Astronaut Reinhold Ewald: “Es gab nicht genug Nachtisch”

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Der deutsche Astronaut Reinhold Ewald sprach mit der DW über die größten Herausforderungen beim Essen in der Schwerelosigkeit, darüber, was er am meisten vermisste – und was Reisgerichte so problematisch macht.

DW: Herr Ewald, was waren Ihre Erlebnisse mit Essen im Weltall?

Reinhold Ewald: Ich war 19 Tage lang auf der MIR Station. Während dieser Zeit musste ich mich an ein strenges Essensreglement halten. Alles, was ich im All gegessen habe, war vorher genau abgezählt worden. Einige Wochen vor dem Abflug hatte ich bereits angefangen, genau das zu essen, was ich auch auf der MIR essen würde, und das ging auch einige Wochen nach der Landung noch so weiter. Damit wollten wir testen, wie sich die Schwerelosigkeit auf meinen Körper auswirkt, unabhängig von der Ernährung.

Also waren Sie selbst ein Forschungsobjekt!

Genau, ich war das Versuchskaninchen für dieses Experiment. Ich habe viel Zeit investiert und war sehr genau, damit ich alle Vorgaben erfülle. Wir hatten dann auch ziemlich gute Ergebnisse. Niemand konnte bestreiten, dass sich tatsächlich etwas verändert hatte, zum Beispiel der Natriumgehalt in meinem Körper.

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Wie schmeckte Astronautennahrung in den 1990ern, als Sie auf der MIR Station waren?

Wir hatten Glück, weil wir bereits eine Mischung aus amerikanischem und russischem Essen zur Verfügung hatten. Ich muss zugeben, dass man an Bord der Raumstation, ganz wie ein Junggeselle, so wenig Aufwand wie möglich in der Küche betreiben will. Deswegen war das russische Essen ganz klar beliebter.

Ich hatte von beidem etwas, aber meine Kollegen mochten die Eintopf-Mahlzeiten der Russen: Da waren Kartoffeln, Fleisch und Gemüse in einer einzigen Dose. Wenn man die öffnete, hatte man eine komplette Mahlzeit. Das war besser als viele verschiedene Dinge, die man entweder mit heißem Wasser oder auf einem E-Herd zubereiten musste. 

Was war Ihr Lieblingsessen?

Ich mochte ganz klar den Nachtisch am liebsten. Für meinen Geschmack gab es nicht genügend Nachtisch an Bord, zum Beispiel Obstsalat. Die Russen hatten sowas wie einen leckeren Hüttenkäse in einer Tube, den hat man sich direkt in den Mund gedrückt. Manchmal entwickelt man eben seltsame Favoriten, und davon versucht man dann, so viel wie möglich zu essen. 

Was hat es mit dem Reis-Erlebnis auf sich?

Das ist immer ein schöner Lacher für Weltall-Veteranen, wenn ein Neuling auf die Station kommt.

Man öffnet zum Beispiel eine Dose russisches Hühnchen mit Reis und erwartet als Neuling keine größeren Schwierigkeiten. Man fängt an zu essen und das erste Reiskorn schwebt aus der Dose. OK, kein Problem, fängt man das eben mit der anderen Hand wieder ein, um es zurück in die Dose oder in den Mund zu schieben.

Ganz ohne Reis: Käsespätzle mit Speck, speziell entwickelte Astronautennahrung für Alexander Gerst

Aber wenn man das tut, macht man automatisch eine Ausgleichsbewegung mit der Hand, die die Dose hält –  und schon schweben 10 oder 20 Reiskörner im Raum. Sie entfernen sich immer weiter von dir und das ist der Moment, wo du aufgibst. Die erfahrenen Kollegen lachen und sagen “Lass die einfach wegfliegen.”

Auf der Raumstation wird konstant Luft eingesogen. All diese Kleinteile, die von Anfänger-Essern kommen, werden in die Luftfilter gesaugt. Samstags haben wir immer sauber gemacht und dann wurden diese Teilchen entsorgt.

Ich habe gehört, es gibt da einen Scherz, den sich Astronauten und Kosmonauten gerne erlauben, wenn es um Astronautennahrung geht…

Der kommt aus der Zeit, als der amerikanische Astronaut Michael Foale sein Training im Sternenstädtchen [in Russland] absolvierte. Er absolvierte den Test zum Thema Astronautennahrung und vorher lernt man genaue Regeln: Hände weg von abgelaufenen Lebensmitteln, von Dosen, die beschädigt sind und so weiter.

Foale wusste alle Antworten, aber er erlaubte sich einen Scherz mit dem Lehrer. Als gefragt wurde, was man nicht essen dürfe, lautete seine Antwort: “Das Essen des Kommandanten!” Dafür gab es die höchste Punktzahl, die Lehrer hatten Humor. 

Für die kommende Horizons Mission heißt das also, die Teilnehmer können alles essen außer den für [den ersten deutschen Kommandanten] Alexander Gerst vorgesehenen Mahlzeiten?

Genau. Hände weg von Alexander Gersts Dosen.

Reinhold Ewald, ein deutscher ESA-Astronaut, verbrachte 1997 drei Wochen auf der russischen MIR Station im All.

Das Interview führte Conor Dillon.


  • Erinnerung an eine Orbit-Legende

    Sowjetischer Vorposten

    Die Idee von einem ständig bewohnten Koloss im Kosmos setzt sich in Moskau bereits in den 1970er Jahren durch. Damit wollte die Sowjetunion beim Wettlauf im All wieder Boden gegen die USA gut machen. Mit der “Mir” feiert 1986 die komplexeste aller bisherigen Raumstationen ihre Premiere im Orbit.


  • Erinnerung an eine Orbit-Legende

    Internationale Zusammenarbeit

    Nach dem Ende des Kalten Krieges ging Russland das Geld aus. Auf der “Mir” begann eine Ära der länderübergreifenden Kooperation. Beispielsweise dockte das US-amerikanische Space Shuttle “Atlantis” wie hier im Bild am Weltraumlabor an. Auch vier Deutsche verbrachten Zeit auf der knapp 140 Tonnen schweren Station.


  • Erinnerung an eine Orbit-Legende

    Viele Besucher

    So wie beispielsweise der Astronaut Reinhold Ewald (oben, 2. von rechts). Eine Sojus-Kapsel brachte ihn 1997 zur “Mir”. Insgesamt hatte die Weltraumstation mehr als 100 Besucher aus aller Welt. Während Ewalds Aufenthalt brach auf der Station ein Feuer aus, das aber schnell wieder gelöscht werden konnte.


  • Erinnerung an eine Orbit-Legende

    Pleiten, Pech und Pannen

    Die “Mir” hält auch den Pannenrekord im All. Das Material war schon bald übermüdet. Mal traten Chemikalien aus der Kühlung aus, dann kam es beim Bordcomputer zum Blackout, oder – wie hier im Bild – beschädigte ein Progress-Raumfrachter die Solarpaneele. Eine Raumstation sei eben “keine Vielfliegerlounge mit Plüschsesseln”, kommentierte damals Astronaut Ewald.


  • Erinnerung an eine Orbit-Legende

    Fossil im All

    Die USA, die sich nach dem Untergang der Sowjetunion finanziell beteiligten, drangen auf eine gemeinsame neue Basis. Mit dem Aufbau der Internationalen Raumstation ISS ab 1998 beginnt auch das langsame Abwracken der “Mir”. In den 15 Jahren im Orbit kam das Labor auf über 86.000 Erdumrundungen.


  • Erinnerung an eine Orbit-Legende

    Ende eines Pionierprojekts

    Die “Mir” gilt als Meilenstein der bemannten Raumfahrt und der internationalen Zusammenarbeit im All. “Wir stünden ohne diese Erfahrung noch am Anfang”, sagt der deutsche Astronaut Thomas Reiter. Im März 2001 wurde die Station aufgegeben. Die beim Eintritt in die Erdatmosphäre nicht verglühten Überreste der “Mir” gingen im Pazifik östlich von Neuseeland nieder.

    Autorin/Autor: Nicolas Martin (mit dpa)