Werbung: “Sex sells” gilt oft immer noch

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Halbnackte Frau in aufreizender Pose, markiger Spruch dazu und fertig ist die Werbung? Ja, das ist auch 2018 oft noch so, Sexismusdebatte hin oder her. Was macht es mit uns, täglich von solcher Werbung umgeben zu sein?

Sie prangen uns auf Firmenwagen von Tierfutterproduzenten oder auf Plakaten von Autohäusern entgegen: Nackte oder fast nackte Körper, die zumeist nichts mit dem beworbenen Produkt zu tun haben. Eigentlich. Doch “Sex sells” scheint auch heute noch in Teilen der Werbebranche zu gelten.

Der Deutsche Werberat – die Selbstkontrollinstanz der Werbebranche – überprüft jedes Jahr hunderte Beschwerden und spricht im Ernstfall auch Rügen gegen diskriminierende, rassistische oder etwa gewaltverherrlichende Werbung aus. Diese öffentlichen Tadel sind allerdings für den Werberat das letzte Instrument, um Unternehmen und Werbeagenturen zurechtzuweisen. Entscheidet der Werberat, dass eine bestimmte Werbung nicht seinen ethischen Standards entspricht, informiert er zunächst im Stillen die Macher. Nur wenn diese die Werbung nicht freiwillig korrigieren oder zurückziehen, werden sie durch eine Rüge an den Pranger gestellt. 

Der Spitzenreiter unter den Beschwerdegründen sei seit Jahren geschlechterdiskriminierende Werbung, auch ein Großteil der tatsächlich ausgesprochenen Rügen falle in diesen Bereich, erklärt die Geschäftsführerindes Werberats, Julia Busse. Trotzdem betont der Werberat in seinem letzten Jahrbuch, von den Millionen Plakaten, Filmen und anderen Werbeformen sei nur “ein verschwindend geringer Anteil” sexistisch. Forderungen, geschlechterdiskriminierende Werbung stärker zu reglementieren, seien unnötig. “Es hat sich durchaus bereits etwas geändert, also Werbung wie etwa in den 60er Jahren, wo die Frau nur da ist, um dem Mann sein Essen zu kochen, würde heute gar nicht mehr funktionieren”, sagt Busse. “Die allermeisten Unternehmen, die wir informieren, dass ihre Werbung nicht unseren ethischen Standards entspricht, sind auch einsichtig.”

Immer noch “übelste Formen sexistischer Werbung”

Also alles gut? Anders als der Werberat sieht die Initiative “Pinkstinks” (“Pink stinkt”), die gegen Sexismus in der Werbung kämpft, noch viel Handlungsbedarf. Der 2013 gegründete Verein startete eine Kampagne, nach der das “Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb” um einen Paragraphen erweitert werden soll, in dem es speziell um sexistische Werbung geht. Die Forderung traf auch in der Politik auf viel Zuspruch, vorerst wird jedoch aus der Gesetzesnorm nichts. Stattdessen fördert das Familienministerium zunächst das Projekt “Werbemelder*In” von Pinkstinks, um zwei Jahre deutsche Werbung zu beobachten. Dabei können Nutzer – ähnlich wie beim Werberat – Werbung melden, die sie geschlechterdiskriminierend finden, und Pinkstinks prüft sie dann. Die Möglichkeit, die Werbung zurückzuziehen und so negative Aufmerksamkeit zu vermeiden, gibt die Initiative Werbeschaffenden jedoch nicht.

Ein Klassiker sexistischer Werbung: Eine spärlich bekleidete Frau, die nichts mit dem eigentlichen Produkt zu tun hat

Martina Thiele, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Salzburg, findet es gut, dass sich neben dem Werberat auch Watchgroups wie Pinkstinks etablieren und für schärfere Regeln eintreten, denn “der Werberat hat keine effektiven Sanktionsmöglichkeiten. Er ist ein ‘zahnloser Tiger’, der zudem selbst aus Mitgliedern der Werbebranche besteht”. Tatsächlich kommen die 15 Mitglieder des Entscheidungsgremiums selbst aus der Werbewirtschaft.

Thiele, deren Forschungsschwerpunkte unter anderem Geschlechterforschung und Medientheorien sind, sieht vermeintliche Erfolge in Sachen Sexismusbekämpfung relativ: “Zwar sind angesichts einer sensibilisierten Öffentlichkeit große Unternehmen etwas vorsichtiger geworden, aber gerade bei kleineren und mittelgroße Betrieben sehen wir immer noch übelste Formen sexistischer Werbung.” So warb etwa letztes Jahr ein Autohaus auf einem Plakat mit dem Spruch: “Heiße Fahrgestelle gibt es auch bei uns!”. Passend dazu war eine lasziv blickende Frau abgebildet, die sich mit der einen Hand die Haare rauft und mit der anderen ihr Kleid hochzieht. Ein Fliesenleger ließ, ebenfalls letztes Jahr, auf seinen Firmenfahrzeugen eine Frau duschen – es war wirklich fast alles sichtbar. Wie bei diesen Beispielen ist ein inhaltlicher Bezug zum Produkt oft gar nicht gegeben. Die (halb-)nackten Frauen – und immer öfter auch Männer – dienen lediglich als Blickfang und werden auf ihre sexuellen Reize reduziert.

Nicht nur Spiegel, sondern Motor der Gesellschaft

Doch Werbung muss gar nicht so explizit sein, um Geschlechter-Stereotype zu festigen. Auch wenn wir sehen, wie Frauen Männer bedienen, Frauen putzen, Frauen kochen, hat das eine Wirkung. Höchst bedenklich ist laut Thiele auch das sogenannte Gendermarketing, welches oft bereits bei Kindern ansetzt und den Jungen etwa ein blaues Shampoo “für Actionhelden” und den Mädchen ein rosa Shampoo “für Prinzessinnen” schmackhaft macht. Die Forscherin findet: “Das Wort Gender, was ja soziales Geschlecht und eben nicht biologisches heißt, ist hier völlig fehl am Platz. Solche Werbung reproduziert Geschlechter-Stereotype auf schlimmste Art und Weise.”

Werbung von Maggi: Es gibt sogar geschlechterspezifische Suppen

Auch Werbung, die Stereotype humorvoll aufgreift, ist Thiele zufolge mit Vorsicht zu genießen: “Trotz der Ironisierung wird ja auf ein traditionelles Bild zurückgegriffen und wieder in die Köpfe der Menschen gebracht. Ob das Bild so eher verfestigt wird oder doch aufgelöst wird, ist schwer einzuschätzen und kann je nach Umsetzung und Nutzer unterschiedlich sein.”

In Zeiten des mobilen Internets sind wir mehr denn je von Werbung umgeben, dementsprechend groß ist ihr Einfluss auf unser Weltbild, auf das, was wir als normal betrachten. “Sexistische Werbung fördert das Schubladendenken, also ‘Männer sind so’ und ‘Frauen sind so'”, erklärt Thiele. “Viele Werbetreibende behaupten, sie würden die Gesellschaft nur widerspiegeln, doch damit machen sie es sich zu einfach.” Die Werbung habe viel Macht und dementsprechend auch die Verantwortung, positive Dinge anzustoßen und Vielfalt zu zeigen anstatt Stereotype und ein sexistisches Weltbild zu verbreiten.

Neben einer aufmerksameren Öffentlichkeit sowie den Sanktionsmöglichkeiten von Watchgroups, dem Werberat und – vielleicht in der Zukunft – verschärften Gesetzen, ist es sinnvoll, auch bei denen anzusetzen, die die Werbung machen. “Wir haben in der Kommunikationswissenschaft viele Studierende, die später in die Öffentlichkeitsarbeit und Werbung gehen möchten”, sagt Thiele. “Es ist unheimlich wichtig, sie gut auszubilden, damit sie hinterfragen, was in diesem oder jenem Werbeclip überhaupt passiert.”