Was Alexander Gerst als ISS-Kommandeur zu tun hat

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Anfang Juni ist es für den Astro-Alex soweit. Dann geht es zurück zur ISS – als Kommandeur der Raumstation. Heute tritt er das letzte Mal vor seinem Flug in Köln vor die Presse. Welche Aufgaben kommen auf ihn zu?

Für Alexander Gerst ist das Weltall kein Neuland mehr: Für die Blue-Dot-Mission verbrachte er bereits sechs Monate auf der Internationalen Raumstation (ISS): zwischen Mai und November 2014. Genau kam er auf 166 Tage. Das ist mehr, als wovon normale Erdenbürger auch nur zu träumen wagen.

Die Erfahrung wird ihm bei seinem nächsten Einsatz als Kommandeur im Jahr 2018 sehr helfen. Dennoch, sagt er, muss er noch viel lernen.

Sein Training für die zukünftige Mission begann bereits im März, schon bevor die Wahl der ISS-Mitgliedsstaaten auf ihn fiel – und damit auf den ersten Deutschen überhaupt, der eine große internationale Mission leitet.

Schon fast wie dicke Freunde: Gerst und Angela Merkel im Europäischen Astronautenzentrum in Köln

Was aber sind eigentlich die Aufgaben eines Kommandeurs auf der ISS?

Entscheidungen treffen

…, aber nicht alle Entscheidungen. Der Kommandeur hat die Aufgabe, die Operationen auf der ISS nach den Vorgaben des Flight Directors (“Flugdirektors”) umzusetzen. Dieser führt Regie aus dem Johnson Space Center (JSC) der NASA in Houston.

Der Flight Director führt die Aufsicht über die Fluglotsen und Flugkontrolleure, über die Experten für Forschungsprojekte, die auf der ISS durchgeführt werden, und über die Ingenieure und das Unterstützungspersonal.

Der ISS-Kommandeur ist also für das Management in der Umlaufbahn verantwortlich, der Flight Director für das Management am Boden.

Flugvorbereitung

Der Kommandeur organisiert die Crew und schweißt sie zu einem “einzigen, integrierten Team” zusammen.

Wenn Gerst sein Training in Russland durchläuft, wird er die anderen künftigen ISS-Crew-Mitglieder durch ihre Ausbildung und die Missionsvorbereitung begleiten.

Flugnachbereitung

Im gleichen Sinne muss Gerst nach der Rückkehr der Crew sicherstellen, dass alle Mitglieder ihre verbleibenden Pflichten nach Abschluss der Mission vollenden – etwa für die medizinische Nachbetreuung zur Verfügung stehen und wissenschaftliche Experimente nachbereiten.

Frieden im Orbit aufrechterhalten

Laut Verhaltenskodex für die Internationale Raumstation muss der ISS Kommandeur “eine harmonische und gefestigte Beziehung zwischen den ISS-Crewmitgliedern aufrechterhalten”. Dabei muss er die “internationale und multikulturelle Natur der Crew und der Mission” berücksichtigen. Die Mitgliedsstaaten waren sich einig, dass es “Null Toleranz” für gegenseitige Belästigungen auf der ISS geben dürfe.

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Wie viel Macht hat der Kommandeur?

Die Verfasser des Verhaltenskodex, das “Multilateral Coordination Board”, waren sich einig, dass in dem Dokument kein Hinweis auf mögliche Anwendung von Gewalt vorkommen sollte. Stattdessen besagt die Formulierung, dass der Kommandeur “befugt ist, jedes verhältnismäßige und notwendige Mittel zu nutzen, um seine Aufgabe zu erfüllen” – aber natürlich nur, wenn sich das mit den Vorgaben des Flight Directors deckt.

Es gibt also eine Grauzone: Was passiert, wenn die Mission oder die Crew durch das Verhalten eines Crew-Mitglieds gefährdet sind? Sollte der Kommandeur dann Gewalt anwenden, um den Störenfried zu bändigen?

Bei den strengen Auswahlverfahren für Astronauten ist eher unwahrscheinlich, aber doch möglich, dass ein Crew-Mitglied nach sechs Monaten im All und ohne richtigen Kontakt zur Erde psychologische Probleme entwickelt. Langzeitaufenthalte im Weltraum sind sehr stressig: Ein Astronaut könnte theoretisch durchdrehen.

Daher haben die Verfasser in ihren eigenen Protokollen – aber nicht im Verhaltenskodex – festgehalten, dass “in Fällen wo es nötig ist, um die unmittelbare Sicherheit der Crew-Mitglieder der ISS zu gewährleisten, verhältnismäßige und notwendige Mittel, die der ISS-Kommandeur anwenden darf, die Nutzung physischer Gewalt oder Zwang” beinhalten.

Der ISS-Kommandeur muss also die Sicherheit der Crew gewährleisten – ihre “Gesundheit und Wohlergehen, inklusive Rettung und Rückkehr”. Der Kommandeur muss auch die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um “die Elemente der ISS-Ausrüstung oder -Ladung zu schützen.”

Soziale Medien bespielen

Kommandeur Chris Hadfield war wahrscheinlich der erste, der während seines fünfmonatigen Aufenthalts auf der ISS zwischen 2012 und 2013 soziale Netzwerke nutzte. Er war der erste kanadische ISS-Kommandeur und auch der erste, der im Weltall ein Musikvideo aufzeichnete: eine Cover-Version der “Space Oddity” von David Bowie. Das hat ihn in kürzester Zeit berühmt gemacht. Das YouTube-Video wurde mehr als 31 Millionen mal angeschaut.

Ein Jahr später nutzte Gerst vor allem Twitter unter dem Namen @astro-alex, um seine spektakulären Bilder der Erde an seine Fans zu bringen. Dabei scheute er auch vor Kommentaren nicht zurück, wie bei dem obigen Tweet nach dem Flug über Gaza und Israel.

Der britische Astronaut Tim Peake (als @astro_timpeake), der derzeit auf der ISS ist, hat sich auch mit dem Twitter-Virus infiziert.

Nach der Zahl seiner Followers zu urteilen, sind sehr viele an seinen täglichen Meldungen aus dem All interessiert: Peake hat derzeit 1,69 Millionen Followers; Gerst, der auf Deutsch zwitscherte, hat immerhin 1,06 Millionen. Das wird sich aber sicher noch ändern, wenn der Flug noch näher rückt.

Während seiner Mission im Jahr 2014 ging es Gerst um mehr als das Teilen seiner Fotos mit Menschen auf der Erde. Er gab ihnen auch Einsichten in seine wissenschaftliche Arbeit über die sozialen Medien. Und er stand sogar live Schülern in einem Klassenzimmer Frage und Antwort.

Gerst sagt, er freue sich darauf, wieder Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen. Bleibt nur die Frage, ob seine neue Rolle als Kommandeur ihm auch wieder soviel Zeit für die anderen Aufgaben lässt: fürs Labor und für die sozialen Medien.