Brasilien: Wahlkampf mit “Batman” aber wohl ohne Lula

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Sechs Monate vor der Wahl in Brasilien legt die “Operation Waschstraße” den Schleudergang ein. Mit Nachdruck geht die Justiz gegen korrupte Politiker vor – das eröffnet Außenseitern neue Chancen. Thomas Milz aus Rio.

Protestcamp von Lula-Unterstützung nahe des Polizeihauptquartieres, in dem Lula in Haft sitzt

“Guten Morgen, Präsident Lula” rufen seit einer Woche jeden Morgen die Aktivisten, die vor der Zentrale der Bundespolizei in Curitiba kampieren. Ob der Ex-Präsident Brasiliens sie hört, ist nicht bekannt. Das Camp der Aktivisten ist einen Straßenblock von der Polizeizentrale entfernt. Dort sitzt seit Samstagabend Luiz Inácio Lula da Silva seine Haftstrafe wegen Korruption und Geldwäsche ab. Die Aktivisten von seiner Arbeiterpartei PT wollen so lange vor dem Polizeigebäude verharren, bis Lula freikommt.

Das könnte lange dauern. Längst hat sich der Optimismus von Lulas Anwälten verflüchtigt. Sie rechneten fest damit, dass das Oberste Gericht (STF) das 2016 gefällte Urteil zum Haftantritt nach einer Verurteilung revidieren würde. Damit hätte Lula auf freiem Fuß bleiben können bis über seine Revision entschieden wird.

Schließlich will Lula bei den Wahlen im Oktober erneut als Präsidentschaftskandidat antreten. Doch im STF haben diejenigen die Oberhand gewonnen, die den Ermittlern der “Operation Waschstraße” den Rücken stärken wollen.

Für die in den Korruptionsskandal um Lula verwickelten Politiker bedeutet das nichts Gutes. Am Donnerstag lehnte das STF eine vorübergehende Haftverschonung für den ehemaligen Minister Antonio Palocci ab. Dieser sitzt seit über eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft.

Anfang April dieses Jahres begab sich Ex-Präsident Lula (2.v.r.) selbst in Poizeigewahrsam

Nächste Woche wird das STF zudem entscheiden, ob Senator Aécio Neves von der sozialdemokratischen PSDB angeklagt werden soll.

Das STF scheint sich zur Avantgarde einer neuen Zeit aufschwingen zu wollen, in der korrupte Politiker tatsächlich von der Justiz belangt werden. Bisher schienen die Richter der sozialdemokratischen PSDB gegenüber überaus freundlich gestimmt. Nach Lulas Verhaftung muss die Justiz jetzt auch hier Kante zeigen.

“Operation Waschstraße” für alle

Allerdings war die Öffentlichkeit überrascht, als die Justiz die Ermittlungen gegen Geraldo Alckmin wegen Annahme illegaler Wahlkampfgelder an das als zahnlos geltende Oberste Wahlgericht (STE) weiterleitete. Der Spitzenkandidat der PSDB entkam damit der gefürchteten “Operation Waschstraße”.

Es folgte ein Aufschrei in den sozialen Netzwerken. Die Arbeiterpartei Lulas sprach von zweierlei Mass. Während der Ex-Präsident die volle Härte des Gesetzes spüre, zeige man sich Alckmin gegenüber wohlwollend. Die heftigen Reaktionen könnten die Justiz zu einem Rückzieher zwingen. Der Fall Alckmin könnte doch noch der “Operation Waschstraße” unterstellt werden. Denn die Glaubwürdigkeit der Justiz steht auf dem Spiel.

Das Schicksal des Ex-Präsidenten erhitzt die Gemüter in Brasilien – zu Beginn des Jahres forderten tausende Lulas Verhaftung

Für Lula selbst bleibt seiner Partei derweil nur symbolische Solidarität. Kongressmitglieder wollen den Namen “Lula” als zusätzlichen Vornamen annehmen, damit er auf den Anwesenheitslisten im Parlament auftaucht. Konkret nützt das Lula ebenso wenig wie die letzte Woche erfolgte Anrufung des Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen (UN) in Genf. Bisher haben Brasiliens Regierungen UN-Entscheidungen stets ignoriert.

So dämmert der PT, dass Lula vorerst in Haft bleibt. Und dass er aufgrund des “Saubere Westen” Gesetzes, das die Kandidatur verurteilter Politiker untersagt, im Oktober doch nicht antreten wird. Innerhalb der Partei werden offenbar die Stimmen für einen “Plan B” lauter. Dies wäre wohl São Paulos ehemaliger Bürgermeister Fernando Haddad.

Doch noch will die PT-Führung offiziell an Lula festhalten. Ihn als Spitzenkandidaten abzusetzen, könnte ein fatales Signal an die eigene Partei senden, fürchtet sie.

Auch für den derzeitigen Präsidenten Michel Temer dürfte es eng werden

“Batmans” große Chance

Auch für Präsident Michel Temer wird es ernst. Ihm droht eine weitere Anklage durch die Generalstaatsanwaltschaft. Anfang der Woche setzte die Justiz bereits zwei seiner engsten Vertrauten auf die Anklagebank. Sie sollen für Temer Schmiergelder eingesammelt haben. Letztes Jahr konnte Temer noch zwei Anklagen durch den Kongress blockieren lassen.

Doch sein politisches Kapital ist mittlerweile aufgebraucht. Sechs Monate vor den Wahlen werden die Parlamentarier den “toxischen” Temer wohl kaum vor der Justiz retten. Parlamentspräsident Rodrigo Maia (DEM) hat sich längst schon von Temer abgesetzt. Er rechnet sich Chancen aus, das durch den Niedergang von Temers Mitte-Rechts-Partei MDB verwaiste Zentrum zu erobern.

Temer selbst hält offiziell an seiner Kandidatur fest. Doch deutet vieles darauf hin, dass eher Finanzminister Henrique Meirelles zum MDB-Kandidaten gekürt wird. Bei Umfragen sind jedoch beide hoffnungslos abgeschlagen.

Als “Batman” Brasiliens gefeiert: Jurist Joaquim Barbosa

Besser sieht es für den Rechtsaußen Jair Bolsonaro und die ehemalige Umweltministerin Marina Silva aus. Die beiden Außenseiter mit den sauberen Westen profitieren von der existentiellen Krise der etablierten Parteien. Allerdings werden sie Schwierigkeiten haben, ihren Wählern zu erklären wie sie ohne den Rückhalt der großen Kongressparteien überhaupt regieren wollen.

Mehr Chancen hat da der ehemalige Oberste Richter Joaquim Barbosa, der vor wenigen Tagen überraschend in die sozialistische PSB eintrat. Der Polit-Quereinsteiger gilt als Saubermann und Hardliner. Seit seiner herausragenden Rolle im “Mensalão-Prozess” haftet ihm ein “Batman-Image” an. Im Jahr 2016 hatte er sich gegen das Impeachment von Dilma Rousseff ausgesprochen. Sollte Lula tatsächlich nicht antreten, wäre Barbosa prädestiniert, die Linksparteien hinter sich zu vereinen. Der “Batman” hätte bei den Oktoberwahlen das Zeug, alle zu überraschen.