Rom: Sixtinische Kapelle wagt Multimedia

0
208

Die Sixtinische Kapelle in Rom hat nun ein digitales Wunderwerk, projiziert auf die Wände des eigens umgebauten Auditoriums an der Prachtstraße zum Petersdom, belebt von Schauspielern, Musik, Licht- und Bühnentechnik.

“Giudizio Universale”: Finale mit Sonnenuntergang als Projektion

Die neue Attraktion stammt von Marco Balich, der bekannt ist für die Gestaltung großer Shows auch bei Olympischen Spielen. Die Initiative für die Show in der Sixtinischen Kappelle, das betont der Vatikan, ging von Balich aus – der schon weitere ähnliche Projekte in Städten wie Mailand oder Florenz plant. Die Direktorin der Vatikanischen Museen, Barbara Jatta, spricht anerkennend von einer Synthese von Tradition und Innovation, besonders was den Zugang junger Menschen zur Kunst angeht. Auch leisteten die Museen beratende Unterstützung.

Multimediales Spektakel

Es steckt viel Sorgfalt in den 270-Grad-Projektionen, in denen sich die Geschichte des berühmten Künstlers Michelangelo entfaltet: In fließend verbundenen Episoden erzählt die einstündige Bühnenshow vom Wirken des Florentiner Universalgenies, vom Entstehen der Wand- und Deckenfresken der Sixtina, deren theologische Bezüge sie fast beiläufig erläutert; sie schildert in stimmungsvollen Bildern die geheimste Zeremonie der Kapelle, das Konklave (die Papstwahl), und endet bei ihrem letzten und größten Kunstwerk: dem Jüngsten Gericht.

“Die Erschaffung Adams” in der Sixtinischen Kapelle, Deckenfresko von Michelangelo

“Giudizio Universale” ist ein sinnliches Spektakel: Glocken schwingen, Kardinäle schweben, Michelangelo pendelt von der Decke der Sixtina, zur Papstwahl verströmt ein Kamin weißen Rauch mit Weihrauchduft. Die Choreografie von Fotis Nikolaou, die Musik von John Metcalfe, die Kostüme, das Lichtdesign – alles zielt darauf, den Betrachter wie in Trance und Zeitraffer durch das Rom des 16. Jahrhunderts zu führen.

Bis zum Start am 16. März gingen 35.000 Eintrittskarten für “Giudizio Universale” weg. Das klingt stattlich und ist doch nur das Doppelte dessen, was die echte Sixtina an einem durchschnittlichen Tag an Touristen sieht. Der Besucherdruck gilt seit langem als logistisches und konservatorisches Problem. Dabei bestreitet das Museum, man wolle ein bestimmtes Spektrum von Gästen in das digitale Surrogat umleiten.

Stetiger Besucherstrom in der Sixtinischen Kapelle

Zwischen Kontemplation und Rummel

Nicht ohne Grund ziehen Kardinäle sich zum Konklave in die Sixtina zurück, vor den Weltenrichter Michelangelos. Zu normalen Besuchstagen ist die Kapelle nicht einmal mehr für Hartgesottene ein Andachtsraum der Kunst. Das Gedränge gleicht dem römischen Flohmarkt Porta Portese, nur dass es dort um Nippes und Plunder geht und hier um ein Heiligtum der abendländischen Kultur. Lulu Helbek, Co-Regisseurin von “Giudizio Universale”, bringt das Dilemma auf den Punkt: Der Mensch lebe von jener Schönheit, die man selbst in der Sixtina nicht mehr mit der nötigen Ruhe finden könne.

“Giudizio Universale”: Szene mit Darstellern als Michelangelo und Papst Julius II.

Mit neun Millionen Euro werden die Kosten von “Giudizio Universale” beziffert, finanziert von Privatleuten, “die an den Diskurs von Schönheit und Qualität glauben”. Die Schau soll eine Lücke in Rom füllen, das seinen Gästen bislang keine Musicals oder Bühnenshows zu bieten hat. 

Am Ende leiten Strahlenbündel im dunklen Auditorium den Blick noch einmal empor, bevor sie zu einer gleißenden Scheibe verschmelzen. Die Show solle diejenigen erreichen, “die gewohnt sind, 20-Sekunden-Videos auf dem Smartphone zu schauen”, sagt Balich. Michelangelo schuf ein Werk für die Ewigkeit. Balich lässt es für einen Augenblick funkeln.

Die Sixtinische Kapelle im Vatikan ist die Wahlstätte der Päpste. Sie gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe und ist als Teil der Vatikanischen Museen mit jährlich rund fünf Millionen Menschen eines der meistbesuchten Bauwerke der Welt.

is/ch (KNA)