wurde so ermöglicht, Teil des Ganzen zu sein, ohne aktiv Verantwortung dafür übernehmen zu müssen.

Dieses Vorgehen scheint ein durchgängiges Prinzip dieser Uneinigkeit stiftenden Inszenierung von Taboris “Mein Kampf” zu sein: Die Urheberschaft der Verantwortung wird permanent weitergegeben und aufgeschoben. Es sind keine Hakenkreuze im Publikum zu sehen, weil das Publikum der Verantwortung ausweichen kann. Das ändert sich erst dann, wenn jemand die Initiative ergreift und entscheidet, diese universell offensiven Marker zu tragen – was auch immer die Motivation dafür ist.

Antwort und Verantwortung

Werbung für “Mein Kampf” in Konstanz

Auch Serdar Somuncus Regiearbeit gibt sich nicht den Anschein von Verantwortung. Ihre unterschiedlichen Versuche, die Theaterbesucher in die Themen des Stücks hineinzuziehen, kommen als Marketingtricks daher – als simple Lösungen, um die Aufmerksamkeit des Publikums hochzuhalten. 

Dennoch ist die Produktion in vielerlei Hinsicht ein visueller Festschmaus mit vielen unterhaltsamen Momenten und einer bemerkenswerten künstlerischen Leitung. Inmitten der Missklänge, die durch das umstrittene Marketing für “Mein Kampf” hervorgerufen worden waren, scheint die anti-populistische Message der Inszenierung in Konstanz in den Hintergrund gerückt zu sein.